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Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen

Fünf Fragen helfen dabei, unnötige oder schlechte Regulierungen zu verhindern. Das zeigen praktische Beispiele aus der US-Automobilindustrie.

 

Weltweit wächst das Interesse an einer Verbesserung der Regulierungspolitik – sei es auf der Ebene einzelner Städte, von Gliedstaaten, von ganzen Nationen oder gar von Weltregionen. Während Regulierung überzeugende Vorteile bringen kann (z.B. die Rettung von Menschenleben durch Verringerung der Umweltverschmutzung), kann sie auch erhebliche Kosten verursachen (z.B. höhere Preise für Konsumgüter, unerwartete Nebeneffekte) und die betriebliche Flexibilität von Unternehmen und Kommunalverwaltungen einschränken. Regulierung kann letztlich als eine Form der Besteuerung bezeichnet werden, nur dass die Belastungen nicht ansatzweise so transparent sind wie bei tatsächlichen Steuereinnahmen.

Von 2001 bis 2006 leitete ich für Präsident George W. Bush ein zentralisiertes Büro der Regulierungsaufsicht im US Office of Management and Budget (OMB), eine Einheit innerhalb des Executive Office des Präsidenten. Meine Mitarbeiter waren in der Regulierungsfolgenabschätzung geschult und wandten die im OMB-Rundschreiben A-4 von 20031 festgelegten Grundsätze einer guten Regulierungsanalyse an. Wir beurteilten die Regulierungsvorschläge der Bundesregulierungsbehörden, forderten Verbesserungen oder unterstützende Analysen und suchten nach Möglichkeiten, in wichtigen Regulierungsfragen eine Zusammenarbeit zwischen den US- und den EU-Behörden sowie den Behörden weiterer Gebietskörperschaften zu erreichen.

Die überprüften regulatorischen Analysen waren oft von sehr hoher Qualität, trotzdem lehnten wir hin und wieder Regulierungsvorschläge ab, weil sie analytisch nicht genug fundiert waren. Manchmal beauftragten wir eine Behörde, eine zusätzliche regulatorische Alternative zu analysieren oder eine öffentliche Stellungnahme zu mehreren Alternativen einzuholen. Konnte ein abgelehnter Vorschlag ausreichend verbessert werden, billigten wir ihn.

Um festzustellen, ob ein Regulierungsvorschlag gut oder schlecht ist, stellten meine Mitarbeiter fünf allgemeine Fragen. Diese will ich anhand praxisnaher Beispiele aus der Automobilindustrie illustrieren. Das Auto mag zwar in Europa nicht eine derart dominante Rolle spielen wie in den USA, doch auch auf dem alten Kontinent ist es ein greifbarer Bezugspunkt für fast alle.

1. Wird sich das Problem auch ohne Regulierung lösen?

Selbstfahrende Autos werden in naher Zukunft zur Realität. Brauchen wir einen staatlichen Eingriff, um deren Sicherheit zu garantieren? Nicht unbedingt: Die Verbraucher sorgen sich um ihre Sicherheit und jene ihrer Familien. Daher werden die Hersteller einen starken Anreiz haben, selbstfahrende Fahrzeuge anzubieten, die ein hohes Sicherheitsniveau erreichen. Versicherer und Verbraucherverbände werden selbstfahrende Autos hinsichtlich ihrer relativen Sicherheit bewerten und so nützliche Vergleichsmassstäbe für die Verbraucher bieten. Und: jeder Hersteller, der selbstfahrende Autos mit korrigierbaren Sicherheitsproblemen verkauft, wird anfällig für Haftungsklagen und Strafschadensvergütungen nach dem Common Law sein, zumindest in den Vereinigten Staaten.

«Eine gute Regulierung gibt den Regulierten die Flexibilität, die kostengünstigsten Lösungen für das Problem umzusetzen, statt eine spezifische technologische Lösung zu erzwingen.»

Die US National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA) sammelt und teilt Informationen über die praktischen Erfahrungen mit autonomen Komponenten neuer Fahrzeuge. Die NHTSA hat auch freiwillige Leitlinien zu verschiedenen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Konstruktion und dem Einsatz von selbstfahrenden Fahrzeugen herausgegeben. Es ist bis heute nicht klar, ob für selbstfahrende Fahrzeuge spezielle verbindliche Sicherheitsvorschriften erforderlich sein werden.

2. Wenn eine Regulierung notwendig ist, sind die Zielvorgaben dann so formuliert, dass sie Innovationen beim Weg der Zielerreichung zulassen?

Ein häufiges Problem von Regulierungsvorschlägen ist die Tendenz von Behörden, bestimmte Technologien zu bevorzugen, statt ein objektives Ziel zu formulieren, das es den Marktkräften erlaubt, selber die beste Technologie zur Erreichung des Ziels zu eruieren. Um den Ausstoss von Treibhausgasen von Neuwagen zu regulieren, stützten sich die nationalen Behörden in den USA auf Werte wie Benzinverbrauch oder CO2-Ausstoss ab. Kalifornien geht einen anderen Weg. Dort wird vorgeschrieben, dass die Automobilhersteller bis 2025 eine bestimmte Anzahl von Plug-in-Elektrofahrzeugen verkaufen müssen, zusätzlich zu den separaten kalifornischen Leistungsstandards, die auf CO2-Emissionen basieren. Auch die chinesische Regierung geht in diese Richtung. Die Regulatoren entwerfen so einen Leistungsstandard, der einer von ihnen bevorzugten Technologie einen grossen Vorteil verschafft. Der Leistungsstandard verkommt damit de facto zu einem Technologieauftrag.

Eine gute Regulierung gibt aber den Regulierten die Flexibilität, die kostengünstigsten Lösungen für das Problem umzusetzen, statt eine spezifische technologische Lösung zu erzwingen. Plug-in-Fahrzeuge sind eine vielversprechende Idee, aber sie sind derzeit vielleicht nicht die attraktivste oder erschwinglichste Lösung für alle Haushalte und Unternehmen. Es existieren nämlich weitere vielversprechende Ideen: Fahrzeuge, die mit Wasserstoff-Brennstoffzellen, Cellulose-Ethanol oder komprimiertem Erdgas betrieben werden. Darüber hinaus sind Innovationen im Gang, dank denen sich der CO2-Ausstoss mit modernen Diesel- und Benzinmotoren kostengünstiger reduzieren lässt als mit Plug-in-Elektrofahrzeugen. Auch der Dieselmotor ist wesentlich sauberer als noch vor Jahrzehnten, und die Politiker sollten nicht zulassen, dass das skandalöse Verhalten von Volkswagen uns glauben lässt, dass zukünftige Innovationen im Dieselmotor unmöglich sind.

Wenn eine Behörde vom Fokus auf Leistung abweicht und stattdessen versucht, eine bestimmte Technologie zu bevorzugen, ist der Prozess der Regulierung viel anfälliger für Politisierung, Protektionismus und Korruption. So verdächtigen z.B. Europa und die USA die chinesischen Regulierungsbehörden, Plug-in-Elektrofahrzeuge dem Verbrennungsmotor vorzuziehen, weil chinesische Automobilhersteller in der Batterientechnologie konkurrenzfähiger sind als in der Benzinmotorentechnologie. Solange aber Kohle die wichtigste chinesische Stromquelle ist, werden Plug-in-Elektrofahrzeuge keine vielversprechende Umwelt-innovation sein. Die chinesische Regierung subventioniert zudem nur ihre eigenen Plug-in-Elektrofahrzeuge, ausländische Automobilhersteller sind in der Regel nicht subventionsberechtigt. Was in China als Umweltpolitik erscheint, könnte in Wirklichkeit also simpler Protektionismus sein. Wenigstens hat China kürzlich seine Forderung, dass ausländische Autohersteller Joint Ventures mit chinesischen Autoherstellern eingehen müssen, um zollfreie Geschäfte im Land zu tätigen, ansatzweise gelockert.

3. Wenn der Regulierungsvorschlag darauf abzielt, ein Risiko zu reduzieren, berücksichtigt die Analyse dann auch unbeabsichtigte Risiken, die durch die Verordnung verursacht werden könnten?

