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Hans Kaufmann, zvg.

Zwischen Expansion und Schuldenlast

Steigende Ausgaben bei stagnierenden Einnahmen – eine Rückschau auf die bisherige Haushaltspolitik der EU.

Geld bedeutet Macht. Das gilt auch für die EU. Spaniens sozialistische Regierung hat im Februar 2025 eine Verdoppelung des EU-Haushalts gefordert, um gegen Trumps «Handelskrieg» und die militärischen Bedrohungen besser gewappnet zu sein. Die EU solle ihre Ausgaben «auf mindestens zwei Prozent des jährlichen BIP» erhöhen. Solch eine weitreichende Forderung nach mehr Mitteln für die EU-Zentrale ruft nach einer gründlichen Lagebeurteilung und einem Rückblick auf die bisherige EU-Haushaltspolitik.

Der EU-Haushalt wird nicht nur von der Inflation belastet. Noch stärker fallen die Ausweitung der Kompetenzgebiete und die Lancierung von angeblichen Notprogrammen der EU-Kommission ins Gewicht. Seit 1990 treten jährlich über 2000 neue EU-Gesetzesakte in Kraft. Insgesamt summieren sich seit 1990 fast 75 000 Basisgesetze und -verordnungen sowie Anhänge und Ergänzungen. Diese führen zu Durchsetzungs- und Kontrollaufgaben, die nicht gratis zu haben sind.

Eigenständiges Budget seit 1971

Einen Überblick über die Finanzen der EU zu gewinnen, ist anspruchsvoll. Nicht nur werden in der EU-Rechnung rund 50 administrative EU-Einheiten konsolidiert. Zur EU gehören zahlreiche weitere Institutionen wie die Europäische Investitionsbank und die Europäische Zentralbank, die zwar nicht in der Rechnung erscheinen, aber für die Finanzierung der EU-Vorhaben ebenfalls eine wichtige Rolle spielen.

Der Budgetprozess der EU wurde im Laufe der Jahre mehrmals angepasst. Die Europäische Union in ihrer heutigen Form wurde 1993 mit dem Vertrag von Maastricht gegründet. Ihre Vorläuferorganisation, die Europäische Gemeinschaft, verfügte bereits über einen eigenen Haushalt. Sie finanzierte sich durch Abgaben auf der Kohle- und Stahlproduktion sowie über Darlehen. Zwischen 1958 und 1979 wurde das Euratom-Budget und ab 1965 das administrative EGKS-Budget mit einem Beitragssystem der Mitgliedsländer finanziert: Deutschland, Frankreich und Italien zahlten je 28 Prozent, Belgien und die Niederlande je 7,9 Prozent und Luxemburg 0,2 Prozent. Im April 1970 wurde beschlossen, die Direktbeiträge der Mitgliedsländer ab 1971 peu à peu durch EU-eigene Finanzierungsquellen, sogenannte «Eigenmittel», abzulösen. Die Quotenbeiträge wichen einem Anteil am Bruttonationaleinkommen. Hinzu kamen Anteile an den Zöllen, Abgaben auf Agrarprodukten und Mehrwertsteueranteile. Letztere waren ab 1979 zunächst auf ein Prozent begrenzt, weswegen die EU-weite Mehrwertsteuerbasis 1977 und 1979 harmonisiert wurde. Damit markiert 1971 den Beginn eines eigenständigen Budgets der Europäischen Gemeinschaft.

«Seit 1990 treten jährlich über 2000 neue EU-Gesetzesakte in Kraft. Insgesamt summieren sich seit 1990 fast 75 000 Basisgesetze und -verordnungen sowie Anhänge und Ergänzungen.»

Die Rückschau auf die Budgetierung des EU-Haushaltes zeigt, dass diese nicht immer reibungslos über die Bühne ging. Vor diesem Hintergrund legte der Rat im Februar 1988 Regeln für eine solidere Budgetdisziplin fest. Der Lissaboner Vertrag vom 1. Dezember 2009 etablierte den Mehrjahresfinanzrahmen, der mindestens fünf Jahre umfassen soll. Der erste Finanzplan wurde für die Periode 2014 bis 2020 aufgestellt. Heute beginnen die Verhandlungen über einen neuen mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) in der Regel einige Jahre vor Beginn des neuen Haushaltszeitraums.  Die formellen Verhandlungen starten mit einem Vorschlag der EU-Kommission, gefolgt von Diskussionen im Rat der EU und im Europäischen Parlament.

Seit der Verabschiedung des EU-Haushalts 2021–2027 im Jahr 2020 sah sich die EU mit mehreren unerwarteten Krisen konfrontiert, angefangen beim russischen Angriff auf die Ukraine und dem damit verbundenen Anstieg der Inflation und Zinsen bis hin zu Migration und dem Nahostkonflikt. Diese Herausforderungen brachten den EU-Haushalt an seine Grenzen. Als Reaktion darauf schlug die EU-Kommission im Juni 2023 eine Budgetaufstockung um 64 Milliarden Euro vor.

