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Was genau tun eigentlich die Banken?

Sie haben zurzeit nicht den besten Ruf. Dennoch braucht es Banken in einer modernen Volkswirtschaft. Sie fördern durch Kreditgeldschöpfung Investitionen und Wachstum. Aber auch die Inflation. Eine Analyse.

Wenn es darum geht, die Tätigkeit von Banken zu beschreiben, dann stellen sich die meisten Leute folgendes vor: Ban-ken sammeln die Ersparnisse von Haushalten oder Unternehmen, die in einer bestimmten Periode mehr Geld verdienen, als sie ausgeben wollen, und vergeben diese dann wiederum als Kredite an Unternehmen oder ebenfalls an Haushalte, die in einer bestimmten Periode mehr Geld ausgeben wollen, als sie verdienen.

Je mehr also in einer Wirtschaft gespart wird und die Menschen ihr Geld auf ihren Bankkonten lassen, um so mehr können die Banken dann Kredite vergeben, um damit in erster Linie Investitionen in Betriebe oder in Häuser zu finan-zieren. In besonders deutlicher Form findet sich diese Ansicht auch bei der auf Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek zurückgehenden Österreichischen Schule der Nationalökonomie. So schreibt Roland Baader in seinem 2004 erschienenen Buch «Geld, Gold und Gottspieler»: «Keine Bank kann in Wahrheit mehr Darlehensmittel bereitstellen, als das Publikum willens ist, ihr zur Ausleihung zur Verfügung zu stellen.»

Diese weitverbreitete Sichtweise hat jedoch, so plausibel sie auch klingen mag, einen gravierenden Nachteil: sie ist falsch. Und solange wir an ihr festhalten, können wir weder die Tätigkeit von Banken noch die Wirkung des Geldes in einer modernen Wirtschaft verstehen. Würden Banken tatsächlich Geld ausleihen, das sie vorher von den Sparern er-halten haben, dann müsste das Geld auf der Aktivseite der Bankbilanz stehen. Dort suchen wir aber vergeblich. Auf der Aktivseite einer Bankbilanz stehen vor allem Kredite. Zwar halten Banken auch etwas Bargeld, aber dieses ist nicht Teil der von den Statistiken der Nationalbank erfassten Geldmenge. Geld findet sich vielmehr auf der Passivseite der Bilanz einer Geschäftsbank, wo die Guthaben der Bankkunden aufgeführt sind.

Der grösste Teil des Geldes, das wir heute für Zahlungszwecke verwenden, ist sogenanntes Giralgeld. Damit werden all jene Guthaben (vor allem Sichtguthaben) bei den Banken erfasst, die sich unmittelbar für Zahlungszwecke verwen-den lassen. Wenn wir also beispielsweise unsere Bank beauftragen, die monatliche Überweisung für die Mietzahlung vorzunehmen, dann verwenden wir als Zahlungsmittel unser Sichtguthaben. Bei der Erstellung ihrer Geldstatistiken zählt die Schweizerische Nationalbank denn auch sämtliche Sichtguthaben bei den verschiedenen Banken in der Schweiz zusammen. Dazu werden dann noch die sich im Umlauf befindenden Banknoten und Münzen addiert, und schon haben wir die Geldmenge M1, die das unmittelbar für Zahlungszwecke verwendbare Geld umfasst. Der Anteil der Sichtguthaben steigt dabei immer mehr an und macht inzwischen über 80 Prozent von M1 aus, da zunehmend we-niger mit Bargeld bezahlt wird.

Geld finden wir also zum grössten Teil auf der Passivseite der Bankbilanz. Damit steht bereits fest, dass die von Banken an die Kunden vergebenen Kredite in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit den sich bereits auf Bank-konten befindlichen Ersparnissen steht. Man kann nur Dinge wieder verteilen, die auf der Aktivseite einer Bilanz stehen. Was hingegen auf der Passivseite steht, muss seinen Ursprung bei der Bank selbst haben, und das ist auch der Fall. In einer modernen Wirtschaft entsteht Geld durch die Kreditvergabe der Geschäftsbanken. Wann immer eine Geschäfts-bank entscheidet, dass ein Bankkunde kreditwürdig ist und sie ihm deshalb einen Kredit gibt, dann wird der entspre-chende Betrag dem Konto des Bankkunden gutgeschrieben. In dem Moment, wo die Gutschrift erfolgt, erhöht sich dann entsprechend auch die Geldmenge.

Im Englischen wird das mit dem Satz «loans make deposits» ausgedrückt. Die Geldschöpfung durch Kreditvergabe ist dabei völlig unabhängig von früheren Ersparnissen. Selbst eine Bank, die zunächst gar keine Guthaben hat, kann grundsätzlich einen Kredit vergeben und damit gleichzeitig ein Guthaben eines Bankkunden schaffen.

