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Zuwanderungsabgaben?  Der falsche Weg!

Zuwanderungsabgaben?
Der falsche Weg!

Die Schweizer Einwanderungspolitik und die Kritiker der Personenfreizügigkeit gehen von falschen Prämissen aus: Wenn es um effiziente Allokation – auch von Arbeitskräften – geht, ist der Staat dem Markt unterlegen. Es braucht nicht mehr, sondern weniger Abgaben. Eine Replik.

Angesichts der anhaltenden, wenn auch im Hinblick auf die Einwandererzahlen wohl leicht nachlassenden Attraktivität der Schweiz als Niederlassungsstandort für zahlreiche Nichtschweizer bleibt die Personenfreizügigkeit unter Druck. Eigentlich dürfte sich ja ein Land geschmeichelt fühlen, wenn es produktive Kräfte eher anzieht als abschreckt, ja mehr noch: Es sollte dies als Anlass nehmen, anstelle einer Symptombekämpfung der angeblichen Nachteile des Bevölkerungswachstums er­-wiesene Vorteile im Standortwettbewerb zu stärken, allen voran den Grad der wirtschaftlichen Freiheit. Dass das nicht passiert, liegt am herrschenden Diskurs in Politik und Gesellschaft, die kritischen Analysen zur Personenfreizügigkeit haben nämlich stets zwei Dinge gemeinsam:

Erstens: «Die Schweiz» im Sinne ihrer bisherigen Einwohner tritt realitätsfremd als kollektiver Monolith (gar als «Club») mit weitgehend vereinheitlichten Interessen auf – die institutionelle Vielfalt des Landes und vor allem der unendliche Pluralismus der persönlichen Interessen und Präferenzen spielen dabei keine Rolle mehr.

Zweitens: Der nationalkollektive, politisch-demokratische Entscheidungsprozess wird überbetont, während die privaten Entscheide in der Zivilgesellschaft und in der Marktwirtschaft ausser Acht gelassen werden.
Beide Prämissen sind sehr problematisch, vor allem in einem sehr vielfältigen Land, in dem darüber hinaus ein Viertel der ansässigen Bevölkerung (noch) keinen Schweizer Pass besitzt. Im Folgenden soll diesen zwar aktuell populären, aber kollektivistischen Narrativen mit liberal fundierten Argumenten begegnet werden. Einerseits werden dabei der Ist-Zustand in der Zuwanderungspolitik und die Debatte darüber einer kritischen Analyse unterzogen, die den Blick vom Kollektiv weglenkt und auf die individuelle Handlungsfreiheit richtet. Andererseits ist es unvermeidbar, auch einzelne Sachverhalte und Zusammenhänge, die in der aktuellen, kollektivistisch-vernebelten Diskussion verzerrt oder falsch wiedergegeben werden, zu korrigieren.

Klar ist: Die Personenfreizügigkeit mag durch zwischenstaatliche Abkommen (aus liberaler Sicht: zugegebenermassen suboptimal) geregelt sein, sie ist dennoch in erster Linie eine bedingte Arbeitsvertragsfreiheit, keine staatliche Veranstaltung. Sie spiegelt die Interessen und Präferenzen individueller Vertragspartner wider und wird weder von Bundesbern noch aus Brüssel ferngesteuert. Die Steuerung durch Märkte und Verträge im aktuellen System ersetzte vielmehr das ehemalige, ineffizient-bürokratisch-korporatistische Regime der Kontingente. Genau wie beim Freihandel findet vertragliche Zuwanderung nicht zwischen «der Schweiz» und «der EU» statt, sondern zwischen einzelnen Akteuren. Vor dem Hintergrund eines zuwanderungskritischen, oft emotionalen Diskurses, in dem diese handelnden Individuen entgegen der liberalen Aufklärung sehr rasch nationalkollektiviert 1werden, ist dies keine banale Erkenntnis.

