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Realwirtschaft und Geldproduktion

Die Mär von der produktiven Geldschöpfung ist weitverbreitet. Das macht sie nicht wahrer. Sie ist vielmehr eine der Hauptursachen für die stets wiederkehrenden Finanzkrisen. Das ist weniger bekannt. Darum aber nicht weniger wahr. Eine Replik.

Ist Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken eine zentrale Triebfeder der wirtschaftlichen Entwicklung? Die meisten heutigen Ökonomen bejahen diese Frage. Wir wollen die entgegengesetzte Auffassung darlegen, wonach die Geld-schöpfung einen negativen Einfluss auf das gesamtwirtschaftliche Wachstum hat.

Moderne Geschäftsbanken erteilen Kredite zum gröss-ten Teil in Form von Giralgeld, das sie selber erzeugen. Der Bankier verleiht in diesem Falle keine Ersparnisse, die ihm zuvor von anderen Kunden in Form zusätzlicher Einlagen zur Verfügung gestellt wurden, sondern er verleiht Giralgeld, das er aus dem Nichts schöpft, indem er nämlich zusätzli-che Sichtguthaben schafft bzw. auf bestehenden Konten zusätzliche Summen gutschreibt, ohne dass es zuvor zu einer entsprechenden zusätzlichen Einlage gekommen wäre. Auf diese Weise werden in der entwickelten Welt je nach Land etwa 60 bis 80 Prozent aller Bankkredite erteilt. Die dabei geschöpfte Geldmenge war vor dem Ausbruch der gegenwär-tigen Wirtschaftskrise etwa 8mal so gross wie die von den Zentralbanken geschaffene Grundgeldmenge.

Es handelt sich also um einen sehr bedeutenden wirtschaftlichen Vorgang, der übrigens allen Fachleuten gut bekannt ist. Auch der von Professor Binswanger genannte Roland Baader bestreitet keinesfalls (siehe S. 9 in dieser Ausgabe), dass Banken Geld schöpfen und dadurch die Kreditmenge erhöhen. In seinem Buch «Geld, Gold und Gottspieler» (Resch 2004) kritisiert er, wie die anderen Ökonomen der Österreichischen Schule, vielmehr die Vorstellung, dass die Geld-schöpfung reale Ressourcen erzeugen könne und daher aus gesamtwirtschaftlicher Sicht vorteilhaft sei. Auch wir wollen nun ein wenig in diese Kerbe hauen.

Ist gesamtwirtschaftliches Wachstum möglich, wenn es nur aus Ersparnissen finanziert wird? Diese Frage wird von den keynesianisch geprägten Ökonomen verneint. Die Argumentation geht so: vermehrtes Sparen könne zwar das Ver-mögen eines einzelnen Sparers vergrössern, doch lasse sich dieses Ergebnis nicht verallgemeinern. Denn wenn alle Bür-ger mehr sparten, so bedeute dies eine Verringerung der gesamtwirtschaftlichen Konsumausgaben. Dies wiederum hiesse nichts anderes, als dass die Verkaufserlöse der Unternehmen fallen, und mithin falle auch die Rentabilität ihrer Investi-tionen. Es werde also weniger investiert, folglich weniger produziert, und somit sinke das gesamtwirtschaftliche Real-einkommen.

Diese Argumentation ist allerdings falsch. Sie irrt darin, dass sie einzelwirtschaftliche Zusammenhänge unzulässig ver-allgemeinert – mit anderen Worten beruht sie auf genau jenem logischen Fehler, den sie eigentlich berichtigen will!

Es stimmt, dass eine einzelne Firma ihre Investitionen verringern wird, wenn die Gelderlöse aus dem Verkauf ihrer Produkte sinken. Denn sie wird in der Regel ausserstande sein, ihre Kosten – das heisst die Geldsummen, die sie an ihre Angestellten und Lieferanten zahlen muss – soweit zu senken, dass die Produktion trotz den geringeren Erlösen weiterhin so rentabel ist wie zuvor. Warum aber lassen sich die Kosten nicht senken? Weil die Angestellten und die Lieferanten damit in der Regel nicht einverstanden wären und abwandern würden. Denn die anderen Firmen leiden ja annahmegemäss nicht unter verringerten Gelderlösen. Also würden die vormaligen Angestellten und Lieferanten der leidenden Firma für andere Firmen arbeiten, anstatt eine Verringerung ihrer Bezahlung in der leidenden Firma hinzunehmen.

