Das verschleierte Kostenwachstum
Neue Methoden der Verwaltungsführung und die Auslagerung von Tätigkeiten an staatseigene Firmen versprechen den Staat effizienter zu machen. Heraus kommt das Gegenteil: Die Transparenz nimmt ab, die Kosten steigen.
In den 1990er-Jahren sind die Staatsschulden in der Schweiz stark gewachsen. Es bestand ein breiter Konsens darüber, dass der staatliche Fussabdruck zu verringern sei. Selbst Beamte empfanden die Verwaltung als zu bürokratisch. Und siehe da: Die eindunkelnde Kulisse schuf den notwendigen Druck für Reformen.
New Public Management, flache Hierarchien, mehr Autonomie, aber auch Controllinginstrumente und nicht zuletzt neue Personalgesetze, die das Ende des Beamtenstatus besiegelten: All dies hielt Einzug in die Verwaltung. 1998 wurde die Verwaltungseinheit von Post-, Telefon- und Telegrafenbetrieben durch die modernen Aktiengesellschaften Schweizerische Post und Swisscom ersetzt.
Die Reformen lieferten in ihrem Instrumentenkasten die Messmethoden für die Erfolgskontrolle gleich mit. Und diese Methoden zeigen heute: Die Reformen waren ein Erfolg. Staatsausgaben und -einnahmen sind ausgeglichen, die Verwaltungsausgaben weisen ein relativ moderates Wachstum aus. Also alles in Butter?
Nicht ganz. Abseits der klassischen Indikatoren zeigen die hohe Zahl staatlich administrierter Preise, der Takt, mit dem Verordnungen erlassen werden, und die Ausdehnung der staatsnahen Unternehmen ein differenzierteres Bild. Dieses Bild ist in erster Linie Ausdruck von Governanceproblemen, die nie gelöst wurden – und die mit einfachen Bürokratiestoppschildern und dem Ruf nach privatwirtschaftlich orientierten Managementpraktiken auch nicht zu lösen sind.
Die Kostenkrankheit
Wächst das Volkseinkommen um einen Franken, steigt die Nachfrage nach staatlichen Gütern und Dienstleistungen um mehr als einen Franken. Adolph Wagner formulierte bereits 1892 das «Gesetz der wachsenden Staatsausgaben». Bis heute finden Ökonomen empirische Belege dafür.
Nicht nur die Nachfrage, auch die Beschaffenheit des Angebots steht im Verdacht, das Staatswachstum zu befeuern. Der amerikanische Ökonom William Baumol sprach einst von der Kostenkrankheit des Staates. Seine These: Der Staat profitiere als Dienstleister nicht in dem Ausmass vom technologischen Wandel, wie es die Privatwirtschaft durch Automatisierung und Massenproduktion tue. Auch dieser Mechanismus wurde in empirischen Studien für unterschiedliche Länder und Staatsbereiche, wie das Gesundheitswesen und das Bildungswesen, belegt. Heutzutage realisieren allerdings private Dienstleistungsunternehmen dank der Digitalisierung grosse Effizienzgewinne. Sollte das nicht auch dem Staat in vielen Bereichen gelingen?
Natürlich verdienen es sowohl die nachfrageseitigen als auch die angebotsseitigen Erklärungen, ausführlicher diskutiert zu werden. Im Zentrum sollen hier aber die politisch-ökonomischen, angebotsseitigen Erklärungen stehen. Diese sehen die Probleme vorwiegend in den Anreizstrukturen der Verwaltung und der Politik.
Ausgangspunkt ist das klassische Problem hierarchischer Organisationen, das Prinzipal-Agenten-Problem. Die Regierung ist Auftraggeber, sprich Prinzipal; die Verwaltung ist Auftragnehmer, sprich Agent, und hat die von der Regierung und vom Parlament beschlossenen Politikmassnahmen zu implementieren. Der Prinzipal hat durchaus Anreize, die Politik ohne Verschwendung (produktionseffizient) und in der richtigen Menge am richtigen Ort (allokationseffizient) zu implementieren.
Beim Agenten sieht dies anders aus. Wie alle anderen Menschen auch möchten sich Verwaltungsangestellte und ihre Vorgesetzten das Leben möglichst angenehm machen und die Erfüllung der Aufgaben nach eigenen Präferenzen gestalten. Es zeigt sich erstens, dass die Präferenzen und Anreize von Prinzipal und Agent im Konflikt stehen können. Zweitens profitiert der Agent von einer Informationsasymmetrie zwischen ihm und dem Prinzipal, denn Kontrollen sind für den Prinzipal kostspielig. Der Ökonom William A. Niskanen stilisierte daher den Bürokraten zu nichts weniger als einem Budgetmaximierer, der sein Amt zur Erhöhung seines eigenen Prestiges, Gehalts und Karrierechance wie einen Luftballon aufbläst.
