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Rechtschreibfrieden?
Nein, bewegung!

Was spricht eigentlich gegen Rechtschreibreformen? Die Sprache lebt und die Sitten zerfallen deswegen nicht. Echte Verbesserungen sind aus liberaler Sicht jederzeit zu begrüssen.

 

Im «Schweizer Monat» vom mai beklagt Rudolf Wachter den ausbleibenden rechtschreibfrieden, und Theodor Ickler entlarvt die finsteren mächte hinter der «handstreichartigen Einführung der Reform». Letzteres kann man als deutsches innenpolitikgezänk ad acta legen; es beschreibt immerhin schön die «deutsche Erregungsgesellschaft», wie die NZZ schreibt, und die unheilvolle rolle der deutschen obrigkeitshörigkeit.

Liberale altgläubige

Natürlich gibt es gründe, mit der neuregelung von 1996 und erst recht mit der von 2006 unzufrieden zu sein. Und Robert Nef mag recht haben, «daß das Nachbessern verfehlter Regeln nichts taugt». Allerdings beziehen wir das auf die verfehlten regeln von der neuregelung von 1901 – gemäss Konrad Duden war diese nur ein zwischenziel. In diesem sinn «ist der Kampf gegen die mißglückte Reform ein im Kern liberales Anliegen», wie Nef es ausdrückt. Die geschichte lehrt uns, dass jede reform altgläubige hinterlässt, verteidiger des status quo. Laut dem spötter Mark Twain gab es bestimmt auch bei den alten ägyptern leute, die des langen und breiten erklärten, warum es absolut notwendig sei, bei hieroglyfen als der einzig richtigen form des schreibens zu bleiben und nicht ein alfabet zu entwickeln. Neu ist, dass die altgläubigen unter der flagge des liberalismus segeln. Stärker als in der Schweiz haben sich in Deutschland die liberalen auf das tema eingeschossen – womit die Freien demokraten sich auch diese gelegenheit nicht entgehen liessen, sich ins nirwana zu katapultieren. Unsere auffassung von liberalismus findet sich eher in einem soeben im Liberalen institut publizierten text von Simon Aegerter: «Wie ist die Menschheit dahin gekommen, wo sie heute ist? Es gab immer wieder Momente, wo Erfindungen und Innovationen – disruptive Neuerungen – alles verändert haben. Dies löste zwar zunächst grosse Ängste und Widerstände aus. … Meist sind die Ängste vor der Zukunft übertrieben, weil sie den Erfindergeist und die Anpassungsfähigkeit der Menschen … unterschätzen. Phantasie und Innovationskraft haben keine Grenzen. Nur wenn wir es wagen, sie zu entfesseln, können wir die Natur [und die schrift] retten, nicht, indem wir uns willkürliche Grenzen setzen.»

Eine willkürliche grenze setzen die reformgegner: «Die Orthographie ist, wie sie ist; jede noch so gutwillige, gutgemeinte Manipulation hat zu unterbleiben.» Mit dieser geisteshaltung wäre die schrift gar nie erfunden worden. Sie ist eine menschliche schöpfung; ihr liegen ein konzept und ein ziel zugrunde. Deren vollkommene verwirklichung wird natürlich von der realpolitik in alle ewigkeit verhindert. Aber ist das für den liberalen menschen ein hindernis, verbesserungen anzustreben? Nun soll genau die rechtschreibung von 1901 «bewährt» und «sprachrichtig» sein? Dieter E. Zimmer: «Die deutsche Orthographie ist kein hehres Kulturgut, an dem jahrhundertelang die größten Genien dieser Sprache gewirkt hatten und das nun von ein paar subalternen Besserwissern verschandelt würde. Sie ist eine bloße kompromißlerische Konvention, zur Jahrhundertwende von ein paar Pädagogen ersonnen und seitdem von der Redaktion eines Buchverlags in eigenem Ermessen verwaltet, fortgeführt, ergänzt. Wir hängen an unserer Orthographie nicht, weil sie so besonders wertvoll wäre, sondern nur, weil wir zufällig sie und keine andere verinnerlicht haben.» Nur hat ja die verinnerlichung bekanntlich nicht zur folge, dass die rechtschreibung gut beherrscht würde. In den rechtschreibleistungen kommt die «sprachliche Vernunft der grossen (schreibenden) deutschsprachigen Gemeinschaft» jedenfalls nicht zum ausdruck.

Es wird nicht alles schlechter

Reformbemühungen kämpfen nicht zuletzt gegen das weit verbreitete, diffuse, aber unbegründete und sicher nicht liberale gefühl, dass alles schlechter wird, dass die sitten, die sprache, die rechtschreibung verfallen. Auch für die ortografie gilt, was Hermann Unterstöger über die sprache sagt: «Die Sprachwahrer und Wortwarte hängen der Vorstellung an, die Sprache habe irgendwann den besten aller möglichen Zustände erreicht und könne von da an durch Neuerungen nur noch verlieren. Es ist nicht untypisch, dass sie besagtes Ideal in aller Regel dort verwirklicht sehen, wo es mit ihrem eigenen Sprachvermögen übereinstimmt.»

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