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Zerlegung eines Kampfbegriffs

Zerlegung eines Kampfbegriffs

Pascal Bruckner: Der eingebildete Rassismus.

 

In den vergangenen Jahrzehnten fiel in gesellschaftspolitischen, kulturellen und wissenschaftlichen Debatten zunehmend ein Wort, das nahelegt, dass jeder Einwand, der gegen den Islam erhoben wird, einer krankhaften Regung entspringe: «Islamophobie». Obwohl die begriffliche Komposition bereits sprachlich dubios anmutet, konnte sie im Stillen einen Siegeszug antreten und zugleich ihre Herkunft, die keineswegs unschuldig ist, geschickt verdecken: Es waren schliesslich islamistische Kräfte, die ein wesentliches Interesse daran hatten, Kritik an ihnen auf eine Weise zu verunmöglichen, die nicht sofort auffällt. So kommt es zu dem zunächst seltsam anmutenden Umstand, dass sich jenes Wort heute gerade dort einer unheimlichen Popularität erfreut, wo einst mit besonderer Verve für Religionskritik gestritten worden war: unter Linken. Insbesondere von diesen wird nunmehr abgewehrt und schöngeredet, was unzweifelhaft kritikwürdig ist – ob rohe Männlichkeit und die zugehörige Unterwerfung von Frauen unter erzkonservative Sittsamkeitsvorstellungen, ob die schleichende Unterwanderung westlicher Institutionen oder das heimlich vorangetriebene Atomprogramm der «Islamischen Republik».

Der französische Philosoph Pascal Bruckner hat nun mit dieser Entwicklung aufgeräumt. In seinem 2017 in Frankreich erschienenen und jetzt auch in deutscher Sprache vorliegenden Essay «Der eingebildete Rassismus» zeigt er, dass das taktische Einsickern des Begriffs in den allgemeinen Sprachgebrauch nur wenigen bewusst zu sein scheint, während diejenigen, die es besser wissen müssten – allen voran andere Philosophen –, bei zahlreichen ­Gelegenheiten suggeriert haben, dass der Westen schon selber schuld daran sein müsse, wenn sich Aggressionen gegen ihn richteten. Angesichts der zahlreichen von Islamisten verübten Terroranschläge in Europa mit Hunderten Toten in den letzten Jahren bringt Bruckner diese ideologische Umkehr, die einer Wiedereinführung der Erbsünde unter säkularen Vorzeichen gleicht, auf die Formel «Die Schuld des ­Opfers und die Unschuld der Henker». Zum anderen – und dies ist entscheidender – weist er darauf hin, dass die Popularität des Begriffs «Islamophobie» dem konkreten linken Bedürfnis entspringt, mit einem neuen revolutionären Subjekt, das noch das Potenzial zum globalen Umsturz verspricht, gegen Bürgertum und Kapitalismus vorzugehen. Es handle sich folglich um einen «Zusammenschluss der Ressentiments im Milieu der grossen Verlierer».

Bruckner geht es explizit darum, «Zweifel und Unbehagen» am Kampfbegriff «Islamophobie» zu vertiefen und diesen dadurch «zu schwächen». Da mittlerweile jedwede sachliche Diskussion über schwerwiegende gesellschaftliche Probleme, die sehr wohl mit dem Islam zu tun haben, moralisch verstellt ist, kann diesem Vorhaben nur beigepflichtet werden. Der Preis, der bislang für die fehlende Kritik zu entrichten war, sollte nicht länger in die Höhe getrieben werden.


Pascal Bruckner: Der eingebildete Rassismus. Islamophobie und Schuld. Berlin: Edition Tiamat, 2020

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