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Empörung ist die Leidenschaft des Schwachen

Wie lässt sich die Verletzung von Menschenrechten ahnden? Durch Embargos, sagen die Mächtigen. Dabei ist klar, dass diese oft ihr Ziel verfehlen. Weniger klar ist, ob die Schweiz dennoch mitmachen soll.

Die Schweiz hat ihre Aussen- und ihre Aussenwirtschaftspolitik parallel und in gegenseitiger Koordinierung geführt, ohne dabei Unterstellungen zu schaffen. Sie ist damit gut gefahren. Unser Grundmuster lautete: Keine wirtschaftlichen Mittel zur Erreichung politischer Ziele, keine politischen Mittel zur Erreichung wirtschaftlicher Ziele. Diese Regel machte die schweizerischen Aussenbeziehungen berechenbar und entzog sie der Erpressbarkeit; sie hatte eine Linie und wurde von Parlament und Volk mitgetragen.

Diese Politik ist aus dem Selbstschutz vor den Grossmächten und aus der Bescheidung erwachsen, dass wir weder über die wirtschaftlichen Mittel verfügen, die Welt politisch zu verändern, noch die politischen Mittel zur Hand haben, um das wirtschaftliche Fehlverhalten in der Welt zu korrigieren. Diese Politik war jene des Bundesrates und des Parlaments. Die Verwaltung hat sie als Instruktion der Regierung umgesetzt. Heute ist diese Trennung nicht mehr so evident, was unseren Partnern nicht verborgen geblieben ist. Sie ergreifen die Chance, uns politisch unter Druck zu setzen, damit wir unsere wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ihren Wünschen anpassen.

Dies festgestellt, stehen in der Werteskala die Menschenrechte eindeutig über der Aussenwirtschaftspolitik. Den Vorrang der Menschenrechte hat Botschafter August R. Lindt schon an der Uno-Menschenrechtskonferenz vom 2. Mai 1968 in Teheran festgehalten, als er in seiner Erklärung ausführte: «…toute la tradition démocratique et humanitaire de mon pays repousse l’image d’une société telle que l’a créée l’apartheid. Les autorités suisses ne peuvent dès lors que condamner moralement ce système.»1

Die Grundfrage lautet handelspolitisch somit folglich: Soll der Handel mit Ländern unterbunden werden, welche die Menschenrechte missachten? Von 1945 bis zum Irak-Embargo war die Antwort des Bundesrates eindeutig: Verurteilung der Menschenrechtsverletzungen, keine Waffenexporte in Krisengebiete, im übrigen Festhalten an der Universalität unserer Aussenwirtschaftsbeziehungen, wenn nötig unter Einführung des courant normal, um nicht zur Drehscheibe und zum Profiteur von Sanktionen anderer zu werden.

Allein, schon in der ersten Uno-Botschaft steht ein Satz, der besagt, dass sich die Schweiz Sanktionen nicht werde entziehen können, wenn dereinst die gesamte Weltgemeinschaft solche beschliessen sollte, gleich ob sie Mitglied der Uno ist oder nicht.2 Dieser Fall ist mit dem irakisch-kuwaitischen Krieg schneller eingetroffen, als wir damals gedacht hatten, und er hat sich gegenüber Restjugoslawien wiederholt. In beiden Fällen ging es rechtlich um Sanktionen gegen Friedensbrecher, nicht um Sanktionen gegen Menschenrechtsverletzer, wiewohl das erstere das letztere impliziert hat.

Ob Sanktionen etwas nützen oder nicht, ist eine ideologische Streitfrage, die empirisch nicht abschliessend beantwortet werden kann. Die moralische Anprangerung, die sie implizieren, vermag, vor allem bei Intellektuellen des betroffenen Landes, eine gewisse Wirkung auszuüben, wie dies in Südafrika der Fall gewesen ist. Denn Sanktionen manifestieren das Einstehen für einen Grundwert, vor allem, wenn sie die Länder, die sie ergreifen, etwas kosten.