Genau dies gilt jedoch nicht aus gesamtwirtschaftlicher Sicht. Denn wenn die Gelderlöse aller Firmen sinken, wer-den sie auch alle versuchen, ihre Kosten zu senken. Daraus folgt, dass eine Abwanderung für die Angestellten und Lie-feranten dann in der Regel nicht möglich bzw. ratsam ist. Diese stehen nunmehr vor der Alternative, entweder eine Verringerung ihrer Bezahlung hinzunehmen oder überhaupt kein Geldeinkommen mehr zu erzielen. Sie werden sich also in der Regel dazu entscheiden, ihre Tätigkeit bei verringertem Geldeinkommen weiterzuführen. Vom Standpunkt der Firmen würde dies bedeuten, dass der Einbruch der Gelderlöse nicht auch zu einem Einbruch der Rentabilität führt, denn die verringerten Gelderlöse werden ja durch verringerte Kosten kompensiert. Sie würden also im Grossen und Ganzen weiterhin auf dem alten Niveau produzieren können. Mit anderen Worten würde sich in diesem Fall aus real-wirtschaftlicher Sicht nichts ändern. Es würden weiterhin die gleichen Mengen an Arbeit und Material verwendet wer-den. Es würden also weiterhin die gleichen Mengen an Konsumgütern und Produktionsgütern produziert werden. Und somit würden weiterhin die gleichen Gütermengen konsumiert werden können. Die Realeinkommen blieben also un-verändert.

Diese grundlegenden Überlegungen gelten ganz unabhängig von der Frage, aus welchem Grund es zu einer Verrin-gerung der Konsumausgaben kommt. Mit Hinblick auf das gesamtwirtschaftliche Realeinkommen ist das Niveau der Geldeinkommen völlig unerheblich. Die wesentliche Frage lautet stets, wie viele Güter rentabel produziert werden kön-nen. Nun ist die Produktion, grob gesprochen, immer dann rentabel, wenn die Verkaufserlöse höher als die Kosten sind. Aber ein solcher Überschuss der Erlöse über die Kosten lässt sich bei jedem Niveau der Geldzahlungen erwirtschaften.

Wenn nun die Verringerung der Konsumausgaben aus einer grösseren Sparneigung entspringt, so werden die Geld-ausgaben nicht einfach insgesamt verringert, sondern vielmehr werden sie umgeschichtet. Auf der einen Seite verringern sich die gesamten Gelderlöse im Konsumgüterbereich, aber auf der anderen Seite erlauben die grösseren Ersparnisse nun vermehrte Investitionen an anderer Stelle, insbesondere im Produktionsgüterbereich, wo die Geldeinkommen somit tendenziell steigen werden. Als Folge ergibt sich eine Verlagerung der Produktion.

In den Konsumgüterindustrien verringert sich die Zahl der Produzenten, aber diese geringere Zahl arbeitet kapitalin-tensiver und produziert daher mehr Güter als zuvor von den zahlreicheren Produzenten erzeugt wurden (man denke hier etwa an den Übergang von handwerklicher zu industrieller Fertigung von Kleidung und Nahrung). Die vermehrte Ver-wendung von Maschinen und anderen Kapitalgütern wiederum setzt voraus, dass diese Güter ihrerseits in grösserem Umfang hergestellt werden, und genau diese Ausweitung der Produktionsgüterindustrien kann nun auch mit Hilfe der grösseren Ersparnisse finanziert werden. Die kapitalintensivere Produktionsweise erhöht die Arbeitsproduktivität und somit das gesamtwirtschaftliche Realeinkommen. In den Konsumgüterindustrien werden Arbeitsplätze abgebaut, und neue Arbeitsplätze entstehen in den Produktionsgüterindustrien und bei den Dienstleistungen.

Die vorstehenden Überlegungen sind eine schematische Beschreibung genau jener Vorgänge, die in der Vergangen-heit zu starkem Wirtschaftswachstum bei fallenden Konsumgüterpreisen geführt haben. Wirtschaftliches Wachstum – insbesondere auch sehr starkes wirtschaftliches Wachstum – ist also auch dann möglich, wenn die Geldschöpfung der Realwirtschaft hinterherhinkt. Wie wir dargelegt haben, ist die Geldschöpfung aus theoretischer Sicht überhaupt keine notwendige Voraussetzung für Wachstum. Somit verbleibt nur noch die Frage, ob Geldschöpfung nicht wenigstens in dem Sinne eine Ursache des Wirtschaftswachstums ist, dass sie ein noch stärkeres Wachstum zu begünstigen vermöchte.

Um diese Frage angemessen zu beantworten, darf man zwei grundlegende Tatsachen nicht aus den Augen verlieren, dass nämlich (1) Wachstum immer nur aus erhöhter Produktion entspringen kann und dass (2) die Produktion wie-derum ein realwirtschaftlicher Vorgang ist, wodurch Arbeit, Rohmaterialen und Zwischenprodukte zu fertigen Gütern umgewandelt werden.

