Klangfarbe und Kehlkopfschlag, aber keine Klischees
Vorurteile über das Jodeln sind hartnäckig, verfliegen aber im Nahkontakt. Eine Probestunde bei der Jodlerin und Sopranistin Franziska Wigger.

Jodeln. Wie das schon tönt! Jodeln. Kann solch ein seltsames Wort wirklich für eine aufregende Freizeitbeschäftigung, für etwas kulturell Hochkarätiges oder für etwas Verbindendes stehen, das Menschen zusammenbringt, ohne andere zugleich in Scharen davonrennen zu lassen, frage ich mich in Vorbereitung dieses Beitrags. Jo-deln. Also bitte! Bereits der Sound des Verbs legt etwas völlig Sinnbefreites nahe. Und dann ist da noch dieser unvergessliche Loriot-Sketch über eine Jodelschule, in der zugeknöpfte Erwachsene üben, korrekt «Holleri-di-dödel-du» zu intonieren – nur um vom Lehrer darüber belehrt zu werden, dass es tatsächlich «Holleri-du-dödel-di» heisst und nicht anders, gefolgt von «Diri-diri-dudl-dö». Den Zweck des «Jodeldiploms», das dort innert zwei Jahren zu erwerben ist, erklärt eine Schülerin folgendermassen: «Ich möchte auch als Frau eine sinnvolle Tätigkeit ausüben und nicht nur am Kochtopf stehen.» Bei Städtern dürfte diese beissende Kritik an etwas sehr Ländlichem sicherlich ziehen.
Wie kann es also sein, dass dieses zunächst unverständliche Trällern, bei dem bereits Zweifel bestehen, ob es sich überhaupt um Gesang handelt, im Alpenraum solch einen Stellenwert geniesst? Wie ist es möglich, dass Menschen bei derart unzusammenhängend wirkenden Lauten das Herz aufgeht? Und wie kann man so etwas überhaupt erlernen? Um all diese Fragen zu klären, hilft nur eines: Ich muss selbst einen Jodelkurs belegen. Mit den vorgenannten Bedenken, aber auch mit hoher Bereitschaft, das eigene Bild von diesem eidgenössischen Brauchtum zurechtzurücken, mache ich mich auf die Suche nach einer geeigneten Lehrperson. Von Anfang an ist klar, dass es jemand aus der Innerschweiz sein muss. Bei jodelnden Aargauern oder Schaffhausern liegt schliesslich die Vermutung nahe, dass sie lediglich einen geografischen Rand des Phänomens besetzen und deshalb die Softies dieser Sparte sind. Je tiefer aus dem Landesinnern, umso besser.
Häufiger Registerwechsel
Im Kanton Luzern werde ich fündig. Franziska Wigger ist nicht nur eine der bekanntesten Jodlerinnen der Schweiz, sondern als Sängerin auch noch in der klassischen Musik wie im Pop unterwegs. Erste Erkenntnis: Diejenigen, die diese Tradition pflegen, können durchaus mit gleicher Kompetenz in anderen Genres zu Hause sein. Das beruhigt mich, denn dieser Umstand lässt vermuten, dass das Jodeln gar nicht so provinziell ist, wie sein Ruf vermuten lässt. Zudem ist Wigger Gesangspädagogin und hat Lehrmittel zur Sache mitverfasst, was mich hoffen lässt, dass sie einem absoluten Beginner wie mir ermutigend zusprechen dürfte, sollten die ersten Töne nicht sitzen.
Tatsächlich empfängt mich die gebürtige Entlebucherin nicht nur vorbehaltlos, sondern überaus zugewandt bei sich zu Hause in Büron. Im Unterrichtsraum steht ein Klavier, ein sehr grosser Spiegel hängt an der Wand, es ist geräumig und nichts erfüllt Klischees vom Brauchtum. Erfreulicherweise macht alles den Eindruck, als liesse sich in diesem Zimmer üben, ohne Rücksicht auf die Nachbarn nehmen zu müssen. Dass es laut werden könnte, hatte ich vermutet. Und tatsächlich: In dem Moment, als Wigger beginnt, mir probeweise etwas Kurzes vorzusingen, erfüllt ihre beachtliche Stimme fast das gesamte Haus.
Ich bekomme eine Einführung in Stimmbildung, Atemtechnik und Körperhaltung. Zur Veranschaulichung, um was es sich beim Jodeln eigentlich handelt, hat meine Lehrerin eine sehr konzise Definition zur Hand: Das Naturjodeln ist eine textlose Gesangsform, die auf Silben- und Vokalverbindungen basiert. Ich erfahre, dass der Unterschied zum regulären Singen darin besteht, zwischen dem sogenannten «Brustregister», das für die tiefen Töne zuständig ist, und dem sogenannten «Kopfregister», das die hohen Töne hervorbringt, zu wechseln; Männer verfügen zusätzlich noch über ein Falsettregister. Die Jodelkunst besteht nun im wesentlichen darin, sehr schnell zwischen diesen Registern zu changieren. Wigger erklärt es mir an der Silbenfolge «Jo-lo-lo-lo», die in der tieferen Lage deutlich dunkler tönt, in der höheren hingegen offener, heller, einladender. Stimmt man nun die eine Silbe tief, die nächste aber hoch an, ergibt sich der…

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Dieser Artikel ist in Ausgabe 1103 – Februar 2023 erschienen. Er ist nur registrierten, zahlenden Nutzern zugänglich. Vollen Zugang erhalten Sie über unsere attraktiven Online- und Printangebote.
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