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Korruption im Schlepptau

Suzann-Viola Renninger im Gespräch mit Mark Pieth Kein Embargo ohne Umgehung. Mit im Spiel sind Regierungen, Geheimdienste, internationale Firmen, Einzelpersonen. Massnahmen dagegen beginnen langsam zu greifen. Ob dies nachhaltig ist, bleibt offen.

Herr Pieth, Sie wurden 2004 von Kofi Annan in das Untersuchungskomitee berufen, das die Skandale rund um das Oil-for-Food-Programm aufklären sollte, mit dem die Uno versucht hatte, die katastrophalen Folgen der Handelsembargos für die irakische Zivilbevölkerung zu mildern. Der Titel einer der abschliessenden Pressemitteilungen des Untersuchungskomitees vom 27. Oktober 2005 lautet: «Illicit oil-for-food programme payments of nearly $2 billion to Saddam Hussein». Das Embargo ging mit der Korruption Hand in Hand. Eine Ausnahme?

Korruption galt noch vor 20 Jahren als Selbstverständlichkeit, und man traute sich nicht – oder war auch einfach nur zu zynisch dazu –, etwas dagegen zu unternehmen. Das hat sich in den letzten 20 Jahren dramatisch geändert, und es sind auf internationaler Ebene Initiativen gegen die Korruption entstanden. Der Fall der Berliner Mauer scheint bei diesem Sinneswandel eine grosse Rolle gespielt zu haben. Nach meiner Interpretation haben sich nicht nur die Märkte im Osten geöffnet, sondern auch die davon abhängigen Märkte, die bisher nach Ost-West-Kriterien aufgeteilt waren. Früher wurden etwa in Italien von der CIA Parteien geschmiert, die im Kampf gegen den Kommunismus gebraucht wurden. Diese Art der Korruption aus politischen Gründen wurde jetzt unnötig und störend. 1997 gipfelte das in der OECD-Konvention, also dem Übereinkommen zur Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr. Es hat sich dann nicht alles von einem Tag auf den anderen geändert. Manche Staaten haben bis ins Jahr 2000 gebraucht, um entsprechende Gesetze zu schaffen. Ausserdem dauerte es, bis die an der transnationalen Wirtschaftskorruption beteiligten Firmen begriffen, dass es nun ernst wurde.

Das Oil-for-Food-Programm lief zwischen 1995 und 2003, genau in dem Zeitraum dieses Umschwungs.

Was ich jetzt sage, folgt nicht der political correctness: die meisten Firmen sind davon ausgegangen, dass die OECD-Konvention zwar hier in der westlichen Welt gelte, nicht jedoch in der gleichen Weise im Mittleren Osten. Auch dachte man, es würde keiner je erfahren, wenn man bei den vereinbarten Preisen noch 10 Prozent oben draufschlage. Saddam Hussein – es ging es um ein Handelsvolumen von insgesamt etwa 45 Milliarden Dollar – hat dies systematisch ausgenützt und manchmal für die Öllieferungen bis zu 30 Prozent mehr verlangt als offiziell vereinbart. 2’000 der 2’500 beteiligten Firmen waren bereit, solche illegalen Zahlungen zu leisten.

 

Und damit die Uno-Sanktion zu unterlaufen?

Da gibt es unterschiedliche Auffassungen. Manche Staaten, wie die USA, haben die Zahlungen als Bestechung betrachtet, andere als Sanktionsverletzung. Da steckt der Teufel im Detail. Während in Deutschland die Verletzung von Uno-Sanktionen sehr schwer geahndet wird, bedeutet sie in anderen Ländern nur ein Vergehen oder manchmal sogar nur eine Übertretung. Das hat dann zur Folge, dass nur sehr kurze Verjährungsfristen gelten. Österreich etwa hat überhaupt keinen einzigen Fall weiterverfolgt. Bei anderen Staaten kam es vielfach nur zu einer Busse.

 

Woher stammt Ihr Optimismus, dass die Korruption weniger wird, wenn die Konsequenzen für die Firmen offenbar nicht sonderlich einschneidend sind? 

Das, was ich gesagt habe, galt rückwirkend für die Korruption beim Oil-for-Food-Programm. Die klassischen Korruptionsfälle finden Sie dagegen bei Firmen wie British Aerospace, Siemens, MAN, ABB, KBR oder vielen anderen, die über Bestechungen versuchen, an Aufträge zu kommen. Hier hat während der letzten Jahre ein Umschwung stattgefunden. Zunächst in den USA. Dort gab es innerhalb der letzten drei Jahre soviele Strafanzeigen und Verurteilungen wie insgesamt in den dreissig Jahren zuvor. Diese Verurteilungen werden von den Firmen gefürchtet, weil sie dazu führen können, dass diese von künftigen Aufträgen und von der Exportrisikogarantie ausgeschlossen werden.

 

Gehen wir doch nochmals einen Schritt zurück, als 1991 von der Uno die Wirtschaftssanktionen gegen den Irak beschlossen wurden. Welche Rolle spielte die Uno selbst bei der Umgehung dieser Sanktionen?

