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Regulierungsspiralen und andere Ungeheuer

Für Regulierung gibt es gute Gründe. Noch mehr Gründe gibt es allerdings dafür, warum zu viel und falsch reguliert wird. Eine Übersicht.

Regulierungsspiralen und andere Ungeheuer
Justus Haucap, zvg.

Zur Regulierung haben viele Bürgerinnen und Bürger ein gespaltenes Verhältnis: Einerseits pflichten viele der Aussage bei, dass doch viele Dinge überreguliert seien und viele Vorschriften als lähmend und nervend empfunden würden, während andererseits bei neuen Problemen auch schnell nach einem staatlichen Eingriff gerufen wird. Dieses ambivalente Verhältnis zu Regulierungsmassnahmen lässt sich aber durchaus erklären. Denn in der Tat kann es einerseits gute Gründe für regulierende Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen geben, während andererseits – aus anderen Gründen – eine Tendenz zur Überregulierung besteht.

Beginnen wir mit den guten Gründen: Die ökonomische Theorie konzentriert sich heute im wesentlichen auf fünf spezielle Umstände, die regelmässig dazu führen, dass der Markt allein nicht die erwünschten und/oder effizienten Ergebnisse produziert. Man spricht dann von Marktversagen. Erstens ist das der Fall der öffentlichen Güter, von deren Inanspruchnahme auch nicht zahlungswillige Nutzer aus unterschiedlichsten Gründen nicht ausgeschlossen werden können. Für die Bereitstellung dieser Güter sorgt oftmals der Staat, entweder durch eigene Erstellung oder durch eine Beauftragung privater Anbieter. Regulierung spielt jedoch eher eine untergeordnete Rolle. Bei den anderen vier Marktversagenstatbeständen hingegen kommt oftmals Regulierung ins Spiel. Ein Regulierungsbedarf kann etwa entstehen, wenn das Handeln einer Partei spürbare Auswirkungen auf andere hat, ohne dass diese überhaupt an der Aktivität beteiligt sind. Geläufige Beispiele für solche «negativen externen Effekte» sind die Erzeugung von Lärm oder negativen Umwelteinflüssen, die eine gewisse Regulierung sinnvoll erscheinen lassen. Der zweite Fall sind sogenannte natürliche Monopole, bei denen Wettbewerb wirtschaftlich nicht möglich ist. Beispiele sind etwa die Strom- und Gasnetze oder die Trinkwasserversorgung, so dass hier die Entgelte (und auch andere Bedingungen der Produktion und Belieferung) regelmässig reguliert sind, um ein missbräuchliches Ausnutzen der Monopolstellung zu verhindern. Drittens können Probleme entstehen, wenn eine Marktseite über wesentlich bessere Informationen zum Gegenstand eines Geschäftes verfügt als die Marktgegenseite. Im Gesundheitsbereich etwa können Ärzte die Qualität eines Therapievorschlages sehr viel besser einschätzen als die Patienten. In ähnlicher Weise ist es für die Kunden aufgrund ihres Informationsrückstandes oft nicht möglich, die Qualität der Ratschläge ihrer Anlageberater und Rechtsanwälte zu beurteilen. Daher unterliegt die Ausübung solcher Tätigkeiten, wo «asymmetrische Information» zielgerichtete Konsumentscheidungen erschwert, in den meisten Bereichen einer gewissen Regulierung. Und viertens kann Regulierung durchaus sinnvoll sein, wenn hinreichend viele Individuen fehlerhafte Entscheidungen treffen, weil sie etwa bestimmte Informationen falsch verarbeiten.

Der Nirwanatrugschluss

Auch wenn unter den genannten vier Umständen eine staatliche Regulierung sinnvoll sein kann, heisst dies noch lange nicht, dass eine Regulierung auch tatsächlich geboten ist. Wie insbesondere Ronald Coase betont hat, ist ein komparativer Ansatz notwendig, der die Vor- und Nachteile der Regulierung und der Nichtregulierung gegenüberstellt. Allein aus der Erkenntnis, dass in einer unregulierten Situation nicht alles perfekt ist, lässt sich noch nicht schliessen, dass eine Regulierung zu einer echten Verbesserung führt, denn die Regulierung und die sie durchsetzenden Institutionen sind auch niemals perfekt. Der simple Vergleich
eines real existierenden Marktes mit einer hypothetischen fehlerfreien Regulierung, die sämtliche Probleme löst, ist daher ohne jegliche Substanz. Harold Demsetz hat eine solche Argumentation, welche die Probleme der Realität mit hypothetisch fehlerfreien staatlichen Interventionen vergleicht, auch als
Nirwanatrugschluss bezeichnet. Gleichwohl folgen auch heute noch gängige Argumentationen in Fernsehtalkshows oftmals genau diesem Muster: Um vermeintliche Defizite der Realität abzustellen, wird eine hypothetisch fehlerfreie Intervention vorgeschlagen. Um jedoch etwaige Vorteile von Regulierungsmassnahmen wirklich zu würdigen, müssen auch die Defizite von Regulierungsmassnahmen und Regulierungsbehörden im Vergleich zu einer unregulierten Situation erörtert werden. Zudem gibt es oftmals nicht nur eine einzige denkbare Form der Intervention, sondern unterschiedliche.

