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Panzer sind kein Auslaufmodell
Fred Heer, zvg.

Panzer sind kein Auslaufmodell

Seit über 100 Jahren bieten Panzer Feuerkraft, Beweglichkeit und Schutz. Im Kampf der verbundenen Waffen werden sie auch in Zukunft eine entscheidende Rolle spielen.

Die Zeit der Panzer ist vorbei! Das haben bis vor kurzem viele behauptet, darunter auch hohe Militärs. Doch das ist ein Irrtum, wie wir spätestens seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine wissen.

Die Militärgeschichte hat es immer wieder gezeigt: Nur wer an der entscheidenden Stelle rasch und genügend Kapazitäten zur Vernichtung des Gegners konzentrieren kann, vermag ihm eine Niederlage zuzufügen. Das gilt seit Menschengedenken und in jedem Krieg, und daher suchte der Mensch schon immer nach der perfekten Kombination von Feuerkraft, Beweglichkeit und Schutz. Jedes Panzermodell ist dabei zwangsläufig ein Kompromiss, denn die Erhöhung eines Parameters führt in der Regel zur Abnahme eines anderen.

Nach dem Ersten Weltkrieg waren sich Sieger und Besiegte in einem Punkt einig: Der Tank hatte die Kriegsführung verändert! Daher wurde 1919 im Versailler Vertrag dem Deutschen Reich der Besitz und die Konstruktion von Panzerwagen verboten. Damit, so glaubte man, sei die Sache erledigt. In der Zwischenkriegszeit verfiel, wegen der allgemeinen Kriegsmüdigkeit, bei den Siegermächten das militärische Denken. Anders beim Verlierer: In Deutschland schrieb man die eigene Niederlage, neben dem Misserfolg der anderen Waffen, auch dem falschen Einsatz der Panzer zu. Entsprechend energisch, zuerst klandestin und dann offen, trieb man die Entwicklung der «Panzerwaffe» voran. Heinz Guderian, der sich im Zweiten Weltkrieg als Panzergeneral einen Namen machte, veröffentlichte bereits 1937 ein Buch mit dem sprechenden Titel «Achtung – Panzer!».

Kampf der verbundenen Waffen

Am Ende des Zweiten Weltkriegs konnten Panzerverbände nur noch selten rasche Vorstösse in die Tiefe durchführen, wie zu Beginn in den «Blitzkriegen». Panzer wirkten nun im «Kampf der verbundenen Waffen» mit, gemeinsam mit den anderen Teilstreitkräften. Im Kriegsverlauf hatten sich Luftüberlegenheit und Artillerieunterstützung als entscheidend erwiesen. Die Operationen wurden langsamer, weil es nach dem Vorbereitungsfeuer aus der Luft und vom Boden aus zum mühsamen Kampf der Panzer gegen Panzerabwehrwaffen kam. Dabei waren die Panzerverbände immer auf die Infanterie angewiesen und umgekehrt. Auch nach 1945 gelangten Panzer in fast jedem bewaffneten Konflikt und auf jedem Terrain zum Einsatz. Als die Ungarn 1956 und die Tschechen 1968 die Fremdherrschaft abschütteln wollten, erstickten die sowjetischen Tanks die Freiheit. Panzerverbände wurden in Korea und Vietnam, im Nahen und Mittleren Osten, im Balkan und am Hindukusch eingesetzt.

Eine Konstante ist, dass nach fast jedem Waffengang das Ende der Panzer vorausgesagt wurde. Viele Experten verkündeten 1973 das Aus, denn die neuen sowjetischen Panzerabwehrlenkwaffen AT-3 und die Panzerfaust RPG-7 hatten sich im Jom-Kippur-Krieg als äusserst wirksam erwiesen. Aber das war Wunschdenken. In nur einer Nacht passte General Israel Tal die Taktik an: Die Panzer kämpften nicht länger allein, sondern wieder eng im «Kampf der verbundenen Waffen». Luftwaffe und Artillerie hielten im Angriff die gegnerischen Abwehrstellungen nieder, und Panzergrenadiere sicherten den Nahbereich. Dank dieser neuen bzw. alten Taktik gingen die Verluste rasch zurück.

«Panzer galten als Relikte des Kalten Kriegs, doch mit dem
Krieg in der Ukraine haben sie wieder an Bedeutung gewonnen.»