Bei einer sorgfältigen Betrachtung der Sachlage bei den eigentlich Handelnden (den freien Individuen) wird denn auch rasch klar, dass die Marktarbitrage, nicht der Regulierungs- und Besteuerungsstaat, die Zuwanderung zum Vorteil aller steuern müsste. Anhand oft gemachter Fehlannahmen von Kritikern der vertraglichen Einwanderung wird dies nachfolgend näher erläutert.

Fehlannahme Nr. 1: Es gibt zwingenderweise ein Zuwanderungsproblem

Nur weil politische Parteien den Themenkomplex der Zuwanderung und des Bevölkerungswachstums aufgrund der Personenfreizügigkeit in Europa bewirtschaften, heisst das noch nicht, dass es sich um ein echtes Problem handelt. Gegen die Zuwanderung zu wettern ist weltweit eine erprobte Strategie des billigen Stimmenfangs: Erstens stimmen die Zuwanderer oder «die Ausländer» nicht ab, so dass man hier kein politisches Risiko eingeht; zweitens schaffen zuwanderungskritische Parolen ein kollektivistisches Wir-Gefühl, auf dem sich innenpolitische Macht leichter aufbauen lässt, da der Schein erweckt wird, für die Interessen der «Einheimischen» einzustehen, während weniger populäre innenpolitische Herausforderungen auf die lange Bank verschoben werden.

Dies veranschaulicht die aktuelle parteipolitische Propaganda. So wird beispielsweise behauptet, «ältere Schweizer» würden durch «jüngere Ausländer» auf dem Arbeitsmarkt verdrängt. Die unehrliche Stimmungsmache der Linken bezüglich der Über-55-Jährigen, die angeblich keine Chancen mehr auf dem Arbeitsmarkt hätten, wird von den Zuwanderungskritikern unkritisch bis fahrlässig übernommen. Dabei wollen die Linken mit diesen Klagen lediglich dem Kündigungsschutz und Arbeitsmarktregulierungen zum Durchbruch verhelfen. In Tat und Wahrheit stieg die Erwerbsquote in der Schweiz seit dem Inkrafttreten der Personenfreizügigkeit von 81,5 Prozent auf 84,4 Prozent, für Arbeitnehmer ab 55 Jahre sogar von 66,3 Prozent auf 76,4 Prozent. Tatsächlich schaffen mehr Arbeitsplätze mehr produktive Arbeit, sie ersetzen keine. Arbeit generiert Wachstum, nicht umgekehrt. Diese ökonomische Logik, die in diesem Fall empirisch eindeutig beobachtet werden kann, gerät leider völlig in Vergessenheit und führt zu schlechten politischen Entscheiden.

Dass Zuwanderung «negative politische Anreizeffekte» 2 schaffe und dass die Linke sinnvolle Steuerreformen mit Berufung auf die Personenfreizügigkeit ablehne, ist daher ein scheinheiliges Argument: Die Linke als solche hat noch nie eine sinnvolle Steuerreform unterstützt, schon gar nicht für «Unternehmen» (deren Steuerlast von realen Menschen getragen wird), sondern systematisch das Gegenteil: eine höhere Steuerbelastung und weniger Steuerwettbewerb. Politische Unehrlichkeit oder ideologisierte Unfähigkeit, ob von rechts oder von links, können nicht durch eine Flucht nach vorne, sondern nur durch Aufklärung bekämpft werden.

Selbstverständlich kann Zuwanderung ein Problem sein, wenn sie nicht im Sinne einer «eingeladenen» Zuwanderung durch Märkte und Verträge erfolgt, sondern durch staatliche Fehlanreize – wie dies bei den bürokratischen Automatismen des staatlichen Asylwesens der Fall ist. Nicht von ungefähr ist das (grundsätzlich humanitär ausgerichtete) Asylwesen von einer sehr geringen Anerkennungsquote gekennzeichnet, 3was neben einer ineffizienten Durchführung auf eine mögliche Fehlkonzeption hindeutet. Ein systematisches Asylrecht in einem Land wie der Schweiz machte während der Religions- oder Weltkriege der vergangenen fünf Jahrhunderte in den Nachbarstaaten durchaus Sinn. Heute gäbe es wesentlich klügere Wege der humanitären Unterstützung und der wirtschaftlichen Hilfe zur Selbsthilfe, 4 ohne damit das organisierte Verbrechen zu fördern.5 Dieses Pro­blem stellt sich aber völlig unabhängig von der Arbeitsvertragsfreiheit in Europa.