Die Uno ist ein ganz, ganz schwerfälliger Apparat, der zum grossen Teil von Beamten betrieben wird, die entweder unfähig sind oder korrupt. Wir haben in unseren Evaluationen etliche Beispiele dafür gefunden. So sind etwa die beiden obersten Chefs der Uno-Vergabebehörde wegen Bestechlichkeit verurteilt worden. Um ein Beispiel zu nennen: bei der Miete eines Flugzeuges für den Transport von Hilfsgütern haben sie vom Flugzeugeigentümer
dafür Geld bezogen, dass sein Flugzeug benutzt wurde.

 

Also eine Kickback-Zahlung, bei der ein überhöhter Preis in Rechnung gestellt wird, von dem der Auftraggeber dann einen Teil verdeckt zurückerhält. 

Genau. Und das ist für die Uno nicht unüblich. Wir sind also in einer unangenehmen Situation. Denn wir brauchen die Uno – das sehen wir ja gerade wieder in Thailand. Wer anders wäre in der Lage, dort mit der nötigen Legitimität einzugreifen und sich zwischen die Fronten zu stellen? Allerdings ist die Uno äusserst anfällig für Missbräuche wie solche Kickback-Zahlungen. Beim Oil-for-Food-Programm kam hinzu, dass die Uno vollkommen überfordert war: das Welternährungsprogramm, die Weltgesundheitsorganisation, das Uno-Entwicklungsprogramm. Im Grunde haben alle versagt, weil sie schnell helfen wollten und dabei zuwenig beaufsichtigt wurden. Mit Blick auf das Erdbeben in Haiti sollte uns das zu denken geben.

 

Ich möchte gerne einen Vergleich zwischen Wirtschaftssanktionen und restriktiver Drogenpolitik ziehen. Beide tragen dazu bei, dass der Schwarzmarkt und die organisierte Kriminalität zunehmen.

Man muss sehen, dass Wirtschaftssanktionen gegenüber einer militärischen Intervention das vergleichsweise mildere Mittel sind. Daher würde ich sie nicht mit den Restriktionen beim Drogenhandel vergleichen. Aber Wirtschaftssanktionen laden dazu ein, umgangen zu werden. Das ist klar. Das Problem beim Irak-Embargo war ja, dass die Sache nicht dicht war, weil die Nachbarn systematisch bereit waren, es zu unterlaufen. Selbst die USA haben Öl geschmuggelt: die CIA hat es illegal Saddam Hussein abgekauft, um mit dem Gewinn des Weiterverkaufs hohe Militärs im Irak bestechen zu können.

 

Macht alles wenig Hoffnung auf einen Erfolg der aktuellen Sanktionen gegen den Iran, mit denen Ahmadinedschad am Bau der Atombombe gehindert werden soll.

Wenn man den Iran wirklich dazu zwingen möchte, seine Atompolitik zu ändern, dann müsste man weltweite Wirtschaftssanktionen ergreifen. Und dabei müsste man sich vorher im klaren sein, wie Russland und China sich verhalten. Und zwar nicht nur, wie sie im Konferenzraum zu solchen Massnahmen stehen, sondern ob sie bereit sind, zu schmuggeln und zu schmieren. Da stimmt Ihr Vergleich, den Sie vor einigen Momenten gemacht haben: in solchen Situationen entsteht ein Schwarzmarkt. Dazu braucht es nicht einmal das organisierte Verbrechen, da genügen die offiziellen Stellen. Sehr oft ist es auch so, dass man im voraus genau weiss, wer das Embargo umgehen wird. Doch man ist nicht bereit, gegen diese Leute vorzugehen. Vor allem nicht gegen die eigenen grossen Firmen.

 

Klingt alles nach reiner Fassadenschieberei. Heisst das auch, dass Wirtschaftssanktionen Wirkung haben könnten, wenn bloss der politische Wille da wäre?

Nehmen wir Südafrika zu Zeiten des Apartheidregimes als Beispiel. Da hatte man ein Waffenembargo beschlossen und, da man es ernst meinte, auch weitergehende Vorschriften veranlasst. Trotzdem sind die Waffen weiter nach Südafrika gekommen. Frankreich etwa hat Panzer, Flugzeuge, Helikopter, Kleinwaffen unbesorgt weitergeliefert, indem das Ganze über Portugal abgewickelt wurde. Dort wurden die Waffen auf Schiffe verladen, nach Moçambique gebracht, und dann gingen sie illegal über die Grenze. Solche Wege finden sich immer.

 

Das war wohl schon damals bekannt. Warum wurden keine Konsequenzen gezogen?

Wenn man die Konsequenz gezogen hätte, die beteiligten Firmen zu schliessen, dann hätte das dramatische Konsequenzen für die jeweilige nationale Wirtschaft gehabt, wie für die grossen Waffenproduzenten in Frankreich oder die Banken in Luxemburg. Solange man solche Konsequenzen nicht ziehen mag, da haben Sie vollkommen Recht, werden Embargos umgangen.

