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Investiere in dich!

Ob das Wort gemocht wird oder nicht: «Humankapital» ist allgegenwärtig. Gary S. Becker hat dem Konzept vor sechs Jahrzehnten zur globalen Verbreitung verholfen. Heute fragt er sich, welche Renditen Eltern von Studierenden winken – und warum Frauen künftig mehr verdienen könnten als ihre männlichen Kollegen.

Herr Becker, Sie sind einer der Pioniere in der Erforschung des Humankapitals und wurden dafür mit dem Nobelpreis für Ökonomie ausgezeichnet. Heute ist das Konzept etabliert…
…finden Sie?

Sure enough! Wie haben sich Begriff und Wahrnehmung verändert, seit Sie sich als junger Doktorand das erste Mal damit beschäftigt haben?
Die moderne Analyse von Humankapital begann vor 60 Jahren. Forscher fragten sich, wie verstanden werden kann, was Einkommensunterschiede zwischen Individuen verursacht und was ökonomische Entwicklung beeinflusst. Die neue Sicht der Humankapitaltheorie war: Arbeitskraft ist eine Form von Kapital. Und in der Tat: Menschen investieren in das Lernen, innerhalb und ausserhalb des Jobs. Als diese Sicht einmal formuliert war, erwies sie sich als mächtige Antriebsmaschine zur Beantwortung vieler ökonomischer Fragen. Heute sprechen sogar die Politiker in den USA über die Bedeutung von Bildung und Investitionen in Humankapital.

Also hat sich Ihr Ansatz durchgesetzt. Das ist für einen Wissenschafter eine schöne Genugtuung.
Oh ja. Neue Ideen stossen oft auf Widerstand. Es ist immer ein intellektueller Kampf. Der Begriff «Humankapital» wurde in Deutschland vor nicht allzu langer Zeit zum Unwort des Jahres gekürt. Aber insgesamt trifft zu: Das Konzept hat sich weltweit durchgesetzt. Gesellschaften entwickeln sich global zu Wissensgesellschaften, und überall, wo Wissen angewendet wird, steht Humankapital im Zentrum. Deshalb investieren Entwicklungsländer stark in das Bildungswesen.

Und aufsteigende Wirtschaftsräume wie Ostasien nehmen die Idee begeistert auf.
Sie haben die Chance begriffen, die dieser Ansatz bietet. Als China nach 1979 die wirtschaftliche Entwicklung vorantrieb, sagten mir die Leute bei Besuchen in China jeweils: «Unsere Ressource ist unser Humankapital. Und das machen wir uns zunutze. Mit einem Willen, hart zu arbeiten, und mit Investi­tionen, die wir in die Bildung unserer Kinder stecken.» Heute sehen wir: Länder, die über viel Wissen verfügen, sind reich, und Länder, die keinen Zugang zu Wissen haben, sind arm.

Ist es so einfach: Wenn ich in mich investiere, verdiene ich mehr?
Das kommt darauf an, wie gut die Investi­tionen sind, die Sie in sich selbst tätigen. Die Forschung zeigt: In einem Land wie der Schweiz, den USA oder China verdienen Leute mit mehr Fachkenntnissen und mehr Fähigkeiten mehr, und vor allem verdienen gebildete Leute substanziell mehr.

Also ist es auch rentabel, nicht nur in mich selber, sondern auch in andere zu investieren, zum Beispiel auch in einen klugen Studenten ausserhalb des Familienkreises. Aber diese Art von Anlegen ist nicht weit verbreitet. Warum?
Der Gedanke ist interessant, aber problematisch. Wenn jemand Geld verleiht, damit sich der Schuldner ein Haus oder eine Maschine kaufen kann, so muss der Schuldner eine Sicherheitsleistung erbringen. Die Sicherheit ist in diesem Fall die Maschine oder das Haus. Was aber nicht geht: Menschen als Pfand verwenden. Die Unmöglichkeit, Menschen als Pfand zu nutzen, ist der Entstehung eines kommerziellen Marktes für Anleihen auf Humankapital abträglich.