Umgekehrt können sie auch eine Wagenburgmentalität auslösen, die eher dazu geeignet ist, die gewünschten politischen Veränderungen zu verzögern. Die Schweiz ist nach heutigem Rechtsverständnis erst seit 1971, das heisst seit der Einführung des Frauenstimmrechts, eine Demokratie. Hätte uns die Weltgemeinschaft des fehlenden Frauenstimmrechts wegen mit Sanktionen belegt, so wäre dessen Einführung noch weiter hinausgeschoben worden. Die Erinnerung an die Zeit vor 1971 sollte auch geeignet sein, unseren unbändigen Schulmeistertrieb etwas zu mässigen, und wäre es auch nur aus realistischer Demut.

Die Einhaltung der Menschenrechte lässt vielfach in wirtschaftlich schwachen Ländern zu wünschen übrig. Unter solchen Umständen ist deren Durchsetzung politisch umso komplexer, als nicht klar ist, ob deren Verletzung eine Ursache oder eine Folge der wirtschaftlichen Rückständigkeit ist. Dieser Umstand verweist auf die Notwendigkeit der Prävention.

In Fällen gravierender Menschenrechtsverletzungen scheint der Sinn für Gerechtigkeit rasche ökonomische Sanktionen zu erheischen. Doch auch bei solchen, sicher gutgemeinten, Massnahmen darf die Tatsache nicht vertuscht werden, dass Sanktionen nicht nur dem fehlbaren Lande schaden, sondern auch den Ländern, die sie anwenden; folglich werden sie gegen schwache Länder leichter verhängt als gegen starke.

Solange die mit solchen Sanktionen verbundene Gefahr der Ungleichbehandlung nicht abzuwenden ist, ist im Interesse des Schwächeren – und damit im Interesse der Rechtsgleichheit – Behutsamkeit vonnöten. Gegen Serbien/Montenegro wurden Sanktionen ergriffen, gegenüber China, welches Tibet und die chinesische Opposition nach wie vor knebelt, denkt (schon aus Gründen der Prozeduren des Sicherheitsrates) kein Mensch daran, kollektive Massnahmen zu ergreifen.

Erheischt die Unbedingtheit der Menschenrechte dennoch eine rechtsungleiche Behandlung von Staaten? Oder schwächt die rechtsungleiche Behandlung die Glaubwürdigkeit von Massnahmen zugunsten der Menschenrechte? Ich kann diese Frage nicht abschliessend beantworten.

Ferner ist auf das Problem hinzuweisen, dass Wirtschaftssanktionen nicht selten unschuldige Nachbarstaaten treffen. Als Beispiel sei Mazedonien genannt, das durch das Embargo gegen Serbien/Montenegro wirtschaftlich arg geschädigt worden ist.

Im übrigen ist auf die Gefahr der Hypokrisie hinzuweisen, nämlich auf das Risiko, dass der Schutz der Menschenrechte zur Förderung von Protektionismus missbraucht wird. Diese Perversion ergab sich bei den Sanktionen gegen Südafrika. War es ein Zufall, dass eine Welthandelsmacht mit chronischen Gemüseüberschüssen ihr Embargo auf südafrikanische Gemüseexporte ansetzte und dass eine andere, mit namhaften Strukturproblemen im Montansektor, die südafrikanischen Kohle- und Stahlprodukte mit einem Importverbot belegte?

Zudem wurden im Falle des Investitionsrückzuges die Firmen an Strohmänner in Südafrika «verkauft», während der Handel und der Kapitalexport über die Frontstaaten erfolgten. «Südafrika» ist seit dem 2. Weltkrieg das Dossier, das weltweit mit der grössten Hypokrisie behandelt worden ist.

Ich habe als erster Schweizer Mandela offiziell empfangen, in Genf, worauf ich ihm in Johannesburg einen Gegenbesuch abstattete. Der einzige Vorwurf, den er mir in beiden Städten machte, war, dass der Bundesrat den ANC finanziell nicht unterstützt habe. Die Nichtteilnahme an den Sanktionen war kein Thema. In diesem Zusammenhang muss auch bedacht werden, dass die Uno gegenüber Südafrika bindend nur ein Waffenembargo beschlossen hat, ein Embargo, das die Schweiz schon früher eingeführt hatte. Alle anderen Uno-Beschlüsse zu Südafrika waren bloss nichtbindende Empfehlungen.