Fehlannahme Nr. 2: Zuwanderung kann nach einer utilitaristischen Kosten-Nutzen-Analyse gelenkt werden

Eine weitere Fehlannahme der Zuwanderungskritiker beruht auf einer mathematischen Kosten-Nutzen-Analyse des Zuzugs neuer Einwohner. Dies impliziert notwendigerweise zwischenmenschliche Nutzenvergleiche, was schon erkenntnistheoretisch ein Ding der Unmöglichkeit ist: Niemand kann von aussen beurteilen, dass ein Vertrag, der zwischen mündigen Erwachsenen freiwillig eingegangen wird, mehr Kosten als Nutzen oder umgekehrt verursacht. Es handelt sich in diesem Fall um eine konstruktivistische Anmassung von Wissen, die für politische Eingriffe keine Rechtfertigung liefert. Eine Kosten-Nutzen-Analyse der vertraglichen Einwanderung für ein ganzes Land ist genauso sinnvoll wie eine Kosten-Nutzen-Analyse einer gesetzlichen Einschränkung der Geburten in dicht besiedelten Regionen oder einer generellen Ausgangssperre nach 23 Uhr zur Eindämmung der nächtlichen Lärmbelastungen – nämlich gar nicht.

Hinzu kommt, dass es ethisch fragwürdig ist, freie und eigenverantwortliche Menschen einzig im Sinne von Kosten und Nutzen zu analysieren. Menschen sind in erster Linie als Zweck an sich selbst zu begreifen, nie bloss als Mittel. Dies ergibt sich aus der Vernunftgabe und dem freien Willen jedes Einzelnen und ist ein unbestrittener moralischer Bestandteil einer humanen, westlichen Gesellschaft.

Fehlannahme Nr. 3: Die Marktarbitrage im Standortwettbewerb führt zu Asymmetrien

Die Win-Lose-Vorstellung, nach der Zuwanderer angeblich ihr Zielland (oder seine Bewohner) ausbeuten, kann keine seriöse Analyse sein: Wenn jemand Arbeit gegen einen Lohn eintauscht, bringt er Fähigkeiten, ein Arbeitsethos, ein Durchsetzungsvermögen mit, von dem auf der anderen Seite nicht nur, aber in erster Linie der jeweilige Arbeitgeber und sein Unternehmen profitieren. Kein Vertrag wird einseitig unterzeichnet: die Freiwilligkeit des Zustandekommens beweist, dass die Abmachung im Eigeninteresse der beteiligten Parteien ist – hier wird also schon einmal niemandem geschadet.

Dass Marktzuwanderer ohne Kompensationszahlungen andere bisherige Einwohner eines attraktiveren Wirtschaftsstandortes schädigen, ist ebenfalls eine verfehlte Annahme: Mehr produktiver besetzte Arbeitsplätze führen zu höheren Einkommen und mehr Beschäftigung. Das Bevölkerungswachstum ermöglicht zusätzliche Investitionen, die früher nicht rentiert hätten. Diese erweitern und erneuern das Dienstleistungsangebot, das zu einer besseren Lebensqualität führt. Sie führen zu einer besseren Ausnutzung der vorhandenen Ressourcen – wie etwa Boden – und erlauben eine Senkung der Preise durch Skaleneffekte – wie dies sogar im Immobiliensektor trotz zahlreicher regulatorischer Hindernisse derzeit beobachtet werden kann, auch in gefragten urbanen Agglomerationen wie Zürich. 6

Fehlannahme Nr. 4: Marktzuwanderung führt zu «Füllungseffekten»

