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Investiert in alle!

Wir verschwenden Bildungskapital. Es kommt nicht an, wo es sollte – beim einzelnen. Darum fordern wir ein bedingungsloses Grundkapital für alle Mitglieder einer Schweizerischen Bildungsgenossenschaft. Sind wir bereit für eine grosse Reform der Studienfinanzierung?

Die Schweiz der Zukunft wird durch die Personenfreizügigkeit und Globalisierung geprägt. Die Einkommen und Arbeitsmarktchancen der inländischen Arbeitnehmer hängen damit immer weniger von der Arbeitsnachfrage, dafür umso mehr von ihren eigenen Fähigkeiten und damit ihrer eigenen Bildung ab.

Früher verknappten Zugangsbarrieren zum Schweizer Arbeitsmarkt und Wanderungskosten das Arbeitsangebot, also die Menge und Qualität der verfügbaren Arbeitskräfte. Deshalb wurden die Löhne und Qualifikationsanforderungen an Arbeitnehmer stark durch Wachstum und Schwankungen der Arbeitsnachfrage beeinflusst. Mit dem Abbau der Marktzutrittsbarrieren kann sich heute und erst recht in Zukunft das Arbeitsangebot jedoch viel schneller an die Nachfrageentwicklung anpassen. Folglich versagen die traditionellen Politikansätze zur Steigerung individueller Einkommen zunehmend, weil sie durch verstärkte Zuwanderung neutralisiert werden. So ziehen staatliche Massnahmen zur Konjunktur- und Wachstumsförderung vermehrt entsprechend qualifizierte ausländische Arbeitskräfte an. Deshalb bleiben die Verknappung des Faktors Arbeit und damit gewichtige Lohneffekte für die einheimische Arbeitsbevölkerung aus. Ähnlich bewirken hohe Minimallöhne, wie sie die Gewerkschaften zum Schutz der niedrig qualifizierten Arbeitnehmer fordern, genau das Gegenteil. Sie wären nämlich so hoch, dass sie für Zuwanderer sehr attraktiv wären. Da heute aber viele Zuwanderer in den Niedriglohnbranchen besser qualifiziert sind als die bisherigen inländischen Arbeitnehmer, würden sie letztere verdrängen. Folglich kann der Staat den Wohlstand inländischer Arbeitnehmer fast nur noch über die Bildungspolitik beeinflussen. Doch auch diese ist den Folgen der Internationalisierung unterworfen.

 

Die Folgen der Internationalisierung

Durch die zunehmende Öffnung der Schweiz wird das Angebot an Ausbildungswilligen für die Hochschulen und Unternehmungen durch internationale Bewerber erweitert. Das ist für die Ausbildungsinstitutionen sehr angenehm. Sie können nun aus den Besten Europas und oft der ganzen Welt auswählen. Hinzu kommt, dass die Inter­nationalisierung Bildungs­institu­tio­nen hilft, ihr Ausbildungs­angebot zu verbessern. Dank ihrer ver­gleichsweise guten finanziellen Lage können sie auf dem internationalen Markt sehr gute Lehrpersonen rekrutieren. Das wiederum macht sie für fähige Auszubildende attraktiver.

Wenn die Ausbildungsgänge internatio­nalisiert und Auszubildende alleine aufgrund von Leistung ausgewählt werden, wächst jedoch die Gefahr, dass nicht mehr allen Schweizer Bewerbern ein Studienplatz ihrer Wahl zur Verfügung steht. Weil die Schweiz ein kleines Land ist, wirkt sich ihre Politik besonders stark auf das Ausmass der Zuwanderung relativ zur einheimischen Bevölkerung aus. Dies ist auch im Bildungsbereich sichtbar. So stammten im Herbstsemester 2011/12 rund 24 Prozent der Studierenden an Schweizer Universitäten aus dem Ausland – Austauschprogramme und Ausländer mit Schweizer Matur nicht mitgezählt.

Deshalb gilt in einer Welt ohne Zugangs­regulierung: je attraktiver die Aus­bil­dungs­möglichkeiten in der Schweiz werden, desto grösser wird der Anteil internationaler Bewerber und desto weniger kommen staatlich finanzierte Bildungsinvestitionen den eigentlichen Adressaten zu. Eine zukunftsfähige Bildungspolitik muss also sicherstellen, dass staatlich unterstützte Ausbildungsangebote auch weiterhin der inländischen Bevölkerung offenstehen.