In Shakespeares «Kaufmann von Venedig» bietet Antonio als Pfand «ein Pfund Fleisch» seines eigenen Körpers. Das dürften aber die wenigsten tun, weil sie sich damit in eine unauflösbare Abhängigkeit begeben…
…richtig. In der Vergangenheit verwendeten sich Menschen innerhalb einer Vertragsknechtschaft selbst als Pfand. Die Leute, die im 17. Jahrhundert in die USA einwanderten, mussten sich verpflichten, zwei bis vier Jahre für jemand anderen zu arbeiten, um damit ihre Überfahrt bezahlen zu können. Wir haben die Sklaverei glücklicherweise abgeschafft und verunmöglichen, dass sich Menschen in ein Vertragsverhältnis nach altem Muster begeben. Wer heute in andere Menschen investiert, besitzt diese nicht mehr.

Wer Menschen als Anlagegüter behandelt, setzt sich dem Vorwurf aus, diese zu erniedrigen. Andererseits sind Überlegungen zur Rentabilität bei Investitionen in Personen allgegenwärtig. Ich denke da beispielsweise an junge Fussballtalente.
Humankapital stellt letztlich Menschen ins Zentrum, und das ist gut so. Wenn Menschen ein Anlagegut haben, über das sie verfügen, ist das nicht erniedrigend. Nehmen wir Ihr Beispiel aus dem Sport. Ich mag Tennis. Ein guter Tennisspieler wie zum Beispiel Roger Federer ist sicherlich ein extrem talentierter graziöser Spieler, aber seinen Wert steigert er durch was? Durch Investitionen in seine Ausdauer, seine Technik, kurz: in sich selbst!

Tennisspieler sprechen nicht von Humankapital, aber sie handeln so, als hätten sie sämtliche Werke von Gary Becker gelesen.
Exakt. Sie werden vielleicht sogar den Begriff «Humankapital» nie gehört haben; das hindert sie aber nicht daran, dieses zu steigern. (lacht) Tennisspieler sind ihre eigenen Unternehmen. Es kann auch sein, dass übergeordnete Unternehmen in die Fähigkeiten ihrer Angestellten investieren. Ein Fussballclub kann Geld in das Training seiner Spieler stecken – aber letztlich ist es der Fussballspieler selbst, der dieses Kapital besitzt. Er mag bei einem Team unter Vertrag stehen, aber nach dem Auslaufen des Vertrags kann er das Team verlassen und andere Teams für sein Talent bieten lassen. Das ist der Unterschied zur Sklaverei.

Wie verändern sich meine Werte und Prioritäten, wenn ich mir das Konzept des Humankapitals bewusst zu eigen mache?
Wenn Sie verstehen, was Humankapital bedeutet und wie Sie es steigern, beeinflusst das Ihren persönlichen Erfolg positiv. Einfach ausgedrückt: Sie begreifen, dass Sie etwas heute machen müssen, um morgen etwas besser machen zu können.

Das erfordert ein diszipliniertes Leben. Oft steht der Realisierung langfristiger Pläne unmittelbare Bedürfnisbefriedigung im Weg.
Deshalb versuchen Eltern ihren Kindern auch beizubringen, sich an einem längeren Zeithorizont statt nur am unmittelbaren Nutzen zu orientieren! Hausaufgaben sind mühsam, zahlen sich aber aus. Die wichtigste langfristige Orientierung ist der Wille zur Bildung. Jugendliche und übrigens auch Erwachsene, die dies nicht begreifen, werden zu Schulabbrechern oder laufen Gefahr, irgendwann mit einem schlechten Job ohne Aufstiegsmöglichkeiten dazustehen. Was man jungen Menschen sagen muss – und ich sage es ihnen immer wieder: Dein Humankapital entscheidet dar­über, wie gut es dir in Zukunft gehen wird, nicht nur im monetären Sinn, sondern auch in bezug auf die berufliche Befriedigung. Es findet also schon früh eine Art Vorentscheidung statt, die über die Art von Berufen, die man ausüben kann, über den Zugang zu höheren Positionen, über die Wahlmöglichkeiten bei Lebensraum und Arbeitszeit und viele andere Faktoren bestimmt. In der Ökonomie betonen wir die Bedeutung von Wahlmöglichkeiten – und gut gehegtes und gepflegtes Humankapital erweitert die Wahlmöglichkeiten!