Privatrechtlich geregelte Zuwanderung führt auch zu keinen «Füllungseffekten», sondern zu einer verbesserten Ressourcenallokation. Der Arbeitsmarkt schafft im Fall der Personenfreizügigkeit seine eigenen Arbitragen: Ein Bewerber ohne Bildung, ohne Fachwissen, ohne sprachliche Fähigkeiten, ohne Kenntnis der schweizerischen Verhältnisse wird keine Chance haben. Auch die Angst vor einem Massenimport von billigen Arbeitskräften macht wenig Sinn (dieser findet auch nicht statt): Die Schweizer Wirtschaft setzt angesichts ihres Innovationsgrads und ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf hohen Mehrwert. Die Bodenpreise schliessen zudem von sich aus die Errichtung von Massenproduktionsanlagen aus. Je fortgeschrittener sich eine Wirtschaft entwickelt, desto «exklusiver» wird sie, ohne staat­liche Lenkung.
Nicht vergessen werden sollte zudem der Tatbestand, dasslediglich 7,5 Prozent des Landes und nur 16 Prozent des Mittel­landes (inklusive öffentlicher Parks, Seestrände und Promenaden, Golfplätze, Fussball- und Tennisfelder usw.) verbaut sind – auch der Schweizer Wald wächst jedes Jahr kräftig weiter. Von einer «Zubetonierung» sind wir daher sehr weit entfernt. Im Gegenteil: die übergrossen landwirtschaftlichen Zonen an bester Lage führen zur künstlichen Verknappung von verwertbarem Boden – darüber, dass staatliche, parastaatliche und subventionierte Branchen oft den Markt verzerren und auch zu viele unproduktive Jobs für Zuzüger anbieten (etwa in den öffentlichen Verwaltungen und im Gesundheitswesen), beschwert sich kaum jemand. Solche Fehlanreize werden allein durch eine falsche Politik im Inneren geschaffen, nicht durch Marktzuwanderung.

Fehlannahme Nr. 5: «Die Schweiz» verfügt über ein Kollektivvermögen

Ein besonders skurriles Argument für die Einführung von mehr Zuwanderungshindernissen und Kompensationen ist die Idee, dass jeder ansässige Einwohner einen Anteil am «Reinvermögen» des Staates besitzt. Diese Fehlannahme entspricht der sozialistischen Illusion der «Volksrepublik», wonach Eigentum allen Bürgern (die in aller Regel Gefangene sind) kollektiv gehöre. Vor allem verrät diese Darstellung ein tiefes Missverständnis des Wesens und der Funktion von Eigentum und der Bedingungen einer freien Gesellschaft. Sie nähert sich an die sozialdemokratische Forderung einer «Demokratisierung», sprich Politisierung und Verstaatlichung, der Wirtschaft an.
Was als Kollektiv- oder Reinvermögen des Staates angedeutet wird, beruht ausschliesslich auf steuerpolitischer Umverteilung.

Selbstverständlich ist eine gewisse Umverteilung in einem Staat unvermeidbar, um Grundfunktionen zu finanzieren. Wenn aber Steuern als Preis für staatliche Dienstleistungen angesehen werden, dann wird dies durch die Steuerpflicht der neuen Zuzüger (und ihrer Arbeitgeber) mindestens kompensiert: Das Gegenteil zu behaupten, würde implizieren, dass die Steuerbelastung und staatliche Dienstleistungen einen höheren Mehrwert bieten als ihre marktwirtschaftlichen «Pendants», was theoretisch wie empirisch falsch wäre. Weil staatliche Dienstleistungen keinen freien Preismechanismus und keinen Gewinnmassstab kennen, sind sie mit sehr hohen Ineffizienzen, mit Stagnation und Fehlanreizen verbunden und verursachen hohe Steuererhebungs- und Subventionskosten.

Dass eine Minderheit von sehr guten Steuerzahlern häufig bluten musste, um verschwenderische Staatsausgaben zu decken (inklusive der «Rettung» der Pensionskassen von öffentlichen Anstalten), heisst noch lange nicht, dass jeder Einwohner «Teil­haber» von Staatskapital ist. Werden die horrenden Kosten für die Steuerzahler mitberücksichtigt, entpuppt sich dieses «Reinvermögen» oft als Verhängnis, denn hier wird vor allem explizite wie implizite Verschuldung geschaffen. Dass diese Realität für die Schweiz etwas weniger ausgeprägt ist als für viele Nachbarländer, ist nur ein schwacher Trost.