Etwas später, mit dem Aufkommen der Kampf- und Panzerabwehrhubschrauber, wurde wieder das Ende der Panzer prophezeit. Hubschrauber verfügen zwar über grosse Beweglichkeit und Feuerkraft, bieten aber nicht den Schutz eines Panzers und sind wegen des ständigen Nachtankens und Aufmunitionierens zeitlich nur beschränkt verfügbar. Das Gleiche gilt für die speziell zur Bekämpfung gepanzerter Fahrzeuge entwickelten Flugzeuge, wie zum Beispiel den amerikanischen A-10 Thunderbolt oder die russische Suchoi Su-25. Panzerverbände können zwar aus der Luft vernichtet werden, aber Luftstreitkräfte können Gelände weder besetzen noch verteidigen. Dazu braucht es Bodentruppen.

Panzer im Ukrainekrieg: Aktion und Reaktion

Auch im Ukrainekrieg werden Panzer – einmal mehr – totgesagt. Zu Beginn wurden viele russische Panzerfahrzeuge zerstört, weil die Führung mit einem raschen Sieg rechnete und den «Kampf der verbundenen Waffen», die Logistik und die Führung sträflich vernachlässigte. Doch der Hauptgrund für die grossen Verluste ist wieder eine neue Generation von Abwehrlenkwaffen, allen voran die von den USA gelieferten Javelins. Das tragbare Einmannsystem kann gepanzerte Ziele bis auf 2000 Meter bekämpfen. Dabei muss der Schütze das Ziel nur während des Abschusses anvisieren, und anschliessend findet die Rakete selbständig ihren Weg. Kurz nach dem Start steigt sie auf eine Höhe von etwa 150 Metern und fliegt dann von oben ins Ziel. Die neue Panzerabwehrrakete verfügt über zwei hintereinander angeordnete Hohlladungen. Die kleine vordere soll die Reaktivpanzerung des Panzers zur Explosion bringen, so dass danach die hintere, grössere die Hauptpanzerung durchdringen kann. Aber: Eine Rakete kostet rund 100 000 US-Dollar.

Neu gelangen erstmals auch Drohnen zum Einsatz gegen Panzer. Die USA liefern der Ukraine kleine, nur etwa drei Kilogramm schwere Kampfdrohnen, die Switch-Blades. Diese sind viel billiger als die Javelins und greifen das Ziel ebenfalls von oben an. Zusätzlich liefern eingebaute Kameras Informationen über den Gegner. Die Türkei unterstützt die Ukraine mit grossen Kampfdrohnen vom Typ Bayraktar, die ein Startgewicht von etwa 700 Kilogramm und eine Spannweite von knapp zwölf Metern aufweisen. Das System operiert in mittleren Höhen und kann länger als 24 Stunden in der Luft bleiben.

Die russischen Streitkräfte waren zu Beginn ihrer Invasion – wie die Israeli im Jom-Kippur-Krieg – auf den Einsatz dieser neuen Generation von Panzerabwehrlenkwaffen und Kampfdrohnen offensichtlich nicht vorbereitet. Allerdings haben sie in der Zwischenzeit aus ihren Fehlern gelernt und Fortschritte im «Kampf der verbundenen Waffen» gemacht. Auch Führung, Kommunikation und Logistik wurden verbessert, und die Panzerformationen operieren nun wieder gemeinsam mit den motorisierten Schützen und der Artillerie. Zum Schutz gegen die neuen Panzerabwehrraketen und Drohnen montieren die russischen Panzerbesatzungen eine Art Metallkäfig über den Panzertürmen. Die bizarr aussehenden, improvisierten Konstruktionen sollen die Hohlladungen der Raketen frühzeitig zur Auslösung bringen oder zumindest ablenken.

