«Der Freihandel hat nicht  versagt, im Gegenteil»
David Dorn, zvg.

«Der Freihandel hat nicht
versagt, im Gegenteil»

In der Pandemie konnte die Weltwirtschaft ihre Stärken ausspielen, sagt der Zürcher Ökonom. Doch die Globalisierung schafft auch Nettoverlierer.

 

Herr Dorn, David Ricardo zeigte den Nutzen des Freihandels am Beispiel von portugiesischem Wein und englischem Tuch auf. Um welche Produkte, die der freie Handel in die Schweiz gebracht hat, sind Sie besonders froh?

Im Moment bin ich vor allem dankbar für die Impfstoffe gegen Covid-19: Diese werden zwar teilweise in der Schweiz produziert, stünden uns aber nicht zur Verfügung ohne Forschung in den USA und Komponenten aus verschiedensten Ländern. In zahlreichen Produkten zeigen sich die Vorzüge von internationalem Austausch: Ein alltäglicher Gegenstand wie ein Mobiltelefon enthält bereits unglaublich viele unterschiedliche Teile, die aus diversen Ländern kommen. Gerade für ein rohstoffarmes Land wie die Schweiz ist es schlicht nicht vorstellbar, ein solches Produkt eigenständig zu produzieren.

David Ricardo starb 1823. Wie hat sich die Globalisierung seither verändert?

Der Welthandel hat insgesamt stark zugenommen, mit Phasen von Expansion und Kontraktion. Die letzte grosse Expansion war die Globalisierungswelle der 1990er- und 2000er-Jahre, die bis zur Finanzkrise 2008 dauerte. In dieser Zeit haben sowohl das Gesamtvolumen des Welthandels als auch die internationale Aufteilung von Produktionsketten enorm zugenommen. Mit dem Zusammenbruch planwirtschaftlicher Systeme im ehemaligen Ostblock begann eine grosse Zahl von Ländern, sich am Welthandel zu beteiligen. Mit China stieg ein ehemals sehr kleiner Player in kurzer Zeit zum führenden Exporteur auf. Als Katalysatoren wirkten die Vernetzung durch das Internet, die es ermöglichte, internationale Lieferketten zu koordinieren, sowie der Abbau von Handelsbarrieren. In den letzten zehn Jahren hat sich der enorme Globalisierungsboom allerdings stark abgeschwächt. Bezüglich des Welthandelsvolumens befinden wir uns seit Jahren auf einem hohen Plateau.

Der Handel spielt sich heute also nicht mehr nur innerhalb des westlichen Blocks, sondern tatsächlich weltweit ab. Was hat das für Folgen?

Grundsätzlich gibt Handel mit ärmeren Ländern diesen die Möglichkeit, ihre Produkte weltweit zu verkaufen und sich wirtschaftlich zu entwickeln. China beispielsweise erhielt durch die Öffnung Zugang zu sehr viel besseren Maschinen. Diese waren essentiell dafür, dass das Land die Produktivität seiner Wirtschaft innerhalb kurzer Zeit stark steigern konnte und sehr wettbewerbsfähig wurde.

Welche Rolle spielt China handelspolitisch heute für den Westen?

China ist immer noch ein wichtiger Exporteur von Gütern wie Textilien, Spielwaren oder Möbel. In jüngerer Zeit sind vermehrt ausgereiftere Produkte wie elektronische Geräte, Heimelektronik oder Maschinen dazugekommen. Es gibt dabei kaum Unterschiede zwischen den westlichen Staaten: Gemessen an ihrer Grösse importieren alle in einem ähnlichen Ausmass Güter aus China, und es handelt sich im grossen und ganzen auch um ähnliche Arten von Produkten. Auf der Exportseite hingegen sehen wir Unterschiede: Länder wie die USA oder Grossbritannien exportieren viel weniger nach China, als sie importieren. Die Schweiz oder Deutschland hingegen haben einen relativ ausgeglichenen Handel mit Peking oder erzielen sogar einen Überschuss.

Wer profitiert heute vom Freihandel? Und wer sind die Verlierer?

Die Firmen, die in den Handel involviert sind, ziehen per Definition einen Gewinn aus dem Handel – sonst würden sie gar nicht erst daran teilnehmen. Die Konsumenten profitieren von günstig produzierten Turnschuhen oder Laptops in Form von tieferen Preisen. Erst in den letzten zehn Jahren ist man sich aber in der Wissenschaft darüber klar geworden, dass es innerhalb westlicher Länder auch Personengruppen gibt, die netto wohl zu den Verlierern gehören: Untersuchungen, die ich mit Kollegen in den USA gemacht habe, haben gezeigt, dass es zu einer Welle von Fa­brikschliessungen kam in jenen Branchen, die einer sehr schnell wachsenden chinesischen Importkonkurrenz ausgesetzt waren. Die Standorte dieser Fabriken trugen bleibende wirtschaftliche Schäden davon: Selbst nachdem der Globalisierungsschub im letzten Jahrzehnt stark abgeflacht ist, sieht man in den betroffenen Regionen noch immer eine geringere Beschäftigung und reduzierte Einkommen.

«Wenn die Politik versucht, die Wettbewerbsfähigkeit

wiederherzustellen, indem sie den…

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dass der liberalen Haltung ein Schuss Ironie gut bekommt.»
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