Betrachten wir zunächst den Fall des sogenannten «Real-kredits» – Kreditvergabe ohne Geldschöpfung. Die Sparer leihen in diesem Fall Ersparnisse an die Unternehmer. Letztere können also mehr Geld ausgeben, als es ihnen sonst möglich gewesen wäre, und sie werden dieses Geld anders ausgeben, als es von den Sparern sonst ausgegeben worden wäre. Der Vorteil dieses Vorgangs liegt darin, dass er eine Arbeitsteilung zwischen unternehmungsmüden Sparern und kapitalschwachen Unternehmern ermöglicht. Allerdings ist zu unterstreichen, dass die Unternehmer nur solche Güter kaufen können, die es bereits gibt. Vermehrter Realkredit bedeutet insbesondere nicht eine gleichzeitige Vermehrung der Arbeiter, Rohmaterialen und Zwischenprodukte. Er bedeutet lediglich, dass die vorhandenen Ressourcen anders verwendet werden. Ohne den vermehrten Realkredit hätten andere Unternehmer (solche, die sich mit Eigenmitteln statt mit Kredit finanzieren) die vorhandenen Ressourcen gekauft bzw. gemietet, und es wären andere Konsumgüter gefertigt worden.

Realkredit führt somit vor allem zu einer Umstellung der Produktion – kurzfristig ändert sich ihre Struktur, nicht aber das Gesamtvolumen der Produktion. Dennoch kommt es mittel- und langfristig in der Regel auch zu einer Erhö-hung des Gesamtvolumens. Denn die Arbeitsteilung zwischen Sparern und Unternehmern lohnt sich nur dann, wenn sie grössere Erträge erwirtschaftet als die konkurrierenden Produktionsvorhaben, die mit Eigenmitteln finanziert werden. Realkredit vermehrt also zwar nicht die Ressourcen, führt aber tendenziell zu einer besseren Verwendung der vorhande-nen Ressourcen.

Was geschieht nun, wenn zusätzliche Kredite per Geldschöpfung erteilt werden? Auch in diesem Fall ist zunächst festzuhalten, dass daraus keineswegs an sich schon eine gleichzeitige Vermehrung der Ressourcen entspringt. Auch in diesem Fall können die kreditfinanzierten Unternehmer nur diejenigen Ressourcen erwerben, die es ohnehin schon gibt. Die entscheidende Frage ist also, ob es auch hier zu einer tendenziell besseren Verwendung der vorhandenen Ressourcen kommt.

Diese Frage ist nun allerdings zu verneinen. Denn die (kostenlose) Schöpfung zusätzlichen Geldes aus dem Nichts verfälscht den Wettbewerb zwischen kreditfinanzierten und eigenkapitalfinanzierten Produktionsvorhaben. Geldschöp-fung macht es möglich, auch solche Projekte zu finanzieren, die eigentlich einen geringeren Ertrag abwerfen als die Pro-jekte, in denen die vorhandenen Ressourcen sonst (d.h. ohne die Geldschöpfung) verwendet worden wären. Wenn die-jenigen Produktionsvorhaben, die per Geldschöpfung finanziert werden, tatsächlich höhere Erträge erwirtschafteten als die konkurrierenden Produktionsvorhaben, so wäre eine Finanzierung per Geldschöpfung eigentlich völlig überflüssig. Die betreffenden Unternehmer wären dann nämlich in der Lage, höhere Zinsen als ihre Konkurrenten zu bezahlen, und somit würden die vorhandenen Realkredite ihnen – und nicht den Konkurrenten – erteilt werden.

Es folgt also, dass die Kreditvergabe per Geldschöpfung mittel- und langfristig eine relative Verringerung der ge-samtwirtschaftlichen Produktion nach sich zieht. Tendenziell führt sie zu einer schlechteren Verwendung – mit anderen Worten: zur Verschwendung – der vorhandenen Ressourcen.

Wir haben in aller Kürze dargelegt, dass es keinen allgemeinen Zusammenhang zwischen gesamtwirtschaftlichem Wachstum und der Geldmenge gibt. Die Realgüterproduktion kann wachsen und auch sehr stark wachsen, selbst wenn die Geldmenge nicht wächst bzw. relativ weniger wächst. Wir haben des weiteren den Unterschied zwischen Geld-schöpfung und Realkrediten erläutert. Letztere können eine positive wirtschaftliche Rolle spielen, weil sie tendenziell zu einer besseren Verwendung der vorhandenen Ressourcen führt. Dagegen führt die Geldschöpfung zu einer relativen Verarmung der Gesamtwirtschaft, da sie einer Verschwendung der vorhandenen Ressourcen Vorschub leistet.

Zum Abschluss wollen wir auf einen weiteren, ganz entscheidenden Nachteil der Geldschöpfung zumindest hinwei-sen, nämlich auf die Tatsache, dass die Schöpfung von ungedeckten bzw. teilgedeckten Sichtguthaben durch die Banken zu einer strukturellen Schwächung der Finanzwirtschaft führt und somit grossen Finanz- und Wirtschaftskrisen Vor-schub leistet. Dieses Thema wird insbesondere vom bereits genannten Roland Baader in grosser Klarheit behandelt, und ich erlaube mir daher abschliessend, seine Schriften zu empfehlen.

JÖRG GUIDO HÜLSMANN, geboren 1966, ist Professor für Ökonomie an der Universität Angers (Frankreich) und Autor von «Ordnung und Anarchie. Essays über Wirtschaft, Politik und Kultur» (2007) und von «Mises: The Last Knight of Liberalism» (2007).

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