In den Vereinigten Staaten wurden in den 1990er Jahren Airbags für Neuwagen vorgeschrieben, ohne die Sicherheitsrisiken zu berücksichtigen, die das Auslösen der Airbags für bestimmte Fahrgäste (z.B. kleine Kinder und ältere Erwachsene) mit sich bringen könnte. Einige dieser Risiken wurden im voraus von Toyota- und von General-Motors-Ingenieuren vorhergesagt, aber die US-Regulierungsbehörden wollten die Überlegungen zur Regelwahl nicht durch solche Bedenken komplizieren. Tatsächlich verursachte die erste Generation von Frontal-Crash-Airbags in den USA unnötige Verletzungen bei Unfällen mit niedriger Geschwindigkeit – oft bei älteren Fahrern sowie Kleinkindern, die nicht angeschnallt auf dem Vordersitz mitfuhren. Erst im Lauf der Zeit wurden die Airbags so weiterentwickelt, dass sie bei Unfällen mit niedriger Geschwindigkeit nicht so aggressiv auslösen wie bei Unfällen mit hoher bzw. gar nicht, wenn ein Kind den Beifahrersitz einnimmt. Regulierungsbehörden müssen also selbstkritisch genug sein, die Risiken zu erkennen, die durch ihre Vorschriften entstehen könnten. Intelligente Regulierung ist in der Lage, unbeabsichtigte Risiken abzuwenden oder zu minimieren.

Manchmal können die Nebenrisiken so gross sein, dass der Regulierungsvorschlag nicht durchgeführt oder aufgeschoben werden sollte, bis die Bedingungen günstiger sind. Um komplexe Fälle anzugehen, in denen dieselbe Regulierung zu einer Senkung und zu einer Erhöhung von Risiken in verschiedenen Teilen der Lieferkette führt, gibt es neue, sich ständig verbessernde Instrumente wie die Risiko-Trade-off- und die Lebenszyklusanalyse. So hat die Literatur beispielsweise schon nützliche Erkenntnisse dazu geliefert, unter welchen Bedingungen Plug-in-Elektrofahrzeuge im Vergleich zu Benzinfahrzeugen eine Nettoverbesserung der Umweltqualität bewirken. Dazu gehören eine CO2-arme Stromproduktion und/oder das Aufladen der Batterien zu Uhrzeiten mit geringer Stromnachfrage. Eine entsprechende zeitliche Abstufung der Strompreise kann hier helfen. Es ist bedenklich, dass die Regulierungssysteme in Europa und den USA Plug-in-Elektrofahrzeuge für die indirekte Verschmutzung, die sie im Kraftwerk erzeugen, noch nicht sanktionieren, während Benzin in vielen Ländern drastisch besteuert wird.

4. Wenn ein kostspieliger Regulierungsvorschlag für neue, aber nicht für alte Produkte gilt, wird der Vorschlag dazu führen, dass alte Produkte länger auf dem Markt bleiben?

Die US-Bundesregierung prüft derzeit eine kraftstoffsparende Regelung, die den Durchschnittspreis für einen Neuwagen bis 2025 um fast 2000 US-Dollar erhöhen würde. Während einige Neuwagenkäufer den verbesserten Treibstoffverbrauch zu schätzen wissen, könnten andere versucht sein, Kosten zu vermeiden, indem sie ihr bestehendes Auto länger behalten oder einen älteren Gebrauchtwagen kaufen. Solche Verhaltensänderungen sollten in die Erwägungen der Regulierungsbehörden einfliessen, denn ältere Autos weisen mehr Umwelt- und Sicherheitsprobleme auf als neue.

Zur Berücksichtigung von Änderungen in der Verteilung von Neu- und Altfahrzeugen ist ein formales Flottenfluktuationsmodell erforderlich. Struktur und Parameter für ein solches Modell müssen sorgfältig überprüft und regelmässig aktualisiert werden. Auch wenn die Prognosen solcher Modelle nie perfekt sein werden, verleihen sie der Regulierungsdebatte eine wichtige neue Dimension, da verschiedene Regulierungsalternativen den Anteil neuer und alter Fahrzeuge im Verkehr verändern und somit Sicherheit, Umweltqualität und Beschäftigungsmuster in der Branche beeinflussen.

