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INTRO

«Die Gesellschaft besteht nicht aus Menschen, sie besteht aus Kommunikation zwischen Menschen.» – Niklas Luhmann*

 

Solange ich denken kann, hat man meiner Generation und mir beigebracht, dass es nach der langen, friedlichen Spielphase unserer beschützten Kindheit vor allem darum gehe, sich anzustrengen, etwas zu lernen, fleissig zu sein, sich für eine gute Schule zu qualifizieren, dort mehr zu lernen, einen guten Abschluss zu machen, dann in der Lehre noch mehr zu lernen oder an der Uni noch höhere Abschlüsse zu machen, um schliesslich und endlich und vor allem: erfolgreich zu sein. Kaum ist es so weit, fliegt mir nun der ganze Mist um die Ohren. Weil in den USA ein sehr erfolgreiches Grossmaul die Wahlen gewonnen hat.

Was ist passiert? Sie, liebe Leser, und ich, wir sind ganz offenbar Teil eines Problems mit dem Namen «Elite». Ein fürchterlich grossspuriges, reizendes, unterdefiniertes Wort. Dabei steckt aus liberaler Sicht nichts Unartiges darin: zur Elite, zu den Besten gehört, wer sich klar vom Durchschnitt absetzt. Relevant dafür sind weder Herkunft, Hautfarbe noch Schuhgrösse, sondern nur, dass man Leistungen erbracht hat, die entsprechende soziale und ökonomische Folgen zeitigten. Die Elite ist der Fixstern im Leistungsregime kapitalistischer Systeme und heute, gerade in der Schweiz, grösser als je zuvor: Gehört nicht sogar zur ökonomischen Weltelite, wer ein Schweizer Durchschnittssalär verdient? Und gehören nicht fast alle Schweizer, was Ausbildungsstand, kulturelle wie demokratische Teilhabe angeht, zur weltweiten Spitzengruppe? Anders gefragt: Wie viel Prozent der Schweizer gehören nicht zu irgendeiner Elite, wenn man den Blick weitet?

«Elite» als negativ konnotierter, kollektivistischer Kampfbegriff hat eine lange Tradition. Gegenwärtig wird er quer durch alle Schichten und Milieus salonfähig – und eine Art «antielitäre Elite», die weder klar links noch klar rechts politisiert, aber durch und durch protektionistisch ist, schlägt aus dem weitverbreiteten, diffusen Unbehagen im Kapitalismus immer mehr politische Macht. Diese vermeintlichen Heilsbringer haben es auf all jene abgesehen, die das Gefühl nicht loswerden, dass Leistung sich nicht (mehr) lohnt. Und gleichzeitig auf jene vielen Zeitgenossen, denen längst völlig egal ist, was sich lohnt – weil ihr Nachbar doch stets besser dasteht. In Zeiten, da der Mittelstand unter ökonomischen Druck gerät, kann man zeitweilig Verständnis für jene haben, die ihren Frust abladen wollen.

Allerdings: Dass nun kaum eine Zeitung und keine Diskussion in den sozialen Medien nach Trumps Wahl ohne Fingerzeig auf «die Elite» (wahlweise: «das Establishment») auskamen, ist Ausdruck eines fundamentalen Missverständnisses. Wer Elite so unreflektiert denkt, strukturell sehr verschiedenen Bevölkerungsgruppen also im Kollektiv attestiert, sie kümmerten sich einen Dreck um «die Gesellschaft», schlägt in dieselbe Kerbe wie Donald Trump. Dessen Erfolgsstrategie bestand ja nicht zuletzt darin, unterschiedliche Eliten gegeneinander auszuspielen – im Unterschied zu den vielen Besserwissern, die sich nach seinem Sieg wortgewaltig meldeten, war er sich dieser Tatsache allerdings bewusst. «Elite» reüssiert in unseren Tagen als mächtiger politischer Kampfbegriff, der direkt auf alles zielt, was bürgerliche Liberalität ausmacht: Bildung, Leistung, Wohlstand, Anstand, Geschmack. Die Vermengung aller Ressentiments gegen «die da oben» stellt unter Kollektivverdacht, wer mehr erreichen will als «nur» Durchschnitt. Besonders stossend ist es, wenn sich die Eliten nun auch noch in orientierungsloser Selbstzerfleischung üben, also Elite A gegen Elite B schiesst und Elite B auf Elite C zeigt, während sich Elite A und Elite C bereits streiten.

Liberale Argumente sind in derart kollektivistischem Scherbengericht stets die ersten, die auf der Strecke bleiben. Weil sie relativ emotionslos und nüchtern sind, keine Ressentiments kennen und keine Unterschiede zwischen Milieus machen. Eine wirklich elitäre Angelegenheit wäre es also, sie mutig ins Zentrum öffentlicher Diskussionen zu stellen – und dort zu verteidigen.


Michael Wiederstein
Chefredaktor


*Niklas Luhmann: Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat. München: Olzog, 1981.

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