In ihrer Gesamtheit sind Geschäftsbanken also keine Geldumverteilungsinstitutionen, sondern, wie es bereits im 19. Jahrhundert der schottische Ökonom Henry Dunning McLeod beschrieben hat, viel eher «Geldfabriken». Nur wird dieses Geld nicht physisch von den Banken produziert, sondern es entsteht einfach dadurch, dass es einem Bankkonto gutgeschrieben wird. Wird nun umgekehrt ein Kredit zurückgezahlt, verringert sich die Geldmenge wieder um den entsprechenden Betrag, da das Geld dann wieder vom Guthaben des Bankkunden abgebucht wird. Worauf es letztlich ankommt, ist die Nettokreditvergabe. Werden mehr neue Kredite vergeben, als Kredite zurückbezahlt werden, dann erhöht sich die Geldmenge. Und in einer wachsenden Wirtschaft ist das längerfristig immer der Fall, da ständig mehr Kredite für die Finanzierung von Investitionen gebraucht werden.

Wozu, wird man sich jetzt vielleicht fragen, braucht es dann überhaupt noch die Zentralbank (in der Schweiz die Schweizerische Nationalbank), wenn doch Geschäftsbanken wie Credit Suisse oder UBS einfach selbst Geld schaffen können? Letztlich gibt es drei Gründe, die dafür sorgen, dass auch die Zentralbank eine Rolle im Geldschöpfungspro-zess spielt und somit Einfluss auf die Veränderung der Geldmenge nehmen kann.

Erstens verwenden die Bankkunden nach wie vor etwas Bargeld für Zahlungszwecke und heben dieses dann jeweils von ihrem Guthaben ab. Zusätzliches Bargeld können die Banken aber nur von der Zentralbank beziehen, denn diese besitzt ein vom Staat vergebenes Monopol bei der Herstellung von Banknoten.

Zweitens müssen Banken sogenannte Mindestreserven bei der Zentralbank halten. Reserven sind in diesem Zusam-menhang Guthaben der Geschäftsbanken bei der Zentralbank. Schaffen nun Banken durch Kreditvergabe zusätzliches Geld, dann sind sie stets verpflichtet, die sogenannte Mindestreservenquote (im Moment beträgt diese in der Schweiz 2,5 Prozent) einzuhalten. Die Guthaben der Banken bei der Nationalbank dürfen im Verhältnis zu den Guthaben der Bankkunden bei der Bank nicht unter einen bestimmten Mindestprozentsatz fallen. Hat also eine Bank insgesamt Kun-deneinlagen von 100 Millionen Franken, dann muss sie gleichzeitig mindestens 2,5 Millionen Reserven bei der Zent-ralbank halten. Je mehr Geld die Banken schaffen, um so mehr Reserven brauchen sie deshalb, und diese können wie-derum nur von der Zentralbank bezogen werden.

Und drittens wird Notenbankgeld in vielen Ländern auch für Zahlungen der Banken untereinander verwendet (in der Schweiz «Swiss Interbank Clearing» genannt), woraus sich ein zusätzlicher Bedarf für Guthaben bei der Notenbank ergibt.

Die geldpolitischen Entscheide der Zentralbank bestehen im wesentlichen darin, die Bedingungen festzulegen, zu de-nen sich die Geschäftsbanken Reserven, d.h. Notenbankgeld beschaffen können. Solches erhalten sie nämlich nicht gratis, sondern sie müssen der Zentralbank dafür einen Zins bezahlen. Ist dieser Zins hoch, dann ist die Beschaffung von Reser-ven teuer, und die Geschäftsbanken verrechnen die hohen Zinsen sofort an ihre Kunden weiter. Auf diese Weise steigen die Zinsen in der gesamten Wirtschaft, was zu einem Rückgang der Investitionen und (über den Wechselkurs) der Netto-exporte führt und somit das Wachstum bremst. Umgekehrt führt eine Verbilligung der Reserven zu tiefen Zinsen in der Wirtschaft, was im Idealfall mehr Investitionen und Nettoexporte auslöst und so das Wachstum ankurbelt. Allerdings führt eine Zinssenkung der Zentralbank für die Beschaffung von Reserven noch nicht automatisch auch zu tiefen Zinsen in der Wirtschaft. Glauben die Banken, dass Kredite mit hohen Risiken behaftet sind, dann kann es sein, dass die Banken der Zentralbank tiefe Zinsen bezahlen, selbst aber von ihren Kunden hohe Zinsen verlangen.

Grund dafür sind die für das Kreditrisiko verlangten Prämien, die die Zinsen für Bankkredite vor allem für viele kleinere Bankkunden (Klein- und Mittelunternehmen) in die Höhe treiben. So können sich seit dem Ausbruch der gegenwärtigen Krise Banken in den meisten Ländern Reserven fast gratis beschaffen, da die Zentralbanken den Zins beinahe auf Null gesenkt haben. Doch die von den Banken für Firmenkredite verlangten Zinsen sind nach wie vor hoch.