5. Wenn ein in Europa und den USA verkauftes Produkt reguliert werden muss: Wird dann in der regulatorischen Analyse eine Harmonisierung der beiden Regulierungssysteme oder zumindest eine Politik der gegenseitigen Anerkennung für Zwecke des internationalen Handels in Betracht gezogen?

Wenn die Regulierungsbehörden auf beiden Seiten des Atlantiks ihre Aktivitäten nicht koordinieren, entstehen den in beiden Regionen tätigen Unternehmen aufgrund der widersprüchlichen Vorschriften erhöhte Compliancekosten. Dennoch gibt es zahlreiche Automobilvorschriften, die sich in Europa und den Vereinigten Staaten ohne plausible Gründe unterscheiden. So ist beispielsweise der europäische Crash-Dummy anders gestaltet als der amerikanische: Die Experten auf beiden Seiten des Atlantiks konnten sich nicht darauf einigen, wie die Bewegungen der Insassen bei einem Unfall und die Reaktionen des Körpers auf die Crashkräfte am besten dargestellt werden können. Der europäische Crash-Dummy trägt einen Sicherheitsgurt, der US-Dummy nicht – obwohl auch in den USA schon seit geraumer Zeit alle 50 Staaten die Gurtenpflicht kennen. Autoingenieure müssen einen Airbag für nicht angegurtete Insassen anders gestalten als für angegurtete: Auf der Fahrerseite muss der Airbag schneller aufgeblasen werden und grösser sein, um die Vielfalt der Bewegungen, die ein nicht angeschnallter Fahrer ausführen kann, zu begrenzen. Deshalb sind die Fahrerairbags in Europa tendenziell kleiner und weniger aggressiv als jene in den USA. Ältere oder gebrechliche Personen fahren mit dem europäischen Airbag sicherer!

All diese subtilen Unterschiede im regulatorischen Design und in der Konformitätsprüfung machen den kommerziellen Handel zwischen den USA und Europa komplexer und teurer. Solche nichttarifären Handelshemmnisse sollten durch Regulierungszusammenarbeit und Harmonisierungsbemühungen beseitigt werden. In Zukunft sollten neue Unterschiede dieser Art vermieden werden. Wenn sich ein Regelungsvorschlag in den USA von der ähnlichen Regelung in Europa unterscheidet (und umgekehrt), sollte die Regulierungsanalyse begründen, warum eine Harmonisierung nicht möglich ist und warum die gegenseitige Anerkennung verschiedener Regulierungssysteme nicht zulässig sein sollte. Die Regierung Obama unternahm einige bescheidene Schritte in diese Richtung; die Regierung Trump sollte auf diesen Bemühungen aufbauen.

Fazit

Die gute Nachricht ist, dass die Welt Fortschritte in Richtung besserer Regulierung macht, insbesondere die OECD-Länder. Da die Ähnlichkeiten zwischen den USA und Europa grösser sind als die Unterschiede, bestehen beidseits des Atlantiks tätige Unternehmen mit Recht darauf, dass die Regulierungsbehörden an ähnlichen, evidenzbasierten Lösungen arbeiten. Die amerikanischen und europäischen Regulierungsbehörden sollten beginnen, gemeinsam Leitlinien für die Regulierungsanalyse auszuarbeiten und Daten über Themen wie z.B. die praktische Erfahrung mit selbstfahrenden Fahrzeugen auszutauschen.

Doch die für die USA und Europa konzipierten Vorschriften sind möglicherweise nicht für alle Länder geeignet oder erschwinglich. Die Einführung von Regulierungslösungen aus den USA und Europa ist z.B. nicht immer die beste Lösung für ein Entwicklungsland. Um bei der Automobilbranche zu bleiben: Für die Regulierungsbehörden in wohlhabenden Regionen wie Europa und den Vereinigten Staaten kann es sinnvoll sein, für Neuwagen mehrere Airbagsysteme, autonome Fahrfunktionen oder effiziente Hybridantriebssysteme zu verlangen. In zahlreichen Entwicklungsländern wird dagegen ein kleines, einfaches, langlebiges und preiswertes Auto mit Benzin- oder Dieselmotor für viele Haushalte vorerst die beste Option bleiben und sollte daher nicht durch Vorschriften oder internationale Verträge verboten werden.

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