Nicht nur die Qualität der Bildung, son­dern auch die im internationalen Vergleich herausragenden Beschäftigungsmöglichkeiten während und nach der Ausbildung sowie die vergleichsweise gute Finanzlage machen die Schweiz zu einem immer attrak­tiveren Bildungsstandort. So müssen viele Ausbildungsinstitutionen anderer Länder ihr Angebot infolge finanzieller Überlastung einschränken oder vermehrt kostenpflichtig machen. Illustrativ für diese Entwicklung ist die britische Bildungspolitik, die mit einer Verdopplung oder gar Verdreifachung der Studiengebühren auf die finanzielle Schieflage reagiert. Damit stellt sich die Frage, wie die grossen Potentiale des internationalen Marktes genutzt werden können, ohne dabei die Position der Schweizer Auszubildenden zu schwächen.

Eine auf den ersten Blick naheliegende Lösung wäre, im Bildungsbereich Ausländerquoten einzuführen oder von den ausländischen Auszubildenden höhere Gebühren zu verlangen. Eine solch pauschale Diskriminierung ausländischer Bewerber ist jedoch aus vielerlei Gründen proble­ma­tisch. Erstens kann sie die besten auslän­dischen Bewerber oder Personen mit dringend benötigtem Humankapital, beispielsweise im Gesundheitssektor, abschrecken. Zweitens kann sie eine Preisdiskriminierung von Schweizer Studenten im Ausland zur Folge haben. Drittens ist oft unklar, wer als ausländischer Bewerber gelten soll – viele Auszubildende waren schon vor ihrer Ausbildung für einige Zeit in der Schweiz und haben teilweise auch hier gearbeitet; folglich sind die Abgrenzungsprobleme gross. Viertens können solche speziellen Ausländergebühren und -quoten schwerwiegende Fehlanreize setzen, weil sie zumeist nicht genügend nach Studiengängen differenziert werden. Eine pauschale Diskriminierung ist deshalb bisher kaum vorgenommen worden, obwohl Hochschulen bzw. ihre Träger schon heute in Eigenregie entscheiden könnten, ob sie Ausländerquoten oder spezielle Ausländergebühren einführen wollen.

Mit der schnell wachsenden Vielfalt der Ausbildungsgänge wird es immer schwieriger und weniger wünschenswert, jeden Ausbildungstyp in der Schweiz anzubieten. Vielmehr ist es sinnvoll, auch im Bereich der Bildung die internationale Arbeitsteilung und Spezialisierung zu nutzen. So wollen immer mehr Schweizer eine Ausbildung im Ausland absolvieren. Dies verspricht auch Effizienzgewinne, denn gemessen am relativ hohen Schweizer Preisniveau ist eine Ausbildung im Ausland aus Schweizer Perspektive quasi ein Schnäppchen. Schweden beispielsweise subventioniert deshalb seinen Studierenden das Studium in anderen Ländern. In der Schweiz müssen die Kosten für eine Ausbildung ausserhalb der Staatsgrenze bisher von den Auszubildenden selbst finanziert werden.

Zusammenfassend ergibt sich folgendes Bild: Durch die Globalisierung wird das individuelle Humankapital zur entscheidenden Bestimmungsgrösse des individuellen Einkommens. Zugleich bewirkt die Globalisierung einen stärkeren Wettbewerb um qualitativ herausragende Ausbildungsplätze. Die Schweizer ihrerseits streben häufiger Ausbildungen im Ausland an, die aber bisher aus privaten Mitteln der Studierenden finanziert werden müssen.

Die Einbettung der Bildungsdebatte in einen globalisierten Kontext eröffnet Chancen für eine zukunftsfähige Reformierung der Schweizer Bildungspolitik. Im internationalen Vergleich hat die Schweiz grundsätzlich ideale Voraussetzungen, um weit mehr Ressourcen pro Kopf in die Bildung zu investieren: Sie ist im Vergleich zu den EU-Ländern sehr reich – das Prokopfeinkommen ist zu laufenden Wechselkursen umgerechnet rund 80 Prozent höher als etwa in Deutschland – und sie hat eine tiefe Verschuldung. Allerdings stellt sich die Frage, wie die vorhandenen Mittel am effektivsten eingesetzt werden können.