Mit Regulierung sind dabei markt-, branchen- oder auch produktspezifische Vorschriften gemeint, die ex ante einzuhalten sind. Eine Alternative zur Regulierung, die den Individuen oft mehr Freiheiten lässt, sind positive wie negative Anreize zur Erreichung desselben Ziels. Sehen wir uns etwa die aktuell vielerorts geführte Diskussion über das Impfen und Impfskeptiker an. Beim Impfen haben wir es mit einer klassischen positiven Externalität zu tun. Durch das Impfen schützt man nicht nur sich selbst, sondern auch andere vor einer Ansteckung. Bei der Abwägung für oder wider eine Impfung werden jedoch oft nur die individuellen Kosten (das vermeintliche Risiko von Nebenwirkungen) mit dem individuellen Nutzen (der geringeren Ansteckungsgefahr) verglichen, während der positive Effekt auf Mitmenschen ausgeblendet wird. So entscheiden sich zu viele Leute gegen das Impfen. Als Abhilfe wird daher nicht selten eine allgemeine Impfpflicht vorgeschlagen. Eine naheliegende Alternative wären hingegen positive Anreize: So könnten etwa durchgeimpfte Kinder prioritär bei der Vergabe von Hort- bzw. Kita-Plätzen berücksichtigt werden und einen Vorzug bei der Schulwahl erhalten. Ähnlich könnte man vorgehen, um Energieeffi-zienz stärker zu berücksichtigen. Statt Bau- und Produktvorschriften zu verschärfen, können steuerliche oder preisliche Anreize gesetzt werden, um Bauherren zu mehr Energieeffizienz beim Bau zu bewegen.

Die fünf Ursachen schlechter Regulierung

Die Defizite der Regulierung haben vielerlei Gründe. Erstens leiden die regulierenden Instanzen und die Politik selbst oftmals unter Informationsasymmetrien, d.h. die regulierte Branche kennt ihr Geschäft besser als jeder Regulierer. Denken wir etwa an die Bankenregulierung, so ist offenkundig, dass die Branche dem Regulierer oftmals im Wissen um neue Entwicklungen voraus ist und die Regulierung daher teils viel zu spät kommt oder unvollständig ist. Bei der Entgeltregulierung von Trinkwasser, Briefporto oder Stromnetzentgelten kennen die Anbieter ihre Kosten viel besser als der Regulierer. Da aber regulierte Unternehmen Anreize haben, ihre Kosten zu übertreiben, wird auch die Regulierung nicht fehlerfrei bleiben.

Zweitens wäre es naiv anzunehmen, dass in Regulierungsbehörden nur selbstlose Idealisten arbeiten, die keinerlei Eigeninteresse verfolgen. Realistisch ist vielmehr die Annahme, dass auch Regulierer eigene Ziele verfolgen. Der ökonomischen Theorie der Bürokratie zufolge kann ein solches Ziel im Wachstum der Behörde bestehen. In der Tat fordern Behörden in den jährlichen Budgetverhandlungen vom Finanzminister selten einen Budgeteinschnitt, sondern meist eine Aufstockung, um zusätzliches Personal einzustellen. Es wäre daher naiv anzunehmen, dass die Bundesnetzagentur, die in Deutschland über die Stromnetze wacht und u.a. auch die Investitionsvorhaben in den Stromnetzausbau genehmigt, ein besonderes Interesse an einer Eindämmung des Netzausbaus hätte. Aus diesem Grund werden Regulierungsbehörden auch oft nur zögerlich, wenn überhaupt, für Deregulierungsmassnahmen eintreten.