Grundsätzlich kann das von den Banken über Kredite geschaffene Geld in der Wirtschaft ganz verschiedene Aus-wirkungen haben. Wird das Geld in produktiver Weise zur Finanzierung von Investitionen verwendet, dann ermöglicht die Geldschöpfung zusätzliches Wachstum in der Real- wirtschaft, sofern die Investitionen profitabel sind. Wird das neugeschaffene Geld hingegen einfach für den Kauf bereits existierender Güter, Dienstleistungen oder Wertpapiere eingesetzt, dann erhöht sich die Geldmenge, ohne dass irgendetwas zusätzlich produziert wird. In diesem Fall führt die Geldschöpfung zu Inflation, da sich gesamtwirtschaftlich die Nachfrage erhöht, das Angebot aber konstant bleibt.

Dieser Preisanstieg bereitet im allgemeinen wenig Freude, da sich die Kaufkraft des Geldes dadurch verringert. Fin-det die Inflation hingegen an der Börse (steigende Börsenkurse) und nicht in der Realwirtschaft statt, weil das neuge-schaffene Geld vor allem für den Kauf von Aktien verwendet wird, dann wird sie als angenehm empfunden, da sie die Aktienbesitzer (vorderhand) immer reicher macht. In der Realität führt Geldschöpfung meist zu einer Mischung von Inflation und Wachstum, so dass wir längerfristig stets Wachstum, aber auch stets Inflation haben. Deflation hingegen ist immer nur ein kurzfristiges Phänomen, das während Rezessionen auftreten kann.

Die Möglichkeit der Kreditgeldschöpfung durch die Geschäftsbanken und die damit ermöglichte Finanzierung zu-sätzlicher Investitionen unabhängig von früheren Ersparnissen ist nun wiederum eine Bedingung dafür, dass ein dauer-haftes Wirtschaftswachstum überhaupt stattfinden kann. Auf diese Weise steigen die Einkommen in der Wirtschaft, und es entsteht zusätzliche Kaufkraft. All das wäre nicht möglich, wenn neue Investitionen aus Ersparnissen finanziert werden müssten. In diesem Fall würde eine Erhöhung der Investitionen gleichzeitig eine Erhöhung der Ersparnisse be-dingen. Wenn aber mehr gespart wird, bedeutet das automatisch weniger Konsum und damit weniger Einnahmen für die Unternehmen. Mit andern Worten: ohne Geldschöpfung bedingt eine Erhöhung der Investitionen eine Verringe-rung des Konsums, und genau unter solchen Bedingungen lohnen sich Investitionen dann gar nicht. Dank der Kredit-geldschöpfung ist dieses Problem jedoch gelöst. Durch das neu von den Banken geschaffene Geld entsteht zusätzliche Kaufkraft, und Investitionen und Konsum können gleichzeitig wachsen.

Die wohl einflussreichsten Ökonomen des vergangenen Jahrhunderts, Joseph Schumpeter und John Maynard Keynes, haben die Bedeutung der Banken und der Kreditgeldschöpfung für das Wachstum klar erkannt. So schreibt Schumpeter 1927, dass ohne die Möglichkeit der Kreditgeldschöpfung «die Finanzierung der industriellen Entwicklung in der modernen Wirtschaft unmöglich gewesen wäre». Und etwas später lesen wir bei Keynes (1937): «Banken besitzen die Schlüsselposition beim Wirtschaftswachstum. Der Markt für Investitionen kann nur durch einen Mangel an Geld ins Stocken geraten, aber nie durch einen Mangel an Ersparnissen.»

Nicht Ersparnisse beschränken also die Investitionen, sondern die Menge an Geld, die wiederum von der Geld-schöpfungsaktivität der Banken abhängt. Diese Erkenntnis hat sich aber in der Volkswirtschaftslehre nie durchgesetzt, und es wird nach wie vor so getan, als ob die Investitionen immer durch Ersparnisse finanziert werden müssten. Wäre dem wirklich so, dann würden die meisten von uns noch als Bauern oder Hirten ein eher kärgliches Dasein fristen, da die ganze wirtschaftliche Entwicklung gar nie hätte stattfinden können.

Henry Dunning MacLeod: «Theory of Credit». London: Longmans, 1889.

Joseph Schumpeter: «Die goldene Bremse an der Kreditmaschine».

In: «Kölner Vorträge» Band I, «Die Kreditwirtschaft» 1. Teil. Leipzig: Gloeckner, 1927, S. 80–106.

John Maynard Keynes: «The ‘Ex Ante’ Theory of the Rate of Interest». Economic Journal 47, 1937, S. 663–9.

MATHIAS BINSWANGER, geboren 1962, ist Professor für Volks-wirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz, Privat-

dozent an der Universität St. Gallen und Autor von «Die Tretmühlen des Glücks» (2006).

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