
Die Euro-Einheitsgrösse ist zum Scheitern verurteilt
Die Probleme der Währungsunion resultieren aus den Mängeln in ihrer Konzeption. Und diese lassen sich nun nicht mehr verbergen.
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Vor zehn Jahren stand die Europäische Währungsunion am Rande des Zusammenbruchs, als die Griechenland-Krise ihren Höhepunkt erreichte. In einer heute fast vergessenen Episode schlug der damalige deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble vor, Griechenland ausserhalb der Eurozone zu unterstützen – zumindest vorübergehend. Seine Vorgesetzte Angela Merkel und der französische Präsident François Hollande lehnten diesen Vorschlag kategorisch ab. Bemerkenswert war auch das Einschreiten der Obama-Regierung, die sich für die Verhinderung des «Grexit» einsetzte. Diese Intervention erfolgte aus der Überzeugung, dass ein Austritt aus der Eurozone, selbst bei einer kleinen Volkswirtschaft wie Griechenland, nicht nur für die Währungsunion selbst, sondern auch für das europäische Projekt als Ganzes fatal sein könnte.
Diese ausgeprägte Sensibilität führte lange Zeit dazu, dass Skepsis gegenüber der Funktionsfähigkeit der Währungsunion weitgehend mit der vermeintlichen populistisch-nationalistischen Bedrohung für Wohlstand und Fortschritt gleichgesetzt wurde. Die Skeptiker hielten dagegen, dass das Pro-Euro-Establishment Ursache und Wirkung verwechsle. Die strukturellen Probleme der Währungsunion seien der eigentliche Auslöser für den wieder aufkeimenden populistischen Nationalismus in Europa – nicht umgekehrt.
An sich selbst gescheitert
Die grundlegende Herausforderung besteht in der einheitlichen Geldpolitik des Euro – einem zu groben Instrument für die unterschiedlichen wirtschaftlichen Realitäten der Mitgliedstaaten. Die Struktur der Eurozone, die eine gemeinsame Währung mit nationaler Fiskalkontrolle verbindet, hat bestehende Wettbewerbsunterschiede verfestigt und verschiedene Regionen innerhalb der Wirtschaftsunion auf divergierende Produktivitätspfade gelenkt. In dieser Währungsunion ohne Fiskalunion sollte die für jeden «optimalen Währungsraum» erforderliche Konvergenz allein durch die politischen Bemühungen der einzelnen Länder zur Erreichung gemeinsamer Ziele entstehen.
«Die Struktur der Eurozone, die eine gemeinsame Währung mit
nationaler Fiskalkontrolle verbindet, hat bestehende
Wettbewerbsunterschiede verfestigt und verschiedene Regionen
innerhalb der Wirtschaftsunion auf divergierende Produktivitätspfade gelenkt.»
Diese Praxis erwies sich von Beginn an als massives Problem. In dieser Gruppe von offenen Volkswirtschaften, die unter einem System unwiderruflich festgelegter Wechselkurse intensiv miteinander Handel treiben, waren Löhne der einzige verbleibende Preis, der zur Verringerung von Wettbewerbsunterschieden angepasst werden konnte. Doch der Fokus der Anpassung war stets asymmetrisch: Während die weniger wettbewerbsfähigen Regionen zu einer internen Abwertung gedrängt wurden, kam das notwendige Gegenstück – eine interne Aufwertung in den wettbewerbsstärkeren Teilen der Zone – in offiziellen politischen Kreisen nie zur Sprache, geschweige denn zur Umsetzung. Die Hauptvertreter dieser Gegensätze waren Italien und Deutschland.