Das klingt sehr rational. An mir selber beobachte ich, dass ich nicht immer rational handle.
Zunächst: Menschen schauen sich an, welche Wahl sie haben. Sie klassifizieren diese Wahlmöglichkeiten und treffen dann Entscheidungen – das kann rational oder irrational sein, sie tun es nun einmal. Wenn sie Entscheidungen treffen, nützt es ihnen, dass sie sich der Beschränkung ihrer verschiedenen Ressourcen bewusst sind: Sie haben begrenzte Zeit, sie haben begrenzte finanzielle Mittel. Diesen Entscheidungen messen sie einen Wert zu – in der Ökonomie sprechen wir vom Nutzen. In Anbetracht der Unsicherheit dieser Welt treffen sie nach bestem Wissen eine Wahl, die den Nutzen maximiert, den sie für sich selber erfassen.

Also postulieren Sie, dass wir subjektiv rational handeln? Und ist rationales Handeln – wie soll ich sagen – wirklich rational?
Ich definiere es als rationales Verhalten, ja. Menschen haben unterschiedliche subjektive Präferenzen und Motive – einige sind altruistisch veranlagt und wollen anderen helfen, einige sind sehr egoistisch, einige wollen Peinlichkeiten vermeiden, andere wiederum sind extrovertiert und kümmern sich nicht um Peinlichkeiten. Ein Grossteil der traditionellen Wirtschaftswissenschaften hatte eine verengte Sicht auf das Handeln von Menschen. Aber eine enorme Vielzahl von Dingen, die Menschen tun, ist mit der grundlegenden Perspektive von Rationalität vereinbar.

Welche Wahl haben Sie selbst als Student getroffen? Waren Sie sich bewusst, dass Sie in sich selber investierten?
Ich wusste am Anfang nicht, was ich mit meinem Studium anfangen sollte, aber ich ging davon aus, dass gute Leistungen mir helfen würden, wofür auch immer ich mich entscheiden würde. Zugleich war mir klar, dass ich nur durch harte Arbeit und gute Leistungen vorankommen würde. Ich interessierte mich für Mathematik und später dann für Ökonomie, aber ich belegte auch Fächer wie Griechische Geschichte, Philosophie des Wissens und Russisch. Ich dachte, es könnte vielleicht irgendwann nützlich sein. Das war Ende der 1940er, Anfang der 1950er Jahre – die Sowjetunion wurde als mächtiges Land angesehen, und ich dachte mir: Was auch immer die Zukunft bringt, Russisch könnte nützlich sein. Wir wissen: Es kam anders. Russland fiel zurück. Und auch wenn ich später daraus keinen direkten Nutzen ziehen konnte, kann ich heute sagen: Russisch ist eine wunderschöne Sprache. Allein um Tolstoi im Original zu lesen, hat es sich für mich schon gelohnt.

Sollten wir uns also von einer Karriereplanung lösen und nach dem Vorbild von Steve Jobs auch in Bereiche investieren, die auf den ersten Blick nichts mit unserem beruflichen Ziel zu tun haben?
Steve Jobs wanderte in seiner intellektuellen Entwicklung weit herum. Er brach das Reed College ab, er versuchte sich in verschiedenen Kursen. Eines seiner Talente war Design. Kalligraphie stellte sich als gutes Training heraus für jemanden, der mit ausserordentlichen Talenten ausgestattet war. Zufallsfunde – in der Wissenschaft spricht man von Serendipity – können eine grosse Rolle spielen. Das ist der Vorteil der freien Künste: Man entdeckt neue Fächer. Von 20 Dingen erweist sich vielleicht eines als erfolgreich in bezug auf den späteren beruflichen Werdegang. Steve Jobs erkundete neben der Kalligraphie viele andere Dinge, die sich als weit weniger nützlich herausstellten. Aber es ist gut, neue Dinge zu erkunden, wenn man jung ist. Absolut. Statt junge Menschen auf einen vorgegebenen Pfad zu weisen, sollten wir auf Flexibilität setzen. Wer weiss schon, was morgen, was übermorgen gefragt ist?