Die Oberseite eines Panzers kann aus technischen Gründen nur schlecht verstärkt werden. Deshalb versuchen moderne Abwehrsysteme den Panzer nicht nur von der Seite oder von hinten, sondern auch von oben zu «knacken». Gegen diese neue Bedrohung gibt es für Panzer bereits seit einiger Zeit Selbstschutzsysteme, die nicht nur horizontal anfliegende Panzerabwehrraketen erkennen und bekämpfen können. Ein Teil der russischen Panzer ist bereits seit den 1990er-Jahren mit dem Selbstschutzsystem Arena ausgerüstet. Arena ist darauf ausgelegt, eine anfliegende Rakete bereits vor dem Auftreffen auf den Panzer zu zerstören. Aber der nach unten gerichtete Splitterkegel erlaubt es nicht, von oben anfliegende Raketen zu neutralisieren. Das israelische Selbstschutzsystem des Merkava 4 (Trophy) gilt als bisher einzige einsatzfähige Lösung, die gegen Angriffe aus allen Richtungen schützen soll. Ein spezielles Radar erfasst die anfliegende Rakete, und eine am Turm angebrachte Ladung wird auf sie ausgerichtet. Kurz vor dem Einschlag wird die Ladung gezündet und die Rakete mit einem Splitterkegel («Schrotschuss») zerstört. Trophy soll in der Lage sein, gleichzeitig mehrere und sogar aus nächster Nähe abgefeuerte Raketen zu bekämpfen.

Auf dem Gebiet der Technik und Taktik stehen Aktion und Reaktion in ständiger Wechselwirkung. Der Einsatz neuer Waffen veranlasst den Verteidiger zu Gegenmassnahmen, die dann beim Angreifer erneut Änderungen auslösen. Die sich daraus ergebende Kettenreaktion verändert Einsatzdoktrin und Organisation beider Seiten.

Auch westliche Panzer sind keine Wunderwaffen

Obwohl die Zeit der Panzer wieder einmal vorbei sein soll, erhoffen sich die Ukrainer ausgerechnet von westlichen Panzern die Wende. Viele Befürworter von Waffenlieferungen glauben allen Ernstes, einige Dutzend Kampf- und Schützenpanzer verhülfen den Ukrainern zum Sieg. Damit liegen sie aus zwei Gründen falsch: Erstens sind auch die westlichen Panzer keine Wunderwaffen, und zweitens hängt die Wirkung vom Umfang der Lieferungen ab.

Obschon der deutsche Leopard 2 noch nie in einem grösseren Einsatz stand, geniesst er einen ausgezeichneten Ruf, und man war lange der Ansicht, nur andere Panzer könnten ihm gefährlich werden. Aber seit im Sommer 2016 Kämpfer der Jihadistengruppe «Islamischer Staat» (IS) etwa ein Dutzend Leopard 2 der türkischen Armee mit Panzerabwehrwaffen aus den 1970er-Jahren ausschalteten, hat sein Ruf gelitten. Im Gegensatz zum Leopard 2 hat sich der amerikanische M1 Abrams im Einsatz bewährt. Im Golfkrieg von 1990/91 trafen die US-Streitkräfte auf irakische Panzerverbände, die mit dem russischen T-72A ausgerüstet waren, einem noch aus der Zeit der Sowjetunion stammenden Exportschlager. Die Amerikaner sollen, dank ihrer überlegenen Taktik und dem M1 Abrams, über 100 irakische T-72A ausgeschaltet haben. Doch im Krieg von 2003 verloren auch die US-Streitkräfte viele ihrer modernen Panzer, weil die irakische Armee in der Zwischenzeit aus ihren Fehlern gelernt hatte.

Für den Kampf gegen den IS überliessen die USA der neu formierten irakischen Armee 140 M1 Abrams. Bereits nach kurzer Zeit waren 28 Panzer vernichtet oder schwer beschädigt. Bis heute sollen die Kämpfer des IS die Hälfte der M1 Abrams ganz oder teilweise zerstört haben. Mit der Lieferung moderner Waffen ist es also nicht getan, es muss auch die richtige Einsatzdoktrin angewendet werden. Daher könnte in der Ukraine auch den hochgelobten Leoparden und Abrams das gleiche Schicksal blühen. Vermutlich hat der Kremlsprecher Dmitri Peskow recht, wenn er sagt: «Auch diese Panzer brennen, und sie werden brennen!»

