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Das Bitcoin-Mekka im Tessin
Michele Foletti, zvg.

Das Bitcoin-Mekka im Tessin

Mit Lugano fördert neben dem Kanton Zug ein zweites Finanzzentrum der Schweiz die Bitcoin-Adaption. Die lokale Wirtschaft und die Hochschulen sind in das Innovations- vorhaben eingebunden.

Lugano ist vor allem für Tourismus und Finanzdienstleistungen bekannt. Weniger bekannt ist, dass in fast jedem Smartphone Funktionen enthalten sind, die auf in Lugano entwickelten Technologien basieren. Wenn wir «Hey Siri» oder «Okay Google» sagen – das Abrakadabra der Neuzeit –, können wir mit wertvollen digitalen Assistenten interagieren, die auf eben diesen Techno­logien aufbauen. Es handelt sich um das Phänomen der künstlichen Intelligenz (KI), die unser tägliches Leben bereits durchdrungen hat und über die in Lugano schon seit einiger Zeit gesprochen wird.

Künstliche Intelligenz ist vor mehr als 50 Jahren am Luganersee gelandet, auch dank der Weitsicht und der Unterstützung der Politiker von Lugano. Im Jahr 1970 gründete Unternehmer Angelo Dalle Molle (unter anderem der Erfinder des Cynars) die Fondazione Dalle Molle. Daraus gingen in Lugano zwei Hochschulinstitute hervor: zunächst das ISSCO (Dalle-Molle-Institut für semantische und kognitive Studien) und dann das IDSIA (Dalle-Molle-Institut für Studien zur künstlichen Intelligenz). Am IDSIA wurde in den Neunzigerjahren die für die KI wichtige Technik des Long Short-Term Memory (LSTM) konzipiert. Das Institut hat sich seither zu einer weltweit anerkannten Spitzeneinrichtung entwickelt.

Lugano setzt heute diese Tradition und Berufung fort und positioniert sich als Zentrum der digitalen Innovation und als Brücke zwischen dem Norden und dem Süden der Alpen. Innovationsgeist trifft hier auf den neuesten Stand der Technik.

«Künstliche Intelligenz ist vor mehr als 50 Jahren am Luganersee
gelandet, auch dank der Weitsicht und der Unterstützung
der Politiker von Lugano.»

Vom Stablecoin zur Bitcoin-Adaption

Stand früher die künstliche Intelligenz im Zentrum, so ist es heute die Blockchain-Technologie. Der Startschuss dafür erfolgte 2020. Damals wurde der LVGA-Zahlungstoken ausgegeben, ein an den Schweizer Franken gekoppelter Stablecoin, der in Lugano breit akzeptiert wird. Genutzt wird dieser heute als eine Regionalwährung. Der Token wurde im Rahmen der MyLugano-App konzipiert, eines Projekts, das ursprünglich zur Unterstützung der lokalen Wirtschaft während der Pandemiezeit ins Leben gerufen wurde und das sich seither weiterentwickelt hat. Die ersten Erfahrungen mit diesem Projekt veranlassten die Stadt 2021 dazu, Blockchain-Infrastrukturen zu fördern, um Akademikern, Institutionen und Unternehmen in der Region ihre Projekte mit dieser Technologie zu erleichtern. Dazu wurde die private Blockchain 3Achain lanciert.

Das Experimentieren mit der Blockchain-Technologie aus erster Hand, mit einem organischen Ansatz und Wachstum, führte im März 2022 zum Start von Luganos sogenanntem «Plan B». Dieser basiert auf fünf Säulen. Die erste ist die Ausbildung. Wir schaffen dadurch Möglich­keiten für junge Menschen und die Wirtschaft in diesem Sektor und treten in einen Kreislauf des Austausches von Know-how, der sich positiv auf das Wohlergehen und das Wachstum unserer Region, unserer Unternehmen und unserer Bevölkerung auswirken wird. Plan B umfasst zweitens die Förderung der Akzeptanz von Zahlungen mit Kryptowährungen in Lugano bei der Verwaltung und Gewerbetreibenden bis hin zur Zahlung bei McDonald’s, drittens einen Hub für Start-ups und viertens einen Fonds zur Unterstützung von Unternehmen, die in der Blockchain-Welt aktiv sind. Dazu kommt fünftens das Plan-B-Forum für Research, Entwicklung und Nachhaltigkeit, insbesondere im Mining. Es handelt sich um eine internationale Konferenz, die jedes Jahr politische Entscheidungsträger, Technologieexperten und Unternehmen zusammenbringt, um über die Adaption von Bitcoin durch den Nationalstaat, die Wirtschaft, die Finanzfreiheit und das Recht der freien Meinungsäus­serung zu diskutieren. Die nächste Plan-B-Konferenz wird im Oktober stattfinden.

Heute wirkt Plan B in Lugano als ein Katalysator für Innovation und die digitale Transformation. Bei der Lancierung handelte es sich um eine wohlüberlegte Entscheidung, die für die öffentliche Hand keine finanziellen Risiken mit sich bringt. Denn Lugano ist keine Insel und soll auch keine sein. Seine Zugehörigkeit zum Tessin und zur Schweiz, die in den Bereichen Innovation und Finanzdienstleistungen unbestritten führend ist, stellt einen wertvollen Wettbewerbsfaktor dar.