Fehlannahme Nr. 6: Die Personenfreizügigkeit schafft einen «Freiheitseffekt»

Dass Personenfreizügigkeit zu mehr Vertragsfreiheit führt, ist unbestritten. Kann aber Freiheit ein «Effekt» sein? Nein. Freiheit ist der unabdingbare Grundsatz vernünftigen menschlichen Handelns: Erst freie oder freiwillige Entscheide können die Vielfalt privater Interessen und die gesellschaftliche Harmonie miteinander in Einklang bringen. Während staatliche Interventionen häufig zu ökonomischen Verzerrungen führen, steigert die weitgehend freie Allokation von Ressourcen die Effizienz. Wird also Personenfreizügigkeit dahingehend konzeptuell verdreht, dass sie als staatliche Veranstaltung und nicht als Normalzustand angesehen wird, können nur falsche Schlussfolgerungen gezogen werden. Zwar ist Zuwanderung heute staatlich geregelt, aber die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit in Europa ist keine Erfindung von Staaten, sondern war vor dem Ersten Weltkrieg eine Selbstverständlichkeit. Es ist nicht die Personenfreizügigkeit, die einen Freiheitseffekt produziert, sondern die Abwesenheit derselben, die eine Einschränkung darstellt.

Gewiss, das Personenfreizügigkeitsabkommen ist nicht perfekt, aber gibt es überhaupt zwischenstaatliche Abkommen, die perfekt sind? Auch Freihandelsabkommen sind zu einem­ gewissen Grad Handelsregulierungsabkommen. Dennoch gilt es die Prioritäten richtig abzuwägen: Was ist hier wichtiger? Die Arbeitsvertragsfreiheit jenseits politischer Grenzen oder das Vermeiden von einigen Regulierungen, die oft lediglich die bestehende Praxis formalisieren? In der realen, pluralistischen Welt darf jedenfalls keine Freiheit wegen einer fehlgeleiteten Analyse leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden, sollte der Verlust weiterer Freiheiten vermieden werden.

Fazit: Keine Zuwanderungsabgaben, sondern Steuersenkungen

Grundsätzlich verkennt der Vorschlag einer Zuwanderungsabgabe, dass die Einwanderer und ihre Arbeitgeber bereits einen hohen Preis für ihre Kooperation in der Schweiz bezahlen, nämlich über die Besteuerung. Sonderabgaben für Zuwanderer hätten eine «Kollektivierung» bei einer völlig willkürlich definierten Bevölkerungsgruppe zur Folge. Letztlich vergisst dieser Ansatz, dass viele politisierte Institutionen auch für die ansässige Bevölkerung nicht unproblematisch sind, wenn die damit verbundenen Steuerbelastungen und überhöhten administrierten Preise berücksichtigt werden – etwa in der Altersvorsorge, im Gesundheitswesen, in der Lebensmittel-, Verkehrs-, Wohn-, Strom- oder Medienbranche. Diese Institutionen als «Kollektiveigentum» der Schweizer zu betrachten, mag unter einem sozialistischen oder sozialdemokratischen Regime Sinn machen, aus einem individuell-liberalen Blickwinkel hingegen wesentlich weniger.

Mehr noch: neue Zuzüger tendieren dazu, überdurchschnittlich hohe Steuern zu bezahlen. Zwischen 2002 und 2015 nahmen die Fiskaleinnahmen auf den Ebenen Bund, Kantone und Gemeinden von 129,7 auf 179,7 Milliarden Franken um fast 40 Prozent zu. Im gleichen Zeitraum wuchs die Bevölkerung um 14 Prozent, also zweieinhalb Mal weniger rasch. Diese Entwicklung spricht eindeutig gegen zusätzliche Abgaben für den Aufenthalt in der Schweiz. Da die allermeisten Einwanderer produktiv oder unternehmerisch tätig sind, führt ihre Tätigkeit bereits zu viel höheren Steuereinnahmen.

