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Kafka im Freibad

Asyl: Eine Institution der Grosszügigkeit ist zum Instrument der Abschreckung mutiert.

Franz Kafka ist der literarische Meister des Absurden. Seine Erzählungen verzerren die Realität bis zur unerträglichen Irrwitzigkeit. Kafka hätte Freude an der Gemeinde Bremgarten. Denn deren Freibadpolitik entlarvt in diesen hochsommerlichen Tagen meisterhaft die Absurditäten des Schweizer Asylwesens.

Das Asyl war einst eine private Institution: Kirchen und andere, nicht selten lokale Organisationen nahmen Bedürftige bei sich auf, um sie vor wirtschaftlicher Not und politischer Unterdrückung zu schützen. Im Laufe der Jahrhunderte wurde das Asyl zum Politikum – vor allem weil es primär Regierungen waren, die Menschen unterdrückten und zur Flucht zwangen. Zahlreiche Querdenker – darunter Grössen der europäischen Geistesgeschichte – wurden so zu «Asylanten».

Heute sucht längst nicht mehr nur der politische Querulant nach Asyl, sondern vor allem der Wirtschaftsflüchtling. Armut und Entbehrung treiben ihn dazu, die eigene Heimat zu verlassen. An der Spitze der Schweizer Asylstatistik stehen deshalb nicht umsonst die Herkunftsländer Eritrea, Nigeria und Tunesien. Diktaturen wie Nordkorea, Kuba oder der Iran finden sich erst auf den weiteren Plätzen.

Die Classe politique liebt die Romantik des politischen Asyls und verweigerte sich darum lange seiner ökonomischen Realität. Vorgeblich, um das Asyl zu verteidigen, fällte sie eine absurde Entscheidung: Asylsuchende dürfen kein wirtschaftliches Eigenleben entfalten, selbst wenn sie es wollen. Das Asylrecht sollte damit so unattraktiv werden, dass die «falschen» – also wirtschaftlichen – Flüchtlinge von ihm nicht angelockt würden.

Beispiel Deutschland: Hier darf ein Asylant maximal 1,05 Euro pro Stunde verdienen. Als die Gemeinde Schwäbisch Gmünd jüngst Asylsuchenden die Möglichkeit gab, durch das Tragen von Gepäck am Bahngleis dieses bescheidene Zubrot zu verdienen, traf sie unter den Reisenden wie unter den Betroffenen auf Begeisterung – Medien und Verbände aber geisselten die Aktion als «unwürdig». Umgehend wurde sie sistiert – und die Asylanten wurden wieder in die Obhut der Sozialbürokratie verbannt.

Asylsuchende dürfen aber nicht nur nicht arbeiten, sie werden neuerdings auch in kasernenartige Heime gepfercht oder gar in Gefängnissen «beherbergt». Sie sind von ausschliesslich staatlichen Almosen abhängig, dürfen aber kein Bargeld erhalten, nur Sachleistungen. Sie dürfen sich nicht frei niederlassen – und im aargauischen Bremgarten sollen sie trotz Rekordhitze nicht mal mehr ein Freibad besuchen dürfen.

Die Bürger des Westens haben längst jede Romantik abgestreift. Asylsuchende gelten ihnen als Schmarotzer. «Asylant» ist zum Schimpfwort geworden. Politische Initiativen gegen das Asyl finden garantierten Anklang. Die Schweiz verschärfte jüngst mit überwältigender Mehrheit ihr Asylgesetz derart, dass ein Asylantrag nur noch an der Schweizer Grenze gestellt werden kann, mitten in Europa. Gerade für einen politisch Verfolgten ohne Geld und Papiere eine geradezu heroische Leistung, überhaupt diese Grenze zu erreichen. Das Asylrecht verfolgt nun offen das Ziel, die eigene Inanspruchnahme zu verhindern. Eine Institution der Grosszügigkeit ist zum Instrument der Abschreckung mutiert. Doch die Abschreckung bleibt aus: Das unwürdige Schicksal der Asylunmündigkeit ist zweifellos attraktiver, als unter der Sonne Afrikas zu verhungern.

Der Ausweg aus diesem kafkaesken Irrwitz: die Abschaffung des entmündigten Asylstatus in der Migrationspolitik. Denn: Menschen verlassen ihre Heimat nicht aus frivolen Gründen. Jede Mi­gration ist mit Opfern verbunden, unabhängig vom Auslöser. Der Impuls, das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und für ein besseres Leben zu kämpfen, ist in jedem Fall ehrenhaft. Er sollte nicht bürokratisch erstickt werden. Gönnerhafte Politromantik ist keine Rechtfertigung, Migranten in eine asoziale Unmündigkeit zu verbannen. Menschenwürde heisst nicht zuletzt: ein Recht auf Eigenverantwortung. Das Recht, vollwertiges, produktives Mitglied der Gesellschaft zu sein. Ohne Sozialalmosen, ohne Arbeitsverbote – und selbstverständlich ohne schikanöse Freibadverweise.

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