 

Die neue Giesskanne für Studierende

Traditionell ist die Bildungspolitik und -finanzierung stark objektbezogen, das heisst der Staat fördert ausgewählte Ausbildungsgänge und -institutionen. Unter den Bedingungen der Internationalisierung des Bildungsmarktes ist diese Strategie jedoch völlig ineffizient. Viele der angesprochenen Probleme lassen sich lösen, wenn zu einer subjektbezogenen Finanzierung der Ausbildung übergegangen wird. Eine direkte Förderung der Auszubildenden hat vier wesentliche Vorteile.

Erstens können gezielt Schweizer Auszubildende gefördert werden, ohne dabei die Nebenwirkung diskriminierender Studiengebühren zu erzeugen.

Zweitens werden die Auszubildenden befähigt, auch ausländische Bildungsangebote wahrzunehmen, ohne diese gänzlich aus der eigenen Tasche finanzieren zu müssen. Eine Verzerrung der Entscheidung zwischen einem Studium im In- und Ausland würde so vermieden. Gleichzeitig können die angesprochenen Effizienzgewinne realisiert werden.

Drittens trägt die subjektbezogene Förderung dem Umstand Rechnung, dass die Bildung inzwischen viel stärker über das ganze Leben verteilt ist. So beschränkt sich die Ausbildung nicht mehr auf die Vorerwerbsphase, sondern findet in wesentlich vielfältigerer Ausgestaltung als früher statt. Um das vielgepriesene «lebenslange Lernen» zu ermöglichen, sollten die Auszubildenden nicht nur bei der Absolvierung eines traditionellen Universitäts­studiums unterstützt, sondern die verschiedenen Arten von Bildungsinvestitionen möglichst gleichmässig subventioniert werden.

Viertens entstehen bessere Anreize für Bildungsinstitutionen, attraktive Ausbildungsprogramme anzubieten und die Qualität der Lehre zu verbessern.

 

Bedingungsloses Grundkapital

Wir stellen folgenden Vorschlag zur Diskussion: Jeder Einwohner erhält bei Erreichen der Volljährigkeit ein Bildungskapital, mit dem er seinen weiteren Bildungsweg nach Matur, Lehrabschluss oder auch Schulabbruch individuell gestalten kann. Dieses Bildungskapital, das nach unseren Schätzungen wohl einen Wert von CHF 40 000 bis 70 000 haben sollte, kann unter gewissen Auflagen zur Finanzierung der direkten und indirekten Kosten der Ausbildung verwendet werden.

Das Bildungskapital als subjektbezogene Förderung ermöglicht, die Ausbildung der bisherigen Einwohner der Schweiz in effizienter Art zu gewährleisten, ohne dabei eine Quersubventionierung internationaler Auszubildender zu generieren. Die Finanzierung der Universitäten und Fachhochschulen kann von der heutigen Art der Finanzierung mindestens teilweise auf eine Beitragsfinanzierung der Studierenden umge­stellt werden. Die Studiengebühren könnten dann entweder bei allen Ausbildungsgängen einen einheitlichen fixen Prozentsatz der Vollkosten decken oder je nach Bewertung des öffentlichen Nutzens eines Studiums zwischen verschiedenen Studiengängen differieren. Neben den bisher genannten Vorteilen würden dadurch die Anreize der Studierenden zunehmen, ihre Studienwahl an den tatsächlichen Kosten und Nutzen ihres Studiums auszurichten. Neu haben sie nun direktere Informationen über die tatsächlichen Kosten ihres Studiums, was seinerseits die Anreize verbessert, das Studium im vorgesehenen Zeitrahmen zu absolvieren. Sobald die Co-Finanzierung durch den Staat nach Ausbildungsgängen differenziert erfolgen soll, müssen die zuständigen Stellen den gesellschaftlichen Wert der Ausbildungsgänge abzuschätzen versuchen. Oft wird sich zeigen, dass dies nicht oder nur schwer möglich ist. Gerade das ist aber eine sehr wichtige Information und Grundlage für Finanzierungsentscheide. Zugleich erhalten die Bildungs­institutionen stärkere Anreize, den Stu­dierenden ein möglichst gutes Preis-Leistungs-Verhältnis zu bieten, um auf dem Markt bestehen zu können. Dies gilt insbesondere für Weiterbildungen: das Bildungskapital erleichtert es den Bürgern, sich auf dem zweiten Bildungsweg weiterzubilden.