Für den MFR 2028–2034 wird die Kommission ihren Vorschlag voraussichtlich im Jahr 2025 oder Anfang 2026 vorlegen. Grund dafür ist, dass sie in ihrer Amtszeit von 2024 bis 2029 einen neuen langfristigen Haushaltsplan vorschlagen will, der stärker auf die (ideologischen) Prioritäten der EU ausgerichtet sei.

EZB finanziert Haushalte der EU-Länder

Mit der Gründung der EZB entstand zugleich ein Lagerhaus für Staatsanleihen. Aktuell hält sie festverzinsliche Wertschriften von rund 4400 Milliarden, wovon etwa 1900 Milliarden auf staatliche Anleihen aus dem Euroraum entfallen – was rund 15 Prozent der ausstehenden Schulden der Euroländer entspricht. Damit finanziert die EZB de facto die Eurostaaten, auch wenn dies immer wieder abgestritten wird.

Bei der Begutachtung der historischen Budgets gilt es zu beachten, dass die Zahl der EU-Länder stetig wuchs – durch den Brexit am 31. Januar 2020 aber einen erheblichen Rückschlag erlitt. Grossbritannien war gemäss dem Budget 2014‒2020 mit einem jährlichen Beitrag von 17 Milliarden der viertgrösste Beitragszahler. Obwohl das Land gleichzeitig sieben Milliarden aus Brüssel erhielt, bedeutete das Ausscheiden einen Nettoverlust von zehn Milliarden. Die zeitlichen Abgrenzungen, die Überträge nicht beanspruchter EU-Gelder und die gestaffelte Einführung von Sonderfonds wie dem 750 Milliarden schweren NextGenerationEU (NGEU) -Topf verwischen die Transparenz zusätzlich. Die nachfolgenden Feststellungen stützen sich auf die EU-Jahresberichte 2013 bis 2023. Der Jahresbericht 2024 wird erst Ende Juni 2024 verfügbar sein.

Einnahmen

In den letzten zehn Jahren machten die Einnahmen 1,1 bis 1,3 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung der EU-Länder aus. Wäre die Schweiz heute EU-Mitglied, müsste sie rund elf Milliarden an die EU-Kasse abliefern, was rund 13 Prozent des Schweizer Bundeshaushaltes entspräche.

2023 erzielte die EU Einnahmen von 172 Milliarden, denen 243 Milliarden Ausgaben gegenüberstanden. Der Löwenanteil der eigenen Einnahmen – 67 Prozent – stammt aus GNI-Beiträgen. Die Mehrwertsteueranteile machen 15 Prozent aus, die übrigen eigenen Einnahmen 13 Prozent, die Abgaben auf Plastikabfällen 5 Prozent. Nebst den eigenen Einnahmen fliessen unplanbare Bussen, Währungsgewinne und Rückforderungen in die EU-Kasse. Trotz des Brexitbeitrages von 48 Milliarden summierten sich die Defizite in den letzten zehn Jahren auf rund 150 Milliarden. In der Bilanz klafft ein Fehlbetrag von 212 Milliarden, der als «noch einzubezahlende Beiträge» bezeichnet wird.

Das Geschäftsvolumen der EU ist allerdings wesentlich grösser, als es in der konsolidierten Rechnung zum Ausdruck kommt. Bezieht man die Kapitalflüsse aus Kreditaufnahmen ein, die an die Mitgliedsländer weitergeleitet werden, beliefen sich die Einnahmen 2023 auf 248 Milliarden und die Ausgaben auf 332 Milliarden.

«Wäre die Schweiz heute EU-Mitglied, müsste sie rund elf Milliarden an die EU-Kasse abliefern, was rund 13 Prozent des Schweizer Bundeshaushaltes entspräche.»

Die EU will in den kommenden Jahren weitere Mittel beschaffen, wobei die politischen Prioritäten der EU auch auf der Einnahmenseite des EU-Haushalts verankert werden sollen, um damit den ökologischen und digitalen Wandel zu unterstützen. Da die EU nicht befugt ist, Steuern zu erheben, werden diese Mittel nicht als Steuern bezeichnet. Am 20. Juni 2023 legte die Kommission ihren Vorschlag für eine neue Generation von neuen Einnahmequellen von:

  1. Ein 30-prozentiger Anteil an den Einnahmen aus dem Emissionshandel in der EU. Bezahlen sollen Kraftwerke, die Industrie, Luft-, Strassentransport- und Seefahrtsunternehmen und Immobilienbesitzer.
  2. 75 Prozent der Einnahmen der EU-Länder aus dem CO2-Grenzausgleichsmechanismus. Dieser gilt für Importe aus Ländern ausserhalb der EU, die kein vergleichbares CO₂-Bepreisungssystem haben. Betroffen sind Einfuhren von Zement, Eisen, Stahl, Aluminium, Dünger und Gas.
  3. Eine zeitlich begrenzte Steuer von 0,5 Prozent auf Unternehmensgewinne, basierend auf einer von der EU festgelegten Bemessungsgrundlage.