Das wichtigste Instrument der internen Abwertung war die fiskalische Austerität. Die wachsenden Haushaltsdefizite waren die Kehrseite der nachlassenden Wirtschaftsaktivität aufgrund des Verlustes der Wettbewerbsfähigkeit. Die Haushaltskonsolidierung sollte die Binnennachfrage und die Löhne senken, um die Arbeitnehmer im europäischen Binnenmarkt wieder wettbewerbsfähig zu machen. Die Austerität war zudem – und das ist entscheidend – in den Grundregeln der Währungsunion verankert: durch die «Nichtbeistandsklausel» und den Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP). Diese sollten vor fiskalischer Verantwortungslosigkeit und Inflationsdruck schützen. Dieser Rahmen, geprägt von historischen Ängsten der Deutschen vor der Hyperinflation und dem Zusammenbruch der Demokratie in der Zwischenkriegszeit, sollte die Mitgliedstaaten disziplinieren.1
Die destruktiven Folgen der Disziplin
Wo dieser disziplinierende Rahmen zur Anwendung kam, waren die Auswirkungen verheerend. Die interne Abwertung stellte nicht etwa die Wettbewerbsfähigkeit wieder her – im Gegenteil: Sie führte zu anhaltender Arbeitslosigkeit und einem Verlust von Qualifikationen, was durch den Effekt der «Hysterese» zu einem Teufelskreis sinkender Produktivität führte. Italien ist das wirtschaftlich bedeutendste, wenn auch nicht das einzige Beispiel für diese destruktive Entwicklung. Die soziale und politische Reaktion, die gemeinhin als «Populismus» bezeichnet wird, war absehbar.
Die verordnete fiskalpolitische Zurückhaltung wurde jedoch weitgehend umgangen. Ausgerechnet Deutschland, der eigentliche Verfechter dieser Massnahmen, spielte dabei eine ironische Schlüsselrolle: Gemeinsam mit Frankreich, dem anderen Kernmitglied der Eurozone, verletzte es 2003/04 als erstes Land die 3-Prozent-Defizitgrenze des SWP – und nutzte dann seinen politischen Einfluss, um Sanktionen zu vermeiden. Frankreich genoss in der Währungsunion stets eine Art Sonderstellung, indem es die fiskalpolitischen Konvergenzregeln chronisch missachtete. Selbst nachdem der SWP, der während der Covidpandemie ausgesetzt war, vor zwei Jahren in wenig durchdachter doktrinärer Form wieder in Kraft getreten war, wurden Frankreichs Haushaltsdefizite von nahezu 6 Prozent des BIP toleriert.
Die Gründe sind politischer Natur – ganz im Sinne der politisch motivierten Währungsunion, die Frankreich als Gegengewicht zur deutschen Wiedervereinigung 1990 erzwang. Als unverzichtbarer Eckpfeiler der Währungsunion muss Frankreich keine Rechenschaft für die Umgehung der zerstörerischen internen Abwertung ablegen.
Der wirtschaftliche und politische Schaden durch die interne Abwertung wurde durch das bereits erwähnte Fehlen der ausgleichenden internen Aufwertung noch erheblich verschärft – obwohl diese ausdrücklich im Regelwerk der Eurozone vorgesehen ist. Die entsprechende Regel, das Verfahren bei makroökonomischen Ungleichgewichten (MIP), sieht wie der SWP Sanktionen für Regelverletzer vor. Deutschland führte 2002 durch die Unterdrückung der Löhne im Rahmen der Hartz-IV-Reformen seine eigene interne Abwertung durch. Die Drosselung der Binnennachfrage wurde durch die 2009 eingeführte Schuldenbremse weiter verstärkt.
Dies führte zu chronischen Aussenhandelsüberschüssen – sowohl mit Handelspartnern innerhalb der Währungsunion als auch mit der übrigen Welt. Dieselbe politische Ausnahmeregelung, die Frankreich von der Einhaltung des SWP befreit, gilt für Deutschland in Bezug auf das MIP.
Weil die Eurozone gemessen an ihren Investitionen zu viel spart, ist sie abhängig von der externen Nachfrage. Als die EZB 2014 vergeblich versuchte, mehr fiskalpolitische Aktivität anzuregen, passte sie ihre Geldpolitik dieser Situation an: Durch Negativzinsen schwächte sie den Euro, um die Nachfrage nach Exporten zu steigern.
