Der Wehrwille beginnt im  Elternhaus
Daniel Lätsch, zvg.

Der Wehrwille beginnt im
Elternhaus

Damit sich die Schweiz verteidigen kann, braucht es verantwortungsbewusste Politiker, eine gute Armeeführung, verständnisvolle Unternehmen – und Bürger, die mitmachen.

Kurz vor dem Angriff von Russland auf die Ukraine schätzte der Chef der Armee, Thomas Süssli, die Durchhaltefähigkeit der Schweizer Luftwaffe auf vier Wochen ein – mit dem Verweis darauf, «dass wir die Verteidigungsfähigkeit der Armee 2003 auf den Kompetenzerhalt» reduziert hätten.

Nachdem die Rüstungsausgaben seit 1990 kontinuierlich gesunken waren und 2019 noch 0,71 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) oder 5,6 Milliarden Franken betragen hatten, forderten die bürgerlichen Parteien nun mittels einer Motion die schrittweise Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Konkret soll der Plafond für die Armeeausgaben 2023 um 300 Millionen Franken erhöht werden. Ab 2024 sollen die Armeeausgaben jährlich schrittweise so steigen, dass sie 2030 1 Prozent des BIP betragen, also rund 7 Milliarden Franken.1

Für eine dauerhafte Erhöhung des Verteidigungshaushalts müsste allerdings ein beständiger politischer Wille vorhanden sein. Es sind im bürgerlich dominierten Bundesrat und Parlament aber nicht nur die SPS und die Grünen, die sich konsequent gegen ein angemessenes Armeebudget stemmen. Auch unter bürgerlichen Politikern ging bis vor kurzem der Spruch um, mit Sicherheitspolitik könne man keinen Blumentopf gewinnen.

Es braucht mehr als nur mehr Geld

Doch reicht der materielle Wiederaufbau der Verteidigungsbereitschaft? Die Schweizer Armee leidet nicht nur an Geld-, sondern auch an Personalmangel. Jährlich melden sich rund 6000 Wehrpflichtige aus der Armee ab und leisten Zivildienst. Die Gründe dafür sind vielfältig. Nur 53 Prozent der Zivildienstleistenden gaben in einer wissenschaftlichen Studie für ihren Entscheid Gewissensgründe an.2 Fast die Hälfte der Zivildienstleistenden erklärte, den Wehrdienst aus Prinzip abzulehnen, nicht für einen Militärdienst motiviert zu sein, Probleme mit dem militärischen Alltag und Führungsstil zu haben oder berufliche bzw. schulische Nachteile zu erwarten. In der Tat sind Militärdienst und Studium seit der Einführung des Bologna-Systems noch schwieriger unter einen Hut zu bringen. Aber auch Arbeitgeber nehmen die Wehrpflicht und die damit verbundenen Abwesenheiten der Arbeitnehmer nicht mehr als selbstverständlich hin – Vaterland hin oder her. Immerhin begrüsst heute wieder eine ganze Gruppe bedeutender Arbeitgeber öffentlich eine militärische Kaderlaufbahn.3 Zu den Abgängen in den Zivildienst kommen nun geburtenschwächere Jahrgänge. Es droht die Gefahr, dass der Soll-Bestand der Armee in den nächsten Jahren nicht mehr erreicht wird.

Die Schwächen der Schweizer Armee sind nicht das Resultat eines tiefen Volkseinkommens oder einer zu kleinen Geburtenrate, sondern eines mangelnden politischen Willens. Einerseits erkennt der Bundesrat angesichts der Verschlechterung der Finanzlage keine Dringlichkeit, mehr Mittel in die Landesverteidigung zu investieren, andererseits will das Parlament die hämorrhagischen Abgänge in den Zivildienst nicht stoppen. Und schliesslich sehen die jungen Männer die allgemeine Wehrpflicht nicht mehr als eine Bürgerpflicht, sondern als eine unter mehreren Optionen. Faktisch herrscht ja auch Wahlfreiheit.

«Geistige Widerstandskraft unseres Volkes stählen»

Bereits der Erste Weltkrieg hatte bewusst gemacht, dass Landesverteidigung mehr war als der Einsatz von Streitkräften. Das Aufkommen von Film und Radio in der Zwischenkriegszeit erleichterte die Verbreitung totalitärer Ideologien. Seit den 1920er-Jahren wuchs deshalb die Überzeugung, dass der demokratische Rechtsstaat bereits in Friedenszeiten zu verteidigen sei. Ab 1933 verlangten Parlamentarier, Intellektuelle, Medienschaffende und verschiedene Organisationen, darunter auch der Schweizerische Lehrerverein, Massnahmen zur Stärkung der kulturellen Grundwerte der Schweiz. Angestrebt wurden ein Schulterschluss über alle Parteien hinweg und die Überwindung der Klassengegensätze.4

Diesen Forderungen kam der Bundesrat mit seiner Botschaft vom 9. Dezember 1938 nach. Ziel der Botschaft war die «Kulturwahrung und Kulturwerbung».5 Ein jährlicher Kredit von 500 000 Franken sollte dazu dienen, «in unserem eigenen Volke die geistigen Grundlagen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, die geistige Eigenart unseres Landes und unseres Staates neu ins Bewusstsein zu rufen, den Glauben an die erhaltende und schöpferische Kraft unseres schweizerischen Geistes zu festigen und neu zu entflammen und dadurch die geistige Widerstandskraft…