Einige Leute sprechen – besonders mit Blick auf die USA – von einer Blase im Bildungsmarkt…
Eine Blase bedeutet, dass Leute Investitionen tätigen, die sich nicht auszahlen. Bisher gibt es keine Evidenz, dass wir im Bildungsmarkt eine Blase erleben. Und ich glaube auch nicht, dass es jemals Evidenz geben wird. Das Wachstum im Bildungssektor basiert auf permanenten und realen Faktoren, nämlich der Nachfrage nach Leuten, die über mehr Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen. Technologisierung und Globalisierung unserer Gesellschaften verlangen danach. Viele Leute beklagen sich über hohe Studiengebühren und dass sich Bildung nicht mehr auszahle. Es stimmt: Die Studiengebühren an amerikanischen Universitäten sind gestiegen. Aber der finanzielle Nutzen ist noch schneller gestiegen!

Sie beschäftigen sich in Ihren Forschungen mit der Frage, warum Frauen in der Hochschulbildung so stark aufsteigen. Haben Sie schon eine Erklärung gefunden?
Wenn man auf die weltweit vorhandenen Daten schaut, ist klar: Die Bildung von Frauen, besonders die Hochschulbildung, ist im Verhältnis zu Männern stark gestiegen. Das gilt übrigens auch für viele Entwicklungsländer. In China immatrikulieren sich an Hochschulen mehr Frauen als Männer. Sogar im Iran, wo der Beschäftigungsanteil von Frauen tief ist, sind mehr Frauen als Männer an Hochschulen eingeschrieben. In den USA sind es 60 Prozent Frauen, die einen vierjährigen Abschluss erwerben. 1970 waren es nur etwa 40 Prozent.

Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet. Warum überholen Frauen die Männer?
Ausschlaggebend ist sicher: Mehr Frauen arbeiten und die Geburtenraten sind tiefer. Dies würde jedoch nur erklären, warum Frauen gegenüber Männern aufholen. Unsere Studie kommt zu einer einfachen Erklärung für den Spurwechsel der Frauen: Sie sind einfach die besseren Studierenden.

Und warum ist das so?
Das wissen wir noch nicht. Wir können anhand von Daten bisher nur feststellen, dass Frauen im Schnitt besser abschneiden und in ihrer schulischen Leistung weniger schwanken. Bei Männern ist es so, dass einige gross herauskommen und an die absolute Spitze vordringen. An der Spitze sind Männer stärker repräsentiert als Frauen. Aber es gibt auch viel mehr Männer ganz unten: Sie fliegen aus der Schule, brechen vorzeitig ab. Frauen machen dies nicht in annäherndem Masse. Humankapitalforscher betonen dabei die Angebotsseite. Wir zeigen, dass in Anbetracht der Nachfrage nach Leuten mit Hochschulbildung leicht eine Situation entstehen könnte, in der Frauen gebildeter werden als Männer.

Das dürfte Einfluss haben auf die längerfristige Entwicklung der Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern.
Genau. Sie werden gerade kleiner – und künftig könnten Frauen sogar mehr verdienen. Jedenfalls, wenn sie damit fortfahren, sich besser als ihre männlichen Konkurrenten auszubilden. Das wird auch dazu führen, dass sie einen fast so grossen Teil der Erwerbstätigen stellen. Sie und Ihre männlichen Kollegen müssen sich also in den nächsten Jahren auf noch mehr Konkurrenz einstellen.

Ich sollte also doch noch Russisch lernen?
Besser: Chinesisch! (lacht)

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Investiere in dich! Studenten als Unternehmer ihrer selbst

Heinrich von Kleist, Nick Hayek, Mark Zuckerberg – sie alle haben ihr Hochschulstudium frühzeitig hingeschmissen. Sie sahen ihre wertvolle Zeit und Energie anderswo besser investiert, verfolgten eine «freie Geistesbildung» oder gründeten ein Unternehmen. 72 Prozent der Studenten an Schweizer Hochschulen gehen einen anderen, manchmal ebenso abenteuerlichen Weg. Zum Beispiel Fabian. Er beklettert überhängende Wände und […]

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