Die Prinzipal-Agenten-Problematik ist in allen hierarchischen Organisationen allgegenwärtig, nicht nur im staatlichen Bereich. Nur sind in privatwirtschaftlichen Strukturen unter Wettbewerb die Anreize viel besser, sowohl Produktions- als auch Allokationseffizienz anzustreben. Ineffizienten und daher zu teuren Anbietern bricht schnell die Nachfrage weg. Ausserdem führt der Wettbewerb natürlicherweise zu einem Benchmarking und gestattet ein Lernen von den Konkurrenten. Bei staatlich produzierten Gütern und Dienstleistungen fehlen die wettbewerblichen Elemente weitestgehend. Ein Leistungsvergleich einer Justizbehörde zwischen Ländern oder Kantonen ist wesentlich anspruchsvoller als zwischen Mobiltelefonen oder Rotweinen. Ein Anbieterwechsel im öffentlichen Bereich kann nur durch Wegzug erfolgen und ist damit auch weitaus kostspieliger als bei den meisten privaten Gütern.
«Die Expansion der Verwaltung verlagert sich zunehmend
in den sogenannten nichtbudgetären Bereich.
Anstelle der gesamtwirtschaftlich effizientesten
Lösung wird die für die Verwaltung
kostengünstigste Variante gewählt.»
Falsches Lernen von Privaten
Kann der Staat im Umgang mit der Prinzipal-Agenten-Problematik also von der Privatwirtschaft lernen? Das Konzept des New Public Management beruhte auf der Idee, privatwirtschaftliche Managementinstrumente auf die öffentliche Verwaltung zu übertragen. Neue Budgetierungs- und Rechnungslegungsstandards nach privatwirtschaftlicher Vorlage reduzierten die Informationsasymmetrie zwischen der Regierung und der Verwaltung. Ökonomisch gesprochen: Die Kosten zur Erkennung von Produktionsineffizienz sanken. Doch das ist leider nur der eine Teil der Geschichte.
Denn das New Public Management ändert nichts an der Grundproblematik der Prinzipal-Agenten-Beziehung. Die Verwaltung strebt weiterhin erstens nach mehr Ressourcen und zweitens nach einer Ausdehnung ihres Tätigkeitsgebiets, sprich nach einer ineffizienteren Produktion und der Selbstdefinition ihres Auftrages. Während zwar der Produktionsineffizienz besser Einhalt geboten werden kann, ist der Tendenz zur Ausdehnung der Aufgabenbereiche wenig entgegenzusetzen. Eine effizienter werdende Verwaltung schafft sich selbst den Nährboden für neue Aufgaben in der Politik – von der Ernährungsberatung bis zur digitalen Entwicklungshilfe für KMU. Die engere Kostenkontrolle innerhalb der Verwaltung durch verbesserte Managementprozesse und Controllingsysteme nach privatwirtschaftlichem Vorbild stärkt gleichzeitig die Anreize zur Verschleierung der Ineffizienzen – wie wenn Wasser sich seinen Weg bahnt.
Konkret verlagert sich die Expansion der Verwaltung zunehmend in den sogenannten nichtbudgetären Bereich. Anstelle der gesamtwirtschaftlich effizientesten Lösung wird die für die Verwaltung kostengünstigste Variante gewählt. Beispiele sind Bauaktivitäten am Tag, die keine Nachtzuschläge verursachen, dafür Stau, oder die Auslagerung der Überwachung von Regeln an Private wie im Finanzbereich, aber auch der Datenschutz, Lohngleichheitsanalysen, Umweltschutz stehen heute im privaten Pflichtenheft. Die Kosten staatlicher Aktivität sind in den Verwaltungsbudgets nicht mehr vollständig sichtbar, aber volkswirtschaftlich natürlich immer noch vorhanden und werden oftmals gar vervielfacht. Paradoxerweise kann also das Streben nach besserer Kostenkontrolle in der Verwaltung das Ende der Kostenwahrheit einläuten.
Ein besonders markantes Problem ist die Auslagerung staatlicher Produktion von Gütern und Dienstleistungen in Gesellschaften des Privatrechts im Staatsbesitz. Damit sind ganze Teile der staatlichen Produktion aus dem öffentlichen Budget entfernt und für die Bürger nicht mehr transparent sichtbar. Auch hier gilt: Die Auslagerung löst die Grundprobleme nicht – ganz im Gegenteil. Sie werden bloss verschleiert. Entweder handelt es sich um eine Staatsaufgabe zur Behebung eines Marktversagens, zu dessen Behebung durchaus auch Subventionen gesprochen und Defizite gedeckt werden sollen, oder aber der Staat hätte aus ordnungspolitischer Perspektive darin nichts zu suchen. Beispielsweise gibt es keinen Grund, dass Staatsbetriebe wie die Berner Kraftwerke (BKW) oder die Post im Bereich Elektroinstallationen oder IT-Dienstleistungen aktiv sein sollten.
Im Falle von Marktversagen trifft das staatliche Unternehmen nicht auf marktwirtschaftlichen Wettbewerb. Fehlt dieser, spielen auch die effizienzfördernden Mechanismen der Marktwirtschaft nicht. Die Anreize zur ineffizienten Allokation hingegen werden gar noch gestärkt. Nicht nur das Management als Auftragnehmer, sondern auch die Regierung als Auftraggeber hat Anreize, die Unternehmensaktivitäten in profitable Felder auszuweiten, statt eng im Kernbereich des zu behebenden Marktversagens zu bleiben.