Embargos können umgangen werden. Der Handels- und Zahlungsverkehr kommt zwar zum Erlahmen; einigen wenigen gelingt es jedoch stets, sich masslos zu bereichern. Das war schon immer so. Es ist drei Basler Handelsherren gelungen, Napoleons Kontinentalsperre zu umgehen, was zur Folge hat, dass es noch heute empfehlenswert ist, eine ihrer Erbtöchter zu heiraten …

Der wirtschaftliche Zwang kann sich auch kontraproduktiv auswirken: die Missachtung der Menschenrechte wird nicht eingestellt, sondern wirksamer verdeckt. Den Opfern nützt die (unsichere) Aussicht auf eine spätere Verfolgung der Schuldigen wenig. Mit anderen Worten sind bei der Durchsetzung von Menschenrechten konkrete Fälle sofort zu lösen: rechtswidrig Gefangene oder Gefolterte müssen befreit, Besuche in Gefängnissen zugelassen werden. Hierin liegt die eminente Bedeutung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK).

Handelsmassnahmen wie Embargos wirken sich hingegen, wenn überhaupt, langfristig aus, etwa auf die Ausgestaltung der generell-abstrakten Normen einer verbesserten nationalen Ordnung. Dazu kommt, dass die Massnahmen, sofern sie überhaupt greifen, die von Menschenrechtsverletzungen am meisten bedrohte Bevölkerung am schwersten treffen. Saddam Hussein lebte in Saus und Braus, während die Bevölkerung die Kosten des Embargos trug. Kein Geringerer als Cornelio Sommaruga sagte seinerzeit, dass er eine Aufhebung der Sanktionen gegenüber Serbien begrüssen würde: «Meiner Meinung nach treffen Sanktionen letztlich die Schwächsten und Ärmsten, und nicht die politisch Verantwortlichen.»3

Es wäre folglich die schwierige Frage abzuklären, ob Sanktionen möglich wären, die nur die Mächtigen treffen. Das Bundesamt für Aussenwirtschaft in der Person von Botschafter Rolf Jeker hat seinerzeit der Uno solche smart sanctions vorgeschlagen, doch blieb der Vorschlag ohne Folgen.

Eine Langzeitwirkung kann hingegen durch die Pflege des Handels erzielt werden. Denn der Handel fördert den Wohlstand und schafft Verbindungen mit dem Ausland. Beides kann dazu führen, dass Verletzungen der Menschenrechte erschwert werden, und sei es auch nur, weil sie sich nicht mehr geheimhalten lassen.

Der Handel sollte also ausgeweitet, mindestens aber als courant normal weitergeführt werden, denn als leistungsfähiger Vektor der Freiheit kann er eine nachhaltige Wirkung ausüben. Freier Handel ist letztlich nur unter freien Menschen möglich. Ist es ein Zufall, dass Länder und Städte mit einer säkularen Handelstradition zu den tolerantesten gehören: Grossbritannien, die Niederlande, die Hansestädte, Samarkand, der Stadtstaat Basel? Und dass Länder, Kantone und Städte ohne Handelstradition, die zudem von der Aufklärung kaum gestreift worden sind, etwelche Abscheu bekunden, ihre dogmatischen Atavismen zu überwinden?

Da der Handel stets den Dialog und damit auch einen Austausch von Ideen mit sich bringt, hat er eine eminent friedens- und damit menschenrechtsfördernde Wirkung. Und vergessen wir nicht: Grenzüberschreitungen wird es immer geben, entweder von Waren oder von Armeen.

Menschenrechte lassen sich letztlich aber nur wirksam durchsetzen, wenn ihnen eine positive Rechtsordnung Autorität verleiht, fähig, ihre Einhaltung zu gewährleisten. Umgekehrt decken die auf rechtsstaatlichen, demokratischen und liberalen Grundsätzen aufgebauten Ordnungen zahlreiche Menschenrechte automatisch ab. Ein Land mit den Wertvorstellungen (und Mitteln) der Schweiz sollte sich deshalb primär für Einführung, Erhaltung und Anwendung geeigneter Rechtsordnungen einsetzen, statt mit Demonstrationen und Embargos seiner Empörung Ausdruck zu verleihen. Denn Empörung ist die Leidenschaft des Schwachen.

1) François Pictet: «La conférence de Téhéran sur les droits de l’homme». In: R. Wilhelm et al. (Hrsg.): «August R. Lindt. Patriot und Weltbürger». Bern: Haupt, 2002.

2) «Bundesblatt» 1982 I 497

3) «Sonntags-Zeitung», 13. August 1995, S. 13

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