Drittens droht Regulierern oftmals eine Vereinnahmung durch die regulierte Branche selbst, so dass langfristig das (Konsumenten-)Schutzziel der Regulierung aus dem Blick gerät und dieses vielmehr zu einem Schutzziel zugunsten der Branche wird. Ein illustratives Beispiel ist die vielerorts vorhandene Regulierung des Taxiwesens. Neben der Regulierung des Preises wird oft auch die Anzahl der Taxilizenzen begrenzt. Ursprünglich war das Ziel der Regulierung, ruinöse Konkurrenz auf dem Markt zu verhindern, um den Taxiunternehmen die Finanzierung der zunächst relativ kostspieligen Investition in ein Taxi zu ermöglichen. Zugleich sollten Fahrgäste durch regulierte Preise vor zu hohen Preisen geschützt werden. Heute hingegen ist die riskante Investition vielerorts der Kauf der Taxilizenz auf dem grauen Markt, während das Taxi selbst heute ohne hohes Risiko geleast werden kann. Und Preise für Taxen liessen sich heute dank moderner Apps relativ einfach auch schon vor einer Fahrt vergleichen. Gleichwohl hat insbesondere die Taxilobby selbst heute ein hohes Interesse am Fortbestand der Regulierung, um eben Markteintritte zu verhindern und den Wettbewerb zu drosseln.

Viertens leidet Regulierung oft unter einem asymmetrischen Erkenntnisfortschritt. Während Defizite auf unregulierten Märkten oftmals schnell zu erkennen sind, so dass sie in der Folge durch einen regulativen Eingriff behoben werden, ist es ungleich viel schwieriger zu erkennen, dass eine Regulierung gar nicht mehr notwendig ist, weil das eigentliche Problem – womöglich aufgrund technischen Fortschritts – verschwunden ist. Neben dem Eigeninteresse der Regulierer spricht also auch der asymme-trische Erkenntnisfortschritt dafür, dass Regulierungsmassnahmen systematisch zu lange beibehalten werden und tendenziell mehr Regulierungen eingeführt als abgeschafft werden.

Fünftens schliesslich suchen findige Entrepreneure stets Schlupflöcher in der Regulierung. Die Regulierung wird dann leicht zu einem Katz-und-Maus-Spiel, bei dem das regulierte Unternehmen in der Rolle der Maus ist, während der Regulierer der Entwicklung immer einen Schritt hinterher ist. Damit verbunden ist auch die sogenannte Ölflecktheorie, der zufolge ein einzelner staatlicher Ersteingriff in den Wirtschaftsprozess immer weiter ausdehnende Folgeeingriffe und letztlich eine Interventionsspirale nach sich zieht. Ein Beispiel wäre die sogenannte Mietpreisbremse in Deutschland, nach der Mieten für Wohnraum im Regelfall nur noch sehr begrenzt angehoben werden dürfen. Eine mögliche Ausweichreaktion besteht jetzt darin, entweder parallel den potentiellen Mietern noch andere Dinge zu vermieten, die nicht der Mietpreisbremse unterliegen, oder Abschlagszahlungen für irgendwelche Dinge zu verlangen. Um der Mietpreisbremse zur Durchsetzung zu verhelfen, muss die Regulierung daher immer weiter nachsteuern.

Politische Wünsche statt Korrektur von Marktversagen

Aus politökonomischer Sicht ist zudem klar, dass Regulierung oftmals gar kein Marktversagen beheben soll, sondern vor allem distributive Ziele verfolgt werden. Ein gutes Beispiel sind die sogenannten Universaldienstverpflichtungen, die Versorgungsunternehmen wie etwa die Post dazu zwingen, bestimmte Dienstleistungen flächendeckend anzubieten, selbst wenn dies unprofitabel ist. Damit wird kein Marktversagen korrigiert, sondern ein politischer Wunsch erfüllt. Politökonomisch betrachtet ist die Regulierung darum sehr interessant für Politiker, da ihre Kosten intransparent sind und nicht im öffentlichen Haushalt auftauchen. Gleichwohl kann selbst eine solche Regulierung auch ökonomisch zu rechtfertigen sein. Mitunter kann der Weg für eine vorteilhafte politische Reform durch die Regulierung bestimmter Sachverhalte geebnet werden: Die Privatisierung staatlicher Unternehmen ging insbesondere in der Versorgungswirtschaft oft mit Befürchtungen steigender Preise einher. Durch das Auferlegen von Universaldienstverpflichtungen konnte die in einer Demokratie notwendige politische Unterstützung für das Privatisierungsvorhaben gesichert werden, auch wenn das Auferlegen von Universaldienstverpflichtungen rein allokationstheoretisch betrachtet ineffizient ist.

Insgesamt spricht einiges dafür, dass die Regulierung – entgegen den anfänglichen Intentionen – ein ineffizientes Mass annimmt: Neue Probleme induzieren schnell eine neue Regulierung, während die Lösung von Problemen nicht genauso zu einer Aufhebung der Regulierung führt. Hinzu kommen die Anreize zum Behördenwachstum bei den Regulierungsbehörden selbst. Notwendig wäre daher eine regelmässige Evaluation von Regulierungen und ihren Durchsetzungsbehörden durch externe Dritte zur Identifikation und Eliminierung obsoleter Regulierungen. Sonst drohen in der Tat immer weiter um sich greifende Regulierungsspiralen.

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