In den letzten Jahren hat sich die Schweiz zu einem weltweiten Zentrum der Blockchain-Technologie entwickelt, auch dank der Unterstützung der politischen, akademischen, wirtschaftlichen und institutionellen Welt. Das Thema beschäftigt die Bundespolitik bereits seit den Anfängen der Technologie. So stammt der Bericht des Bundesrates zu virtuellen Währungen als Antwort auf die ­Postulate Schwaab und Weibel aus dem Jahr 2014. Aus meiner Sicht ist dies ein klares Signal, das von den Städten und Kantonen nicht ignoriert werden kann.

Eine Blockchain-Strategie als Ansporn zur Veränderung

Die Stadt Lugano hat daher ihre eigene Blockchain-Strategie definiert; schweizweiter Vorreiter war allerdings der Kanton Zug mit seinem «Crypto Valley». Bereits 2017 hat sich Chiasso für Fintech interessiert. In der Zwischenzeit bewegen sich auch andere Städte und Kantone, jeder auf seine Weise und zu seiner Zeit, wie es sich für unser Land gehört. Schliesslich ist das Thema komplex; die Politik darf es nicht leichtfertig und ohne entsprechende Vorbereitung angehen.

Die Blockchain-Technologie steht auch gar nicht im Gegensatz zum traditionellen Finanzsektor. Es gibt Raum für beides, und für den traditionellen Sektor ist die neue Technologie auch eine Chance und ein Ansporn, sich zu verändern und zu erneuern. Ein Beispiel dafür sind Anleihen (ein uraltes Finanzinstrument), die nun an der Swiss Digital Exchange (SDX), einer neuen Börse, die auf Blockchain-Technologie basiert, gehandelt werden können. Lugano hat im Januar als erster öffentlicher Schuldner überhaupt eine Anleihe lanciert, die an der SDX kotiert ist.

Was wir in Lugano machen, folgt einem anderen strategischen Ansatz als das, was Zug entwickelt. Neben der Unterstützung der Industrie und der Blockchain-Technologie legen wir ein besonderes Augenmerk auf die Ausbildung und Kompetenzentwicklung unserer jungen Menschen, für die wir Bildungs- und Berufschancen schaffen wollen. In diesem Sinne haben wir auch die drei lokalen Universitäten (Università della Svizzera Italiana, Scuola Universitaria Professionale della Svizzera Italiana und Franklin University Switzerland) aktiv einbezogen. Die Stadt Lugano hat mit ihnen eine Absichtserklärung zur Förderung und Koordinierung von Blockchain-Ausbildungsaktivitäten unterzeichnet.

Im Alltag bezahlen

Mittlerweile kann man in Lugano mit dem LVGA-Token schon in mehr als 300 Läden bezahlen, und 150 Läden akzeptieren Bitcoin (über das Lightning-Netzwerk) sowie Tether. Unsere Bestrebungen zielen präzise auf eine Auswahl von Bereichen, die auf Bitcoin und Stablecoins ausgerichtet sind. Ich denke, dass Bitcoin die Kryptowährung schlechthin bleibt. Nicht nur aufgrund seiner Verbreitung oder Marktkapitalisierung oder weil er der erste war, sondern vor allem, weil Bitcoin das einzige wirklich dezentrale System ist. Bei Bitcoin existiert eine grosse Gemeinschaft von Nutzern, und es gibt eine ständige und äusserst aktive Entwicklungsdynamik.

Lugano hat des weiteren im März 2022 eine Zusammenarbeit mit Tether vereinbart, dem Technologieunternehmen, das die Blockchain-gestützte Infrastruktur für den gemäss der Marktkapitalisierung weltweit grössten Stablecoin unterhält. Ziel ist es, aus Lugano ein Center of Excellence für die Verwendung von Blockchain in Europa zu machen. Ein von Tether geführtes Unternehmenskonsortium äufnet dafür den bereits erwähnten Fonds, mit dem Start-ups im Blockchain-Bereich in der Region Lugano finanziell gefördert werden. Zusätzlich unterstützt Tether mit seiner Expertise die oben vorgestellte Bildungsinitiative der Stadt.

Es ist wichtig festzuhalten, dass die Stadt ihre Entscheidungen getroffen und mit LVGA-Token und der Infra­struktur 3Achain einen Weg abgesteckt hatte, bevor sie eine Zusammenarbeit mit einem privaten Akteur in ­Betracht zog. Erst in einer zweiten Phase lernten wir Tether kennen und beschlossen, ein gemeinsames Projekt in Angriff zu nehmen. Dies beweist, dass die Stadt ihre Strategie unabhängig von äusseren Einflüssen festlegt. Lugano hat sich dieser Technologie auf bahnbrechende Weise genähert und einen eigenen Wachstumspfad entwickelt.

Weder die Stadt noch ich selbst haben die Ambition oder das Interesse, Botschafter von Bitcoin zu sein. Die bisher vereinbarten Kooperationen schränken unseren künftigen Handlungsspielraum nicht ein. Wir teilen einfach die Prinzipien und die Vision hinter Bitcoin, die damit zusammenhängen, dass Bitcoin jedem und jeder gehört, ohne Unterschied. Bitcoin gehört nicht einer Person oder einem Unternehmen, Bitcoin gehört allen.

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