Um die Anreize für die Empfänger des Bildungskapitals so zu gestalten, dass sie ihre Bildungsentscheidung möglichst effizient treffen und nicht ins Blaue hinein studieren, fliessen alle Gelder, die eine Person bis zum Pensionseintritt nicht für Bildung verwendet hat, in ihr Alterssparkapital der zweiten Säule. Später könnte das Konzept des Bildungskapitals zu einem breiter angelegten bedingungslosen Grundkapital – keineswegs zu verwechseln mit dem aus unserer Sicht völlig unsinnigen bedingungslosen Grundeinkommen – erweitert werden, das weitere Bereiche der sozialen Sicherung abdeckt.

Schliesslich stellen sich drei Fragen: Wie lässt sich das Bildungskapital finanzieren? Wie sollen ausländische Studierende gefördert werden? Und wie kann der Systemübergang gestaltet werden?

Ob die öffentliche Hand zusätzliche oder weniger Mittel aufbringen muss, hängt von der Höhe des Bildungskapitals, der Höhe der neuen Studien- und Ausbildungsgebühren sowie dem Ausmass der öffentlichen Zusatzfinanzierung ab. Da das Bildungskapital die Effizienz im Bildungsbereich erhöht und nur den einheimischen Auszubildenden ausbezahlt wird, kann das neue System leicht so ausgestaltet werden, dass die öffentliche Hand Mittel einspart. Wegen seiner Fokussierung auf einheimische Auszubildende sollten die Mittel vor allem von den bisherigen Einwohnern aufgebracht werden.

 

Keine neuen Steuern

Für die Finanzierung des Bildungskapitals der einheimischen Auszubildenden schlagen wir vor, dass sie nicht aus allgemeinen Steuermitteln erfolgen, sondern von einer neu zu gründenden «Schweizerischen Bildungsgenossenschaft» getragen werden soll. Mitglieder dieser Genossenschaft sind alle Schweizer Bürger und wohl auch die schon länger in der Schweiz lebenden Ausländer, die durch repräsentativ- und direktdemokratische Instrumente die Politik mitgestalten können. Diese Körperschaft würde Eigentümerin der alten und von früheren Generationen ererbten Vermögenswerte und -ansprüche des Staates wie Boden- und Immobilienbesitz, Swisscom, Post, Nationalbankgewinne etc. Ihre Gewinne könnten sie dann ihren Mitgliedern unter anderem in Form des Bildungskapitals ausschütten.

Durch diese Art der Finanzierung hätte das Bildungskapital keinerlei diskriminierenden Charakter. In den meisten europäischen Ländern wurden die öffentlichen Mittel zur Befriedigung der Konsumziele der früheren und gegenwärtigen Generatio­nen von Einheimischen eingesetzt. Im Gegensatz dazu würden die Schweizer die öffentlichen Ersparnisse in das Humankapital der Einheimischen und somit in ihre Zukunft investieren.

Zur Förderung von ausländischen Auszubildenden liegt es nahe, die besonders guten Studierenden aus den allgemeinen Kantons- und Bundesbudgets entsprechend ihrer Leistung zu unterstützen, weil sie positive Externalitäten auf die anderen Studierenden bewirken.

Um einen möglichst fliessenden Übergang in das neue System zu gewährleisten, wird jedem in der Schweiz geborenen Kind jährlich ein Anteil des Bildungskapitals gutgeschrieben, so dass bei Erreichen der Volljährigkeit das volle Bildungskapital verfügbar ist. Ähnlich wie im dänischen Rentensystem wird die Höhe des Bildungskapitals also von der tatsächlich in der Schweiz verbrachten Kinder- und Jugendzeit bestimmt. Das erleichtert es, die kurzfristige Attraktivität des Bildungskapitals für Zuwanderer zu senken. Wird eine schnelle Einführung gewünscht, können in einer Übergangsphase die Einzahlungen konzentriert in den späten Jugendjahren stattfinden.

In einer Welt, die zunehmend von internationalem Wettbewerb und Migration aufgrund unterschiedlicher Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten geprägt ist, bietet ein individuelles Bildungskapital eine zukunftsträchtige Möglichkeit, gezielt das Humankapital und damit das Einkommen der bisherigen Einwohner zu fördern.

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