Dies offenbart das Hauptproblem der Schweiz bei steigender Erwerbsbevölkerung: die zu hohen Steuersätze und die zu steilen progressiven Tarife auf Bundesebene und in vielen Kantonen. Als Lösung sollten Steuersätze regelmässig gesenkt werden, damit die Marktarbitrage besser greift, wie das im Fall des Kantons Zug beobachtet werden kann. Der Kanton Zug gehört bekanntlich zu den Kantonen, die trotz eines Rekordbevölkerungswachstums in den letzten Jahrzehnten die «Masseneinwanderungsinitiative» ablehnten. Er ist mit einer nur halb so hohen Steuerbelastung wie der Schweizer Durchschnitt auch der wettbewerbsfähigste Kanton – und damit ein Paradebeispiel dafür, wie eine liberale Politik der Mässigung in Steuerfragen eine gleichzeitige Arbitrage der Einwanderung bewirken kann. Damit kämen die Vorteile der Einwanderung auch allen gegenwärtig überbesteuerten Bürgern und Unternehmen zugute. Dass die rekordhohen Steuereinnahmen der letzten Jahre in den meisten anderen Kantonen in Verwaltungsaufblähungen und systembedingten Sozialausgaben weitgehend verpufft sind, ist vor Zuger Hintergrund der eigentliche Skandal.

Apropos Sozialausgaben: falsch ist auch die unter Einwanderungskritikern populäre Annahme, der schweizerische Sozialstaat würde durch die Personenfreizügigkeit überlastet. Das Gegenteil ist der Fall: Zwischen 2002 und 2016 stiegen beispielsweise die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge an die AHV von 22,1 auf 30,9 Milliarden Franken – wie die Fiskaleinnahmen allgemein – zweieinhalb Mal rascher als die Bevölkerung. Die strukturellen Ungleichgewichte der staatlichen Sozialversicherungen wurden durch die Personenfreizügigkeit gemildert. Die Herausforderung ist also keineswegs die Markteinwanderung durch die Personenfreizügigkeit, sondern die hiesige Umverteilung und dabei insbesondere die übertriebenen Sozialleistungen, die der Entkoppelung des Sozialstaats von den demographischen Reali­täten geschuldet sind und darum zu immer höheren steuerlichen Belastungen führen.

  1. So wird etwa ohne jede empirische Grundlage regelmässig behauptet, dass EU-Zuwanderer staatsgläubiger seien als Schweizer. Eine beliebige Person mit der Regierung oder der staatlichen Politik ihres Herkunftslandes gleichzustellen, wie landläufig üblich, ist ein gewagtes Vorurteil. Genau das Gegenteil dürfte der Fall sein: Viele Zuwanderer schätzen die weniger fortgeschrittene Etatisierung der Schweiz, gerade weil sie eine (relative) Alternative bietet.

  2. Vgl. den Beitrag von Eichenberger/Stadelmann auf S. 8 dieser Ausgabe.

  3. In der Regel liegt die Anerkennungsquote im Asylwesen unter 25 Prozent, sie lag 2012 bei 11,7, 2017 bei 25,8 Prozent.

  4. Ein Ansatz sind bspw. freimarktwirtschaftliche und rechtsstaatliche Charter Cities für Migranten. U.a. das Marron Institute of Urban Management an der New York University untersucht dieses Konzept.

  5. Aufgrund der falschen Hoffnungen auf einen Flüchtlingsstatus ist das Schlepperwesen einer der profitabelsten Bereiche des organisierten Verbrechens geworden. Dessen Umsatz erreicht laut Schätzungen des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) jährlich 6,75 Milliarden US-Dollar.

  6. Entgegen dem gebetsmühlenartig wiederholten Mantra sinken gemäss dem Immobilienbarometer der Zürcher Kantonalbank die Mieten in der Schweiz allgemein (wie in Zürich) seit 2016. Dieser Trend soll sich fortsetzen. Zudem wird inzwischen ein Überangebot an Mietwohnungen in vielen Teilen des Landes festgestellt. 

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