Das global unsoziale Verhalten der Eurozone, die ihren Wohlstand auf Kosten der Nachfrage anderer Länder steigerte, führte zwangsläufig zu einer externen Reaktion, da die Währungsunion ihre eigenen Regeln nicht befolgte. China übertraf die Eurozone in ihrem eigenen merkantilistischen Spiel der «Beggar thy Neighbour»-Politik. Die USA reagierten unter Donald Trump 2018 mit einem Handelskrieg – was sich im Vergleich zur aktuellen dramatischen Eskalation als milde Warnung erwies. Eine Warnung, welche die Eurozone ignorierte, statt ihr Verhalten anzupassen.
Der Wählerwille spielt keine Rolle
Zu Beginn des Euro-Projekts prophezeite Martin Feldstein, dass die Wirtschafts- und Währungsunion zu internen Konflikten und einer Belastung der transatlantischen Beziehungen führen würde. Diese Vorhersage stimmte mit Bela Balassas These von 1961 überein, wonach Währungsunionen ohne politische Integration nicht überlebensfähig sind. Könnte nun die externe Reaktion auf den europäischen Merkantilismus durch Trump die europäischen Länder endlich dazu bewegen, die vollständige fiskalische – und damit politische – Union anzustreben, die für eine funktionsfähige Währungsunion unerlässlich ist? Ökonomen mögen zwar legitimerweise darüber debattieren, welchen Anteil am Gesamt-BIP ein echtes «föderales» Budget – beschlossen von einem echten föderalen Parlament – haben müsste, um diese Funktionsfähigkeit zu gewährleisten. Doch der Schlüssel zur Lösung liegt nicht in technokratischen Überlegungen, sondern in der Politik.
Es war ein nichtökonomischer Schock – die Covidpandemie –, der die bis dahin unüberwindbare politische Opposition gegen die Einführung der ersten «föderalen» Finanzierung in Form des «Next Generation EU»-Fonds überwand. Der politische Schock von Trumps Infragestellung der traditionellen Bündnisse hat nun auch die Blockade im deutschen politischen System durchbrochen: Die von der neuen Regierung in Berlin geplante fiskalische Expansion wird einen längst überfälligen Impuls für die deutsche Binnennachfrage liefern.
Nach dem Prinzip «Eine ernste Krise sollte man nie ungenutzt verstreichen lassen» werden überzeugte Föderalisten wie Präsident Emmanuel Macron nun wohl verstärkt auf eine Fiskalunion drängen – wobei sich die Verlängerung der Covid-Ära-Massnahmen vor allem auf die gemeinsame Finanzierung der Wiederaufrüstung im Ukraine-Krieg konzentrieren dürfte. Wie üblich wird dieses Projekt im Verborgenen vorangetrieben, statt die Wähler offen zu fragen, ob sie Teil einer föderalen Union sein möchten. Dabei gibt es keine Anzeichen, dass die meisten Wähler, besonders die französischen, dafür bereit sind.
Dies birgt das Risiko, dass ein zu forsches Vorgehen eine neue Welle sozialer und politischer Reaktionen gegen den Kurs der Europäischen Währungsunion auslöst. Angesichts der Ängste der Bevölkerung vor den Kosten einer Auflösung der Währungsunion – insbesondere der Gefährdung der Ersparnisse – scheint das Projekt in einer Sackgasse zu stecken. Der sich zuspitzende Konflikt zwischen föderalen Bestrebungen und nationaler Souveränität erreicht einen entscheidenden Wendepunkt, dessen Ausgang Europas Schicksal besiegeln wird.
Niall Ferguson und Brigitte Granville: Weimar on the Volga: Causes and Consequences of Inflation in 1990s Russia Compared with 1920s Germany. In: Journal of Economic History 60(4), 2000, S. 1061‒1087. ↩