 

Was mich interessiert, ist die Frage, ob die Umgehung des Embargos von vornherein mit einkalkuliert wird, was ja hiesse, dass die Entscheidung für ein Embargo vor allem als ein symbolischer oder theatralischer Akt verstanden wird, der zeigen soll, dass man zum äussersten, also zum Krieg, bereit wäre.

Wenn man nicht bereit ist, sein Arsenal gegen die Leute einzusetzen, die das Embargo umgehen: ja. Nehmen wir den Balkankonflikt. Da hat man genau gewusst, dass Herr Kashoggi Waffen liefert. Und man hat auch gewusst, wo er sich rumtreibt. Man hätte ihn verhaften und seine Geschäfte unterbinden können. Herr Kashoggi hatte fast etwas von Dr. No. Er war ein einzelner Bösewicht, der alle auf seine Burg einlud und wahnsinnige Geschenke machte. Den hätte man mit einem einzelnen Agenten ausser Gefecht setzen können. Doch das hat man nicht getan.

 

Das und das hätte unterbunden, der und der hätte festgesetzt werden können. Sie verwenden immer wieder den Konjunktiv. Gibt es Beispiele, wo man wirklich eingegriffen hat?

Die USA haben zum Beispiel lange zu verhindern versucht, dass das Kuba-Embargo umgangen würde. Sie haben Geld eingezogen, wenn sie davon ausgehen konnten, dass es in Kuba landen würde, oder sie haben Firmen zur Rechenschaft gezogen. Etwas Ähnliches passiert auch im Iran. Die USA haben es geschafft, dass sich sämtliche an den amerikanischen Börsen kotierten grösseren Banken und Firmen hüten, mit dem Iran Geschäfte zu machen.

 

An Tricks, dennoch die Finger heimlich im Spiel zu haben, wird wohl kaum Mangel sein.

Auch das stimmt. Wenn sich die grossen Firmen zurückziehen, dann treten die Trader auf den Plan. Über Firmen wie die Zuger Glencore wurden während des Irak-Embargos zeitweise bis zu zwei Drittel des gesamten Ölvolumens gehandelt.

 

Und die grossen Firmen versteckten sich im Hintergrund.

So ist es. Allerdings ist nachträglich dennoch herausgekommen, wie effektiv die internationalen Ölfirmen hinter den Kulissen gehandelt haben. Das wurde für diese dann sehr unangenehm.

Genügend unangenehm, dass die internationalen Ölfirmen in Zukunft anders handeln würden? 

Ich glaube, dass die Verantwortlichen dieser Firmen davon ausgegangen waren, dass nie bekanntwerden würde, was sie hinter den Kulissen so taten. Das wird auch aus den Bankunterlagen deutlich; da gibt es viele offen inkriminierende Äusserungen.

 

Worauf ruhte diese Zuversicht?

Man hat an das Bankgeheimnis geglaubt. Und man war auch etwas naiv. Doch hier hat sich, wie schon erwähnt, in den letzten 10, 20 Jahren sehr viel verändert. Der Schirm, den man mit den liechtensteinischen Anstalten geschaffen hat, ist inzwischen nicht mehr dicht, das Bankgeheimnis gilt nicht mehr in dem Masse wie früher. Wir haben kürzlich nur drei Wochen gebraucht, um zu wissen, wer hinter diesen ganzen liechtensteinischen Anstalten steht und dann alle Treuhänder vorgeladen.

 

Die Aufweichung des Bankgeheimnisses und der Wegfall des Kalten Krieges sind zwei der Gründe, die Sie für die Abnahme der Korruption genannt haben. Doch die Welt wird sich weiter verändern. Es werden neue Finanzinstrumente entstehen, und es werden sich neue Fronten bilden.

Es ist interessant zu sehen, wie die Staaten sich neu positionieren und Länder wie die Drittweltländer sich in Szene zu setzen versuchen, so etwa Brasilien
und die Türkei im Iran. Insgesamt glaube ich aber, dass die Korruption weniger wird.

 

Wie steht es um die Rolle der Medien? Wieviel kann der investigative Journalismus bewirken? 

Da erwähnen Sie einen wichtigen Punkt. Da nach wie vor die Strafverfolgung im Korruptionsbereich schwächlich ist, auch und gerade weil es um die Kriminalität der Mächtigen geht, sind funktionierende Medien wichtig. Von diesen wurde viel Aufklärungsarbeit geleistet. Denken Sie an die Korruption beim Rüstungskonzern British Aerospace. Diese aufzudecken, war eine Herkulesarbeit der britischen Zeitung «The Guardian». Besorgniserregend ist, dass der investigative Journalismus an Kraft verliert, weil kein Geld mehr für Recherchen zur Verfügung steht. Ich war kürzlich an die Berkeley Graduate School of Journalism eingeladen, an einen Kongress mit gegen 300 investigativen Journalisten, die ein dramatisches Bild von der sich verschlechternden Lage der klassischen Medien und damit ihrer Möglichkeiten gezeichnet haben.

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