Die Ausdehnung in profitable Geschäftsfelder soll Gewinne zur Querfinanzierung der Kernbereiche generieren. Das führt zur unfairen und ineffizienten Konkurrenzierung privater Unternehmen, weil staatsnahe Betriebe die Preise kurzfristig künstlich tiefhalten und private Anbieter verdrängen. Anfänglich tiefe Preise können über implizite Quersubventionierungen, Defizitgarantien und tiefere Kapitalkosten bei Unternehmen mit faktischer Staatsgarantie erfolgen. Eine längerfristige Quersubventionierung kann aber nur gelingen, wenn staatsnahe Unternehmen im neu erschlossenen Markt dominant auftreten und eine vermeintliche Überrendite erzielen. Konsumenten und Steuerzahler werden dafür früher oder später bezahlen, beispielsweise in Form zu hoher Preise oder als Abschreiber auf ein riskantes und fehlgeschlagenes Investment.
Die Auslagerung und Ausdehnung der staatlichen Tätigkeit erhöht zuletzt wieder die Informationsasymmetrie zwischen Bürokratie und Regierung und – in noch stärkerem Ausmass – gegenüber dem ultimativen Prinzipal, den Bürgern. Den Bürgern werden die wahren volkswirtschaftlichen Kosten des ursprünglichen Leistungsauftrags verschleiert, indem sie die Kosten auf immer neuen Märkten bezahlen. Diesem Muster folgen nicht nur die Post, die mit der Postfinance jahrelang die Kernbereiche der Post quersubventionierte, die SBB, die mit ihren Cargo-Dienstleistungen schon längst private Unternehmen be- und verdrängen, sondern auch Unternehmen im Energiebereich wie die Berner Kraftwerke (BKW), die mittlerweile dominant in angrenzenden Märkten, wie Elektroinstallationen oder IT-Dienstleistungen, auftreten. Hier bedarf es einer Rückbesinnung auf die Kernaufgaben; Firmenteile sollten verkauft oder abgewickelt werden.
Klare Verantwortlichkeit
Das Problem der insgesamt wachsenden Bürokratie kann nicht per Managementhandbuch oder per Dekret mit wohlklingenden Bürokratiebremsen gelöst werden. Die Probleme entstehen mit der Delegation von Kompetenzen an die staatliche Bürokratie. Nur die Stärkung der Anreize zur engen Begleitung und Kontrolle der Bürokratie durch die verantwortliche Regierung kann Linderung bringen. Das Bewusstsein für nichtbudgetäre Kosten muss auf breiter Front gestärkt werden. Es ist keine Tugend, sondern ein volkswirtschaftlich teurer Etikettenschwindel, wenn staatsnahe Unternehmen Quersubventionierung praktizieren.
Aus dieser Analyse folgen drei Handlungsempfehlungen:
- Es braucht mehr Transparenz über die nichtbudgetären Staatskosten, die dem Bürger als Folgekosten der Regulierung durch die Kernverwaltung und das Handeln der staatsnahen Unternehmen entstehen. Es ist deshalb wichtig, das Wachstum der staatlichen Regulierung zu dämpfen und staatliche Beteiligungen oder Eigentümerschaft gemäss ordnungspolitischen Gesichtspunkten zu überdenken und allenfalls aufzulösen. Nicht selten verbergen sich hinter Regulierung und Staatsbesitz verdeckter Monopolschutz und Quersubventionierungen zulasten der Konsumenten.
- Die Verantwortung bezüglich der erbrachten staatlichen Leistungen muss der Regierung eindeutig zugeteilt sein. Dies gilt auch dann, wenn die Aufgabe an private oder staatliche Unternehmen ausgelagert wird. Ein enges Reporting und eine transparente Auslegeordnung der Staatstätigkeit – unter konsequentem Einbezug der Finanzkontrolle – ist eine Mindestvoraussetzung.
- Die Überprüfung, ob staatsnahe Betriebe ihrem ursprünglichen und nur diesem Auftrag nachgehen, muss institutionalisiert werden. Es braucht eine unabhängige Instanz, die die Leistungen und die Einhaltung des Kernauftrags der staatsnahen Unternehmen überprüft. Diese Aufgabe integriert sich in natürlicher Weise in das Mandat und das Wirkungsfeld einer von uns bereits als «Gegenvorschlagskommission» oder «Bürgerrat» bezeichneten und vorgeschlagenen Institution.1
Mark Schelker: Navigationshilfe aus dem Regulierungsdschungel. In: Schweizer Monat 1078, Juli/August 2020; Reiner Eichenberger und Markus Saurer: Infrastruktur: Ob Verkehr, Energie oder Daten – gefragt ist echte Kostenwahrheit. In: Neue Zürcher Zeitung, 24.12.2021; Christoph A. Schaltegger und Mark Schelker: Zukunftsfähigkeit: Politische Institutionen entschlacken. In: Neue Zürcher Zeitung, 24.12.2021. ↩