Panzer allein bringen noch keine Wende. Sie kämpfen immer im Verbund mit anderen Boden- und Luftstreitkräften. Aus diesem Grund ist die isolierte Lieferung von Kampf- und Schützenpanzern ein zweifelhaftes Vorhaben. Für eine erfolgreiche, grosse strategische Offensive benötigen die ukrainischen Streitkräfte vom Westen ungefähr 300 Kampf- und etwa 600 bis 700 Schützenpanzer. Um die russischen Invasoren auf den Stand des 23. Februar 2022 zurückzudrängen, bräuchte die Ukraine zusätzlich rund 500 weitreichende Artilleriegeschütze, moderne Luftabwehrsysteme sowie eine grössere Anzahl Kampfhubschrauber und -flugzeuge. Erforderlich sind zudem an den neuen Systemen gut ausgebildete Truppen, moderne Führungs- und Kommunikationsmittel sowie die entsprechende Logistik.

Nicht nur Russland, auch die Ukraine hat im vergangenen Jahr schwere Verluste erlitten; die Amerikaner sprechen von etwa 100 000 Mann. Daher müssen viele Angehörige der Streitkräfte nicht nur von alten sowjetischen auf neue westliche Systeme umgeschult, sondern von Grund auf neu ausgebildet werden, was Zeit benötigt. Es entsteht ein Flickenteppich aus Waffensystemen in der ukrainischen Armee – ein Albtraum für die Logistik. Wer stellt die Instandhaltung dieser nur teilweise kompatiblen Systeme sicher, wer liefert genügend Ersatzteile und Munition? Und: Ist die Führung der ukrainischen Streitkräfte in der Lage, eine Grossoffensive erfolgreich zu führen, von der Aufklärung über den «Kampf der verbundenen Waffen» bis hin zur Logistik und zum Sanitätsdienst? Um einen Divisionsverband so weit zu bringen, rechnet die Nato mit rund zwei Jahren.

Ein Panzer in der Schweizer Bergwelt, erstellt mit dem KI-Programm Midjourney.

Kein Verkauf von Leoparden ins Ausland!

Nach dem Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs haben fast alle Armeen die Zahl ihrer Panzer drastisch reduziert. Auch hierzulande wurden die Bestände rasant abgebaut. Heute verfügt unsere Armee – von den einst 380 in der Schweiz in Lizenz hergestellten Leopard 2 – nur noch über 134 modernisierte Panzer 87 WE. Weitere 96 Panzer 87 wurden stillgelegt. Statt die stillgelegten Kampfpanzer, wie dies einige Schweizer Politiker fordern, ins Ausland zu liefern, müssten diese möglichst rasch modernisiert und wieder in die Armee integriert werden, weil derzeit nicht einmal alle drei Mechanisierten Brigaden mit genügend Panzern und Schützenpanzern ausgerüstet sind! Seit Jahren versuchen militärische Vereine und Organisationen, dies dem Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport klarzumachen, bisher erfolglos. Unsere Armee befindet sich heute bezüglich mechanisierter Mittel im etwa gleich lamentablen Zustand wie vor dem Zweiten Weltkrieg.

«Statt die stillgelegten Kampfpanzer, wie dies einige Schweizer Politiker
fordern, ins Ausland zu liefern, müssten diese möglichst rasch
modernisiert und wieder in die Armee integriert werden.»

Panzer galten als Relikte des Kalten Kriegs, doch mit dem Krieg in der Ukraine haben sie wieder an Bedeutung gewonnen. Zur asymmetrischen Kriegsführung und zum Szenario eines Cyberkriegs ist das Bedrohungsbild eines konventionellen Kriegsszenarios zurückgekommen. Die Prognosen über die Zukunft des Krieges aus der Zeit um die Jahrtausendwende haben sich nicht in der damals dargestellten Deutlichkeit materialisiert – auch das ist nicht neu. Trends lassen sich erkennen, aber ob sich die Wirklichkeit dann so entwickelt, war schon immer eine andere Frage. Neue Waffen und Munitionsarten, hybride Antriebe, neue Werkstoffe, lernende digitale Systeme und so weiter werden in ihren Kombinationen Gefechtsfahrzeuge ermöglichen, die wir uns heute noch nicht vorstellen können. Weil aber Kriege noch immer am Boden entschieden werden, wird die «bodengebundene, auf Ketten fahrende und gepanzerte Kanone» (eine Definition des Panzers, die ich schon seit Jahrzehnten verwende) beim Kampf der verbundenen Waffen auch in Zukunft eine entscheidende Rolle spielen.

«Unsere Armee ­befindet sich heute bezüglich mechanisierter
Mittel im etwa gleich lamentablen Zustand
wie vor dem Zweiten Weltkrieg.»

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