Ausgaben

Während die Einnahmen von 2013 bis 2023 nur um 13 Prozent anstiegen, legten die Ausgaben ohne die Finanzierungen aus Sonderfonds um 56 Prozent zu. Rund 94 Prozent des EU-Budgets fliessen in Programme und Projekte in und ausserhalb der EU. Rund sechs Prozent entfallen auf die Administration, wovon etwa die Hälfte auf die Personalkosten. 2024 beschäftigte die budgetrelevante EU-Administration knapp 33 000 Mitarbeiter, während die Gesamtbelegschaft aller 79 EU-Institutionen 79 000 Personen umfasste. Hinzu kommen zahlreiche ausgelagerte Stellen wie Beratungsmandate an Thinktanks et cetera. Trotz der grosszügigen Löhne sind die Personalkosten aber nicht das Hauptproblem für die erodierenden EU-Finanzen, sondern die gewaltigen Ausgaben für den rot-grünen Umbau der Wirtschaft und Gesellschaft. In den zehn Jahren stiegen die von der EU-Kommission initiierten Ausgaben markant von 8 auf 25 Prozent. Noch bedrohlicher wachsen die Finanzkosten: Sie wuchsen von 2,4 auf 14,4 Milliarden und übersteigen damit die gesamten Administrationskosten.

Heute fliessen mehr als 50 Prozent des Mehrjahresbudgets und des NextGenerationEU-Funds in die neuen Prioritätsgebiete: Forschung und Innovation, Klima- und digitale Transformation, Krisenbereitschaft, wirtschaftliche Erholung, Widerstandsfähigkeit und Gesundheitsprogramme.

«Trotz der grosszügigen Löhne sind die Personalkosten aber nicht das Hauptproblem für die erodierenden EU-Finanzen, sondern die gewaltigen Ausgaben für den rot-grünen Umbau der Wirtschaft und Gesellschaft.»

Schulden

Gemeinschaftsschulden sind der EU grundsätzlich nicht erlaubt. Allerdings darf sie zur Bewältigung von Notlagen Anleihen auf eigene Rechnung emittieren. Die rechtliche Grundlage dafür bildet der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in den Artikeln 122 und 352. Diese legen fest, dass die EU in aussergewöhnlichen Krisensituationen – wie Naturkatastrophen oder wirtschaftlichen Schocks – gemeinsame Schulden aufnehmen darf, um Mitgliedsstaaten finanziell zu unterstützen. Diese Ausnahmeklausel wird von der EU immer häufiger genutzt, indem laufend neue Notfälle ausgerufen werden.

Die gemeinsame Schuldenaufnahme ist rechtlich als befristete Ausnahme konzipiert. Zwar bleibt der Grundsatz des Artikels 310 AEUV bestehen, wonach der EU-Haushalt ausgeglichen sein muss. Von diesem Ziel ist die EU allerdings derzeit weit entfernt. Die EU-Kommission arbeitet deshalb daran, Schulden als reguläres Finanzierungsinstrument zu etablieren, wie verschiedene Gutachten und Studien nahelegen. Die Anleihen werden durch das EU-Budget garantiert.

Bis 2020 wurden Gelder vom Kapitalmarkt nur aufgenommen, um sie als Darlehen an die Mitgliedsländer weiterzuleiten. Mit der Einführung der NGEU-Instrumente werden nun auch nichtrückzahlbare Hilfsgelder damit finanziert.

In den letzten 10 Jahren sind diese ausstehenden Anleihen von 60 auf 458 Milliarden angestiegen. 2024 und 2026 werden weitere dreistellige Milliardenbeträge hinzukommen, da Ende 2023 von den eingegangenen Verpflichtungen 543 Milliarden noch nicht ausbezahlt waren.

Zusätzliche Defizite und Schulden in den nächsten Jahren kann man zwar mit Ausnahmeklauseln rechtfertigen, aber die Realität lässt sich damit nicht verdrängen. Trotz rechtlichen Tricksereien verbleiben den EU-Ländern neue Schulden, die es zu verzinsen und zu amortisieren gilt. Die nichtrückzahlbaren Darlehen müssen zwar nicht vom Empfängerland alleine, aber von allen Mitgliedsländern verzinst und amortisiert werden.

Man darf gespannt sein, ob die Entscheidungsträger in Brüssel bei der nächsten Gelegenheit ‒ das wäre dann die Gestaltung des Finanzrahmens 2028–2034 ‒ aus den Fehlern der Vergangenheit lernen werden. Skepsis ist angebracht.

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