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Die EU setzt auf das falsche Pferd
Henrique Schneider, sgv.

Die EU setzt auf das falsche Pferd

Die Europäische Union setzt auf Effizienz durch zentrale Planung. Sie sollte es mit Wettbewerb versuchen.

 

Die Europäische Union wird aus verschiedenen Gründen ­kritisiert. Sie sei bürokratisch, leide an einem Demokratie­defizit und reguliere zu viel. Genauso vielfältig wird sie gelobt. Sie positioniere ihre Mitglieder global, sie löse wirtschaftspolitische Probleme und meistere auch grosse Krisen. Meist beurteilen ­sowohl Kritiker als auch Unterstützer allein die praktische Funktionsweise der EU. Dabei steht ohne Zweifel fest: Sie funktioniert – manchmal besser und manchmal schlechter.

Viel fundamentaler ist jedoch die Überprüfung des institutionellen Designs der EU: Auf welche Prinzipien gehen ihre Funk­tionsweisen zurück? Die EU setzt auf zentrale Planung. Warum? Weil sie sich vom Effizienzversprechen dieser zentralen Planung blenden lässt. Gerade das ist jedoch ihren eigenen Zielen abträglich.

Effizienz bezeichnet das Verhältnis von Output zu Input. Effizienzerhöhung ist die Verbesserung dieses Verhältnisses. Die ­Effizienz steigern kann nur, wer über den Input verfügt und den Output zumindest wesentlich beeinflussen kann. Das ist typischerweise der Fall in Unternehmen und Haushalten, nicht aber in demokratischen Staaten und in der Wirtschaft als Ganzem. Hier gibt es keine Instanz, die über den Input verfügen kann, weil jede Bürgerin und jeder Bürger sowie jedes Unternehmen doch ­zumindest teilweise selbständig ist und selbst frei entscheiden kann. Wo der Input teilweise frei ist, greifen Effizienzüberlegungen nicht.

Effizienz und Wettbewerb

Effizient ist also keinesfalls eine politische Design-Vorgabe. Mehr noch: Sie ist kein makroökonomisches Erfolgsrezept. Die EU hat dies aber nicht verinnerlicht.

In dieser Kritik stehen also nicht die Politik, die Kultur, das Soziale oder die Wirtschaft der EU im Vordergrund. Vielmehr geht es um die Frage, ob die EU nicht deswegen kaputt ist, weil sie institutionell falsch aufgebaut ist. Im Spannungsfeld von Effi­zienz und Wettbewerb setzt die EU auf das falsche Pferd.

Wie funktioniert Effizienz auf der Ebene einer einzelnen Firma? Die Schreinerin, die es schafft, mit ihren zwei Lehrlingen zehn Stühle herzustellen, ist produktiver als der Schreiner, der in der gleichen Zeit mit der gleichen Anzahl an Lehrlingen acht Stühle produziert. So misst die Effizienz die Ergebnisse von Handlungen.

Unternehmen setzen auf Effizienz, um ihre Prozesse aufzustellen und zu verbessern. In der ökonomischen Theorie erklärt man es so: Firmen möchten die Transaktionskosten innerhalb ­ihrer Organisationen minimieren. Beispiele für die Senkung von Transaktionskosten mit Effizienzmassnahmen sind: Weniger ­manuelle Übertragungen beim Erfassen von Buchungsbelegen führen zu einfacher, schnellerer Bearbeitung; die Eliminierung von Vorgesetztenstufen ermöglicht es, dass Weisungen die ausführenden Mitarbeitenden direkter erreichen.

Diese Beispiele kommen aus der betrieblichen Realität. Aus gutem Grund. Um effizient zu sein, braucht es Planung. Und Planung setzt ein Unterordnungsverhältnis voraus. Die planende, disponierende Einheit verfügt über Mittel – wenn es sein muss, ultimativ. Instrumentell setzt die vorgesetzte Stelle auf Regeln, welche für alle ihr untergeordneten Stellen gleichermassen ­gelten. Vorgesetzte erlassen regelbasierte Pläne mit klar formulierten Zielen, um die Mittel einzuteilen.

Im scharfen Kontrast dazu steht der Wettbewerb. Er ist voller Mehrspurigkeiten, er ist unstetig, hat keine konkrete Form und ist ergebnisoffen. Gleichzeitig ist aber auch klar: Kein zentraler ­Planer hat je die Smartphones entwickelt. Sie entstanden im Wettbewerb – in verschiedenen Versionen, die immer noch gegeneinander antreten. Kein zentraler Planer hat je Pokémon Go vorausgesagt oder disponiert. Und als ein medialer Hype entstand um das Smartphone-Spiel, hat wiederum kein zentraler Planer vorhergesehen, dass dieser nach wenigen Wochen wieder verschwinden würde.

Wettbewerb setzt auf Redundanzen und Imperfektionen. Zwei oder mehrere Anbietende machen fast identische, zumindest aber austauschbare Produkte, um die Gunst der Nachfragenden zu erlangen. Nicht selten ist es so, dass die Konkurrenten während längerer Zeit bestehen bleiben und sich dabei selbst ­weiterentwickeln. Effizienz ist es nicht – effizient wäre ein Anbieter und ein Produkt. Aber dafür stellt der Wettbewerb die Nachfragenden besser.

Das ist eben Wettbewerb: die kontinuierliche Anpassung der Marktprozesse an die Präferenzen der Anbietenden und Nachfragenden. Im Wettbewerb gibt es keine Über- und Unterstellungsverhältnisse. Zielsetzungen hat der Wettbewerb keine, denn er ist ergebnisoffen. Er kann nicht anzeigen, welche Lösung sich wie lange für wen etablieren wird. Der Wettbewerb ist somit das ­eigentliche Gegenteil der Effizienz. Und erfolgreich ist er auf der Makroebene.

Die EU folgt dem Effizienzprinzip

Der grundsätzliche Fehler der EU ist, dass sie auf die falsche ­Maxime setzt. Statt den stufengerechten Wettbewerb zu verfolgen und damit Ergebnisoffenheit zu akzeptieren, setzt sie auf das Mittel der falschen Stufe. Effizienz dient Unternehmen, nicht aber politischen Körperschaften. Immerhin ist die EU konsequent. Weil sie auf Effizienz setzt, betätigt sie sich als zentrale Planerin, die den Unterstellten Ziele und Mittel vorgibt. Diese müssen natürlich entwