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Es gab zu viele Einschränkungen
Daniel Koch, zvg.

Es gab zu viele Einschränkungen

Die Coronakrise hat die Gesellschaft tief gespalten. Um für künftige Pandemien gewappnet zu sein, muss sie aufgearbeitet werden.

In der Rückschau sind bei den Coronamassnahmen sicherlich Fehler geschehen – beispielsweise wurden Pflegeheimbewohner beim Sterben allein gelassen. Pauschal als falsch würde ich die Massnahmen aber nicht bezeichnen; die Entscheidungen müssen stets im Kontext der damaligen Situation und des Wissensstands der Verantwortlichen betrachtet werden. Im Nachhinein ist es leicht zu sagen: «Das hättet ihr wissen müssen.» Meine grundsätzliche Einschätzung zu Corona hat sich jedenfalls nicht verändert: Die erste Welle des Virus war eine sehr bedrohliche Situation, und die Massnahmen, die der Bundesrat ergriffen hat, waren durchaus angebracht und angemessen.

Definitiv anders gestalten würde ich aus heutiger Sicht die Kommunikationsstrategie des Bundesamts für Gesundheit (BAG); insbesondere bereue ich unsere damaligen Empfehlungen für die Alters- und Pflegeheime. Sie führten zu erheblichen persönlichen und sozialen Problemen. Ein besseres Gleichgewicht zwischen Schutz und persönlicher Freiheit wäre notwendig gewesen. Überhaupt wurden zu viele Einschränkungen auferlegt.

 «Ein besseres Gleichgewicht zwischen Schutz und persönlicher Freiheit wäre notwendig gewesen.»

Welche Massnahmen sollen nun bei künftigen Pandemien ergriffen werden? Die Homeoffice-Pflicht erwies sich als besonders effektiv. Solange keine alternativen Mittel wie Medikamente zur Verfügung stehen, bleiben solche einschränkende Massnahmen notwendig, um das Infektionsgeschehen zu bremsen. Andernfalls droht eine Überlastung des Gesundheitssystems. Zwar können zusätzliche Kapazitäten geschaffen werden, doch jede Pandemiewelle könnte diese übersteigen.

Die Pandemie hat eindeutig zu Spaltungen geführt. Deshalb bedarf es einer Aufarbeitung der Coronapandemie und ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen. Die zentrale Frage lautet: Wie können wir solche Situationen in Zukunft besser bewältigen?

Während der ersten Welle trat ich regelmässig bei den Pressekonferenzen auf, stand so stets im Rampenlicht; zu diesem Zeitpunkt erlebte ich kaum Kritik. Die kritischen Stimmen wurden erst später laut, nachdem ich das BAG verlassen hatte. Dass die Kritik mich betraf, kann ich nachvollziehen. Menschen, die unter den Massnahmen besonders gelitten haben, verbinden diese Zeit nun mal teilweise mit meiner Person, ich bin durch meine Medienpräsenz zu einer Art Symbol für die Pandemiezeit geworden. Dennoch: Die Kritik fällt gegenüber den positiven Rückmeldungen relativ gering aus.

Was den gesellschaftlichen Diskurs über gesundheitliche Fragen betrifft, bin ich hin- und hergerissen. Einerseits braucht es offene Debatten, die freie Meinungsäusserung muss möglichst gewahrt bleiben. Andererseits braucht es auch Kontrolle. Ich will nicht, dass jeder zum eigenen Vorteil Falsches verbreiten kann. Geht es um gesundheitsschädliche Fehlinformationen, braucht es klare Grenzen. Dabei ist Fingerspitzengefühl gefragt, um eine ausgewogene Balance herzustellen. Zensur halte ich aber nicht für den richtigen Weg.

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Anders Tegnell, zvg.
«Es ist erstaunlich, wie leicht es war, die Massnahmen
einzuführen – und wie
unglaublich schwierig, sie
wieder aufzuheben»

Die Eigenverantwortung spielte bei der Bewältigung der Pandemie eine entscheidende Rolle, sagt Schwedens früherer Chefepidemiologe Anders Tegnell. Der schwedische Ansatz erwies sich nicht nur als wirksam, sondern stärkte auch das Vertrauen der Bevölkerung.

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