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Akute Aufklärungsunverträglichkeit

Die von den europäischen Aufklärern hart erkämpften Freiheiten enden im Hörsaal oft schon vor Ablauf des akademischen Viertels. Das stört nicht nur die Professoren, sondern den gesamten Universitätsbetrieb.

Herr Münkler, Wilhelm von Humboldt liess sich 1792 wie folgt vernehmen: «Der wahre Zweck des Menschen […] ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen. Zu dieser Bildung ist Freiheit die erste und unerlässliche Bedingung.» Welche Freiheit ist hier gemeint?

Es handelt sich hier um die aufklärerische Vorstellung, dass die Freiheit des vernünftigen Argumentierens ein Element des Fortschritts bei der Selbstzivilisierung der Menschheit sei. Darin zeigt sich ein grosses Vertrauen in den individuellen «Zwang zur Vernunft», der mit einer Ausweitung der Meinungs- und Meinungsäusserungsfreiheit im Preussen des achtzehnten Jahrhunderts einhergeht. Mit dieser Freiheit ist nicht politische Partizipation gemeint, sondern die damals spektakuläre Idee, dass sich Individuen in Diskussionen frei austauschen sollten – um der Wahrheit diskursiv näher zu kommen, sprich: sich zu bilden.

Meinungsäusserungsfreiheit nicht um ihrer selbst willen, sondern zur Zivilisierung der Menschheit durch Bildung.

So in etwa, ja. Von Immanuel Kant bis zum 1792 noch recht jungen Humboldt zog dieses Ideal in Preussen immer weitere Kreise. Es gipfelte schliesslich in einer Alternative zu Umsturz und Revolution in Frankreich: dort fand die Revolution nicht mehr in den Köpfen und im Saale statt, sondern auf der Strasse.

In Frankreich wurden «Revolutionsfeinde» nicht zum intellektuellen Tischgespräch gebeten, sondern eingesperrt oder ermordet – neu gewonnene Freiheiten verkehrten sich in Terror. Welchen Einfluss hatte das auf Humboldts Position?

Humboldt setzte diesem Treiben die Idee eines selbstreformerischen Prozesses durch die Freiheit des Räsonierens entgegen. Es ging dabei um die Öffentlichwerdung des Arguments, also um «Publizität als einziges Palladium der Freiheit», wie Kant das nennt. Sprich: das Recht, Argumente und Kritik öffentlich darlegen zu dürfen, ohne mit Sanktionen rechnen zu müssen. Humboldts Idee: Wer sich mit den Argumenten des Gegners ernsthaft beschäftigt, wird dadurch selbst stärker – sogar dann, wenn er dabei die eigene Position aufgeben muss.

Allerdings: das aufklärerische Ideal gefiel nicht allen – vor allem nicht den Kirchen.

Wahrheiten, die nicht mehr feststehen, sondern ausdiskutiert werden, sind für Institutionen, die sich der Wahrheitsverkündigung verschrieben haben, eine Gefahr. Für die Kirchen oder den Adel war das eine bedrohliche Konkurrenzveranstaltung! Deren Prinzip war damals wie heute: Einer spricht, die anderen hören zu. Das erwies sich als mit dem dialogischen Prinzip aufklärerischer Wahrheitssuche inkompatibel.

Wann und wie hat der Kampf der Argumente seinen Durchbruch erlebt?

Einer der wichtigsten Momente ist, als diese aufklärerische Argumentation, wie Karl Marx das genannt hat, «die Massen ergreift», wo somit das Ganze in Flugblattform und mit der Aufforderung, nicht mehr nur zu räsonieren, sondern tätig zu werden, fruchtbar gemacht wird. Marx spricht von einem Bündnis zwischen Philosophie und Proletariat, wobei das Proletariat die Kraft sein soll, die der Philosophie den Weg freiräumt. Etwas bescheidener: den ersten Grosserfolg feiert die Aufklärung, als sie politisch-praktisch wird. Es sind die politischen Kontroversen, in denen der Adressatenkreis der argumentierenden Schriften immer grösser wird, etwa in der Dreyfus-Affäre um 1894 in Frankreich, die der Aufklärung und der Meinungsäusserungsfreiheit schliesslich den grossen Durchbruch in breiten Bevölkerungsschichten bescheren.

Eine bedeutende Rolle spielen also die Medien. Ein ermutigender Gedanke für Journalisten.

Da möchte ich relativieren: Es gibt zwar dank Freiheit und aktiver Bildungspolitik immer grössere Bevölkerungskreise, die lesen und schreiben können, die sich informieren wollen und auch Geld für Zeitungen auszugeben bereit sind. Andererseits wird, um diese Kreise immer besser zu bedienen, auch der Anteil des Argumentierens und Aufklärens in den Medien ständig kleiner. Ich spreche von den Printerzeugnissen, die sich im späten 19. Jahrhundert mehr und mehr von den «Intelligenzblättern», wie sie sich damals oft selbst nannten, ablösten und ganz bewusst auf weitere Leserkreise fokussierten – und zwar nicht, um diese freier oder gebildeter zu machen, sondern um sie zu unterhalten und – auch – ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen: den Boulevardmedien. Dieses Phänomen dauert bis in unsere Zeit, ist inzwischen aber auf die audio-visuellen Medien und das Internet ausgeweitet worden.

Das bedeutet, dass die Eingangsthese – die Aufklärung wirkt dank anhaltender Publizität fort – nicht uneingeschränkt haltbar ist. Stichwort: Netzöffentlichkeit und Verschwörungstheorien.

Doch, denn die Freiheit ist ja weiterhin gegeben. Eine Zensur findet nicht statt. Durch die Ausdifferenzierung des Medienmarktes ist es aber tatsächlich so, dass die meisten Publikationen, und das gilt ganz besonders für die Ergüsse im Netz, heute nicht mehr der Meinungsfreiheit im Sinne der Aufklärung dienen, sondern der Agitation in entgegengesetzter Richtung. Die bildungsbürgerliche Liberalität zieht sich also an die publizistischen Orte zurück, an denen klug und interessiert miteinander argumentiert wird, anstatt dass man einander bloss bestätigt, unterhält oder beschimpft. Ganz anders die Plattformen für Verschwörungstheorien: sie kommen daher im Gestus der Aufklärung, sind aber tatsächlich eine Art Religionsersatz, insofern sie die Kontingenz, die nach der Vertreibung der göttlichen Sinnstiftung zurückgeblieben ist, tilgen, indem sie beinahe ausschliesslich von sinistren Machenschaften erzählen. Ein Religionsersatz also, der aufs Satanische beschränkt ist.

Wie steht es ums anspruchsvolle Räsonieren, um kluges und komplexes Argumentieren an der Universität?

Na ja. (Überlegt) Wir haben ja bisher vor allem über Humboldts Ideal gesprochen, das vornehmlich in der alten Philosophischen Fakultät Geltung hatte und eigentlich auch weiterhin haben soll. Die Medizinische, Juristische und Theologische Fakultät hatten als Ausbildungsfakultäten mit diesem Ideal seit jeher nicht allzu viel am Hut. Humboldts Ideal ist – mit Blick auf den gesamten Universitätsbetrieb – höchstens eine Teilposition, gelegentlich gar eine randständige Position. In dem Moment, da etwa die Philosophische Fakultät so etwas wie Staatsexamina eingeführt hat, also Prüfungen, bei denen ein Staatsvertreter anwesend ist, um zu kontrollieren, ob der Prüfling hinterher ein anständiger Lehrer werden kann, wird Bildung zur Ausbildung. Die Universität muss sich heute auch jenseits staatlicher Belange zunehmend die Frage gefallen lassen, welchen Nutzen sie der Gesellschaft, oder besser: der Ökonomie, bietet – und das ist das Gegenteil des Humboldt’schen Ideals. Das ist keine Kritik, sondern eine wertfreie Feststellung.

Welche Folgen hat das für den akademischen Betrieb?

An der Universität beobachten wir derzeit einen ähnlichen Vorgang wie den, den ich eben im Hinblick auf die Medien beschrieben habe. Die Universität ist heute keine Institution von und für ein Prozent der Gesellschaftsmitglieder mehr – zu Humboldts Zeiten waren es noch weniger –, sondern soll, zumindest in Deutschland, künftig 30 bis 40 Prozent eines Jahrgangs aufnehmen und ausbilden. Sagen wir es offen: die Nachfragesituation hat sich dramatisch verändert, die Universität wird zur Zertifizierungsanstalt. Es kommt nicht mehr in erster Linie darauf an, Bildung zu vermitteln oder zu erwerben. Die politische Vorgabe lautet, den Studenten rasch und in möglichst grosser Zahl Abschlüsse zu vermitteln. Das machen wir, und gelegentlich mischen wir dabei auch noch ein wenig Bildung darunter.

Humboldt hatte also recht, wenn er alle Nase lang vor politischer Einmischung an der Universität warnte?

Der Staat ist hier bloss der «Knüppel» der Gesellschaft oder des Steuerzahlers. Das bedeutet nicht, dass an Universitäten keine Denkräume nach Humboldt’schem Vorbild mehr existierten, aber sie werden weniger. Viele Professoren verschaffen sich deshalb parallel ein Standbein als «Public Intellectual», schlüpfen also, frei nach Marx, in die «Löwenhaut» des öffentlichen Intellektuellen – und stellen so ihre eigenen Ideen zur öffentlichen Diskussion. Daran sieht man die zunehmende Trennung von Bildungs-, Wissenschafts- und Meinungsfreiheit.

Wer an Einordnung und Debatte interessiert ist, trägt beides nicht mehr an der Universität aus, sondern «flüchtet» in eine Art intellektuelle Halböffentlichkeit? Das ist sowohl eine intellektuelle wie bildungspolitische Katastrophe.

Halten wir fest: die Wissenschaftsfreiheit an der Universität ist gewährleistet, letztere war freilich auch nie ein Ort, an dem starke Meinungen den Takt angeben sollten – sondern starke Argumente. Allerdings: immer weniger gefragt ist tatsächlich die Beurteilung und Bewertung des Lehrenden gegenüber den vermittelten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Nennen wir das den exemplarischen Gebrauch der Urteilskraft im Hinblick auf praktische Fragen. Aber das ist riskant, und deswegen beschränken sich viele auf das Darreichen von Informationen, und neuerdings auch so, dass dabei sämtliche «anerkannten» Minderheiten irgendwie Berücksichtigung finden – egal, ob sie nun im Kontext relevant sind oder nicht. Wer diesem Zeitgeist nicht genügt, läuft Gefahr, von den eigenen Studenten an den Pranger gestellt zu werden.

Sie sagen: von Staats wegen sind alle relevanten Freiheiten geschützt und gewährleistet, es sind gesellschaftliche Strömungen, die diese Freiheiten nun zu beschneiden suchen?

Durchaus. Sehen Sie, ich äussere mich im Seminar oder in der Vorlesung auch persönlich zu politischen Entscheiden, zu geopolitischen Problemen oder zu bedenklichen politischen Bewegungen – etwa Pegida. Ich weiss aber, dass ich mich in diesem Moment aus meiner professoralen Rolle herausbewege und zum «Public Intellectual» werde, der für sich andere Massstäbe und Regeln des Argumentierens gelten lässt. Ich mache das gestisch und mimisch deutlich. Die meisten meiner Studenten schätzen das. Sie sind auch imstande, die damit verbundene Ironie und den gelegentlichen Sarkasmus zu erkennen. Aber ich stelle sehr wohl fest, dass es immer mehr gibt, die diese Rollenteilung nicht begreifen – oder sie kategorisch ablehnen. Sie wollen in ihrem Korrektheitsbedürfnis bzw. in dem, was sie selbst als politisch korrekt definieren, bestätigt werden. Kritik in welcher Form auch immer ist ihre Sache nicht. Sie suchen Geborgenheit.

Konkreter?

Jeder von uns – egal, ob Professor oder nicht – muss in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Rollen einzunehmen bereit sein. Es gibt den Herfried Münkler in Fachpublikationen, den Herfried Münkler im Hörsaal, den Herfried Münkler in der «Süddeutschen» und den Herfried Münkler beim Feierabendwein. Natürlich wirken die verschiedenen Rollen aber auch aufeinander ein – und im Hörsaal reicht vielleicht auch einmal ein Münkler dem anderen die Hand. Wichtig ist, dass ich weiss, welche Stärken und Schwächen die einzelnen Rollen haben. Wichtig ist auch, dass ich weiss, in welcher Rolle ich mich gerade befinde. Und dass ich weiss, dass der Feierabendwein-Münkler im Hörsaal nur selten oder nie etwas verloren hat. (Lacht) Zum Schluss müssen aber auch meine Studenten wissen, oder verstehen wollen, wer da gerade vor ihnen steht, sie müssen also über eine Hermeneutik des Zuhörens und Intervenierens verfügen – sonst kommt es zu Missverständnissen. Political Correctness blockiert die Ausbildung solcher Hermeneutiken.

2015 machten einige Ihrer Studenten von sich reden, als sie einen Onlineblog mit dem Titel «MünklerWatch» aufschalteten und die von Ihnen sogenannten «Rollenwechsel» in Vorlesungen transkribierten und kommentierten. Man warf Ihnen «Sexismus» und «Eurozentrismus» vor.

Und zwar nicht im Plenum der Vorlesung oder in der Sprechstunde, sondern aus der Anonymität des Internets heraus. Das mussten sie freilich, um behaupten zu können, es seien Studenten der Sozialwissenschaften, was sie vermutlich nicht waren. Immerhin: ein einzelner medienwirksamer Rassismusvorwurf – und sei er noch so unbegründet – reicht, um ganze akademische Karrieren zu zerstören.

Ihre akademische Karriere ist allerdings weiterhin intakt – obwohl Ihnen auch dieser Vorwurf gemacht wurde. Was genau ist vorgefallen?

Dass mein Ruf keinen ernsthaften Schaden nahm, lag wohl daran, dass ich mich zu wehren wusste. Aber der Reihe nach: Der Rassismusvorwurf stand deshalb im Raum, weil im von mir vorgestellten Kanon der politischen Theorie bis zum 19. Jahrhundert – es handelte sich um eine Einführung in die politische Ideengeschichte – keine Autoren und Theoretiker schwarzer Hautfarbe vorkamen. Der konkrete Kampf entzündete sich an der Kanonfrage, und die war politisch immer hart umkämpft: Wie sieht der wissenschaftliche Kanon aus? Oder besser: Wie hat der Kanon auszusehen? Oder prägnanter, wie «MünklerWatch» insinuierend fragte: Warum habe ich in meiner Kanon-Vorlesung keine Schwarzen vorgestellt?

Weil Sie Rassist sein müssen!

Weil es keine gab! Oder präziser: weil es keine gab, die im Rahmen des Umfangs und der Zeit dieser 14teiligen Vorlesung zum Thema «Politische Theorien und politische Ideengeschichte» hätten angemessen vorgestellt werden können, ohne andere, für den Kanon bedeutendere Autorinnen und Autoren aussparen zu müssen. Bei einer Vorlesung über 10 Semester, so habe ich damals erklärt, liessen sich sicher einige finden. Dasselbe gilt übrigens für die Frauen, deren Abwesenheit im Kanon der Vorlesung bis zum 19. Jahrhundert mir den Vorwurf des Sexismus eingebracht hat. Die Liste liesse sich fortsetzen. So oder so: wer den Kanon verändern will, indem er andere denunziert, bringt den akademischen Betrieb in Gefahr.

Nach mehreren Jahrhunderten Universitätsgeschichte taucht also, wenn ich Sie richtig verstehe, ein neuer Typus Student auf – es gibt ihn dem Vernehmen nach an der Humboldt-Universität, es gibt ihn in Oxford, es gibt ihn vor allem in den USA –, der keine Autoritäten mehr kennt oder akzeptiert, auch keine wissenschaftlichen?

Korrekt. In den USA ist diese Art der aggressiven «Political Correctness» längst ein ernsthaftes Problem, da sie nicht nur den direkten Lehrbetrieb stört, sondern auch das Zusammenleben auf dem Campus.

Ihr Kollege Carlo Strenger von der Universität Tel Aviv fasst diese neue Haltung in Teilen der Akademie wie folgt zusammen: «Wann immer eine Theorie, Tatsachenbehauptung oder normative Aussage Objektivität für sich beansprucht, sei dies nichts als ein Versuch, die eigene Position im Machtgefüge zu festigen. […] Das Prinzip der universalen Kritik wurde durch das Prinzip des universalen Respekts ersetzt.»

Und aggressiv gegen jene gewendet, die dieses vorgebliche Toleranz- und Respektprinzip nicht teilen, weil es tatsächlich eine Strategie der Intoleranz darstellt. Ich habe die Leute von «MünklerWatch» ja zur öffentlichen Diskussion über den Kanon der Vorlesung aufgefordert. Sie haben sich der Diskussion nicht gestellt.

Strenger schlägt vor, den Diffamierungen mit «politisch korrektem» Motiv mit «zivilisierter Verachtung» zu begegnen. Sie haben in Berlin auf den Umstand hingewiesen, dass Sie mit anonymen Diffamierern nicht diskutieren könnten, Sie haben ausserdem die Leute hinter «MünklerWatch» als – Zitat – «erbärmliche Feiglinge» bezeichnet. Ist das Ihre Gegenstrategie?

Das ist zuallererst eine blosse Feststellung: Wer seine Weigerung, Gesicht zu zeigen, damit begründet, dies könne seine Karriere gefährden, ist, denke ich, so ganz korrekt bezeichnet. Eher strategischen Charakter hatte meine kreative Gegenbehauptung: Ich stellte die These in den Raum, ich könnte «MünklerWatch» ja selbst ins Leben gerufen haben, um mediale Aufmerksamkeit zu generieren. Meine Vorlesung in Berlin sollte die bekannteste in ganz Deutschland sein und meine Vortrags- und Schreibhonorare nach oben treiben. Einerseits impliziert das die Tatsache, dass ich unter Marktgesichtspunkten von all der Aufmerksamkeit profitiere – was übrigens stimmt. Andererseits spiele ich mit Ironie, im Gegensatz zur Botschaft «MünklerWatchs». Und schliesslich habe ich so die Anonymität als Waffe gegen die Anonymen genutzt. Und niemand kann diese These widerlegen – solange «MünklerWatch» anonym bleibt. (Lacht)

In diesem Falle müsste man Ihnen aber auch Faulheit unterstellen, denn auf «MünklerWatch» findet sich seit Sommer 2015 kein neuer Eintrag mehr. Waren Ihnen die Honorare also irgendwann hoch genug?

Wir scherzen, das ist gut. Es gibt viele, die haben diesbezüglich aber gar nichts zu lachen. Sie leiden unter einem anonymen Gesinnungsterror, der, ich will es noch einmal wiederholen, nicht von irgendwelchen Institutionen ausgeht, sondern von kleinen Gruppen mit zum Teil grundverschiedenen politischen Motiven, aber stets unter dem Banner der Meinungsfreiheit gegen die Meinungsfreiheit. Hier sind Menschen am Werk, die den Skandal provozieren und die damit entstehende mediale Präsenz nutzen, als Instrument der Einflussnahme, zur Erlangung von «Herrschaft» im Diskurs. Denn die Leute hinter «MünklerWatch» haben natürlich keine institutionelle Macht, die sie nutzen könnten und die von den klassischen Liberalen immer als die Hauptwurzel allen Übels ausgemacht worden ist. Deshalb versuchen sie es über einen anderen Weg: über den öffentlichen Skandal. Der aus der Anonymität heraus angezettelte Skandal ist eine Strategie zur Kompensation von Wahrnehmungsmangel und Einflussdefizit.

Wie genau funktioniert das?

Das ist einfacher als je zuvor: Sie gebärden sich öffentlich als Opfer. Irgendein Journalist wird dann schon aufmerksam, bestenfalls ein reichweitenstarker. Mein Imperativ, und damit komme ich noch einmal auf Ihre Frage nach meinen Gegenstrategien zurück, ist: Misstraue allen, die von sich behaupten, «Opfer» zu sein. Denn gegenwärtig ist die Opferpose die mächtigste Waffe zur Immunisierung der eigenen Position gegen Argumente. Wer ein Opfer ist, hat eo ipso recht. Wer aus der Anonymität heraus agiert, muss nicht einmal zeigen, dass er ein Opfer ist, er muss es nur behaupten.

Wie ist es möglich, dass sich anerkannte Koryphäen, die sich natürlich immer auch irren können, von reputationsarmen Nonames öffentlich an den Rand drängen lassen?

Wir leben in einer Gesellschaft, die in hohem Masse auf Sensation fixiert ist. Deshalb die «Inszenierung von Skandalen»: Denunzianten konkurrieren um die knappe Ressource Aufmerksamkeit – und wer möglichst laut an der Pforte von angesehenen Institutionen oder am Stuhl einer wie auch immer gearteten Koryphäe rüttelt oder sägt, der erhält sie eben, die Aufmerksamkeit, und zwar oft auch unter völliger Ausklammerung der zugrunde liegenden Tatsachen. Diese Aufmerksamkeitsökonomie wird durch ein steigendes gesellschaftliches Bedürfnis nach Denk- und Sprechregelungen mit ordnender Verbindlichkeit gespeist. Und seit dem dramatischen Bedeutungsverlust der Religionen sind es nicht mehr die Leute von der Kanzel, die über moralische Regeln befinden, sondern selbsternannte Seelsorger, die ihre Führung anbieten. Momentan, ganz aktuell sind es passenderweise auch keine sogenannt «linken» Kreise, die mich diffamieren, sondern dezidiert «rechte».

Gegen welche vermeintlichen Sprach-, Denk- und Kanongebote haben Sie diesmal verstossen?

Ich habe in der aktuellen deutschen Flüchtlingsfrage öffentlich darauf hingewiesen, dass es falsch ist, ganze Gruppen von Menschen öffentlich über einen Kamm zu scheren oder die Unschuldsvermutung für Flüchtlinge «nach Köln» medial in Frage zu stellen. Die Folge: in E-Mails wird mir nun vorgeworfen, ich sei ein Vertreter der «Political Correctness». Ich bekomme E-Mails, in denen ich als «Volksverräter» bezeichnet werde oder mir gar mit physischen Angriffen gedroht wird. Das sind massive Repressionen, die das Niveau vom letzten Jahr in jeder Hinsicht noch einmal unterbieten. Natürlich wieder anonym, meistens jedenfalls. Natürlich invektiv-einschüchternd, also in Form der «Hate Speech», immer. Das ist nicht mehr «bloss» Gesinnungsterror im Netz – das ist schlicht: Terror. Und der Nachweis dafür, dass dezidierte «politische Inkorrektheit» keineswegs das aufklärerische Antidot zu den beklagenswerten Auswüchsen einiger «politisch Korrekter» ist, sondern bloss dumpfe Gegenagitation von derselben Qualität.

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