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«Gefällt mir» gefällt mir nicht

Wäre Italienisch nicht nur eine schöne, sondern auch eine europaweit verstandene Sprache, so wäre längst bekannt, dass Indro Montanelli (1909–2001) einer der bedeutendsten Journalisten des 20. Jahrhunderts war. Controcorrente – gegen den Strom – war sein lebenslanges Markenzeichen, auch dann, als in den bleiernen Siebzigerjahren sogar sein «Corriere della Sera» ängstlich auf einen standpunktlosen Journalismus […]

Wäre Italienisch nicht nur eine schöne, sondern auch eine europaweit verstandene Sprache, so wäre längst bekannt, dass Indro Montanelli (1909–2001) einer der bedeutendsten Journalisten des 20. Jahrhunderts war. Controcorrente – gegen den Strom – war sein lebenslanges Markenzeichen, auch dann, als in den bleiernen Siebzigerjahren sogar sein «Corriere della Sera» ängstlich auf einen standpunktlosen Journalismus zurückwich, derweil er dem linken «radical chic» in seiner neuen Zeitung, dem «Giornale», furchtlos gegenübertrat. Und dafür mit einem Attentat der Brigate rosse bezahlte.

Controcorrente: Den Torheiten des Zeitgeistes Paroli zu bieten, dazu fände Montanelli auch im 21. Jahrhundert reichlich Anlass. Was hätte er zu den armseligen «Diskussionen» gesagt, die sich heute in den Social Media abspielen? Die sich zur Hauptsache darauf beschränken, den «like»-Button anzuklicken und damit einer meistens bereits armseligen, aber immerhin erkennbaren Meinung hinterherzulaufen? «Gefällt mir» ist ja das schlagendste Argument der Diskussionen im Netz: Es wird nur noch gezählt, nicht mehr gewogen.

Den Daumen zu heben oder zu senken, das war einst das Privileg der Tyrannen. Manchmal liessen sie gnädigst die Zuschauer in der Arena daran teilhaben. Demokratische Entscheidungen sehen anders aus. Ihnen geht Meinungsbildung voraus, der Austausch der Argumente pro und contra. Wie und ob sie überhaupt gewogen werden, darin ist der Souverän frei. Aber sie sind da. Heute werden Debatten über Griechenland und den Euro, die Atomkraft oder die Pussy Riots auf dem Niveau von «Gefällt» und «Gefällt mir nicht» geführt. Nur im Netz? Leider nein. Auch die Mediendebatten sind von der neuen Sprachlosigkeit infiziert.

Andrerseits breitet sich in den Social Media eine neue Geschwätzigkeit aus, die alles andere als «social» ist: Um die eigene Befindlichkeit dreht sich fast alles in dieser Einwegkommunikation. Auch das ist eine Form der Sprachlosigkeit.

Nein, den «like»-Button hätte Indro Montanelli nicht angeklickt.

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