
Ich habe die Nachhaltigkeit der Impfung überschätzt
Mit dem «Freiheitsimpfler» nahm ich die Massnahmengegner aufs Korn. Mehr Sorge als das Gejammer der Protestler bereitete mir allerdings die Selbstzufriedenheit der staatlichen Akteure.
Als sich in der ersten Januarhälfte 2020 die globale Ausbreitung von Sars-CoV-2 abzeichnete, schien die Schweiz gut vorbereitet. Sie verfügte über einen Pandemieplan seit 2006 und über Gutachten aus den Jahren 2012 und 2018 zum Meldewesen und zum Koordinierten Sanitätsdienst, die aufzeigten, was es zu verbessern galt. Seit 2012 befasste sich zudem eine eigene ausserparlamentarische Kommission mit einer allfälligen Pandemievorbereitung.
Bereits Mitte März 2020 zeigte sich allerdings, dass der Staat doch nur bruchstückhaft auf diesen Krisenfall vorbereitet war: Es mangelte an Masken und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) kam mit dem Verarbeiten von Fallmeldungen nicht mehr nach. Der abtretende Direktor Pascal Strupler tauchte ab. Bei Daniel Koch – seit 2006 für eine Pandemievorbereitung zuständig – war, spätestens als er das Übermitteln von Covidfällen per Fax rechtfertigte, evident: Er ist eine Fehlbesetzung. Das Amt steckte sichtlich in der Krise.
Auffällige Kehrtwende der SVP
Blickt man auf Stellungnahmen aus der Politik zurück, fällt auf, dass Exponenten der SVP zu Beginn der Pandemie zu den Warnern gehörten. Magdalena Martullo-Blocher trug während der Frühjahrssession 2020 als einziges Nationalratsmitglied eine Maske. Thomas Aeschi schlug den Abbruch der laufenden Session vor. Am 25. April forderte Verena Herzog angesichts «1187 Covid-19-Toten bei 8,5 Millionen Einwohnern» eine «schonungslose Analyse und Selbstkritik», um besser auf eine nächste Welle vorbereitet zu sein.
Es dauerte jedoch nicht lange, bis sich die SVP als Stimme der Massnahmengegner sah. Mit ihren Videostreams hatten einige Exponenten gesellschaftliche Anerkennung gefunden – und teilweise auch ein Geschäftsmodell, wie etwa der 2025 vom Landgericht Göttingen wegen Veruntreuung verurteilte Jurist Reiner Fuellmich. Als zunehmend Stimmung gegen das Impfen gemacht wurde, lancierte ich als Präsident der Freidenker zwei Plakatkampagnen. In der ersten präsentierten sich im Mai 2021 Mitglieder mit dem Slogan «Klar, lassen wir uns impfen – aus Vernunft und Verantwortung». In der zweiten Kampagne ab November 2021 machten wir den «Freiheitsimpfler» zum Maskottchen und verschafften so der leisen Mehrheit Gehör.
Ich gestehe ein, dass ich die Mutationsgeschwindigkeit des Virus unterschätzt und somit die Nachhaltigkeit der Impfung überschätzt hatte – dennoch war die Impfung zur Pandemiebewältigung entscheidend. Deshalb blicke ich gerne auf die beiden Kampagnen zurück. Auch zum am 18. März 2020 auf Twitter geschriebenen Appell an Alain Berset, das BAG dringend unter eine neue Leitung zu stellen, stehe ich nach wie vor. Hätte er eine Interimschefin ernannt, wären vielleicht fruchtbare Kooperationen mit privaten Akteuren entstanden, die ja deutlich mehr Agilität bewiesen hatten. So stellten verschiedene Zeitungsportale und der Bioinformatiker Daniel Probst lange vor dem BAG übersichtliche Pandemiestatistiken bereit.
Aber nicht nur der Staat, auch die Medien sollten ihre Rolle kritisch reflektieren. Nicht wenige neigten zu einer falschen Ausgewogenheit, wohl auch um zu beweisen, dass sie unabhängig berichten. Zu häufig gab man lautstarken Exzentrikern eine Bühne, die viel Meinung, aber wenig Fachwissen aufwiesen. Sucharit Bhakdi sprach beispielsweise von schweren Nebenwirkungen der mRNA-Impfungen in Grossbritannien, noch bevor diese dort überhaupt zum Einsatz kamen. Inzwischen ist bekannt, dass die Zahl der mittelschweren bis schweren Nebenwirkungen verschwindend gering blieb. Bhakdi räumt dies mittlerweile ein, meint aber, das läge daran, dass die mRNA-Impfstoffe in den allermeisten Fällen gar keine Wirkung entfaltet hätten. Solche Stimmen, liebe Medienschaffende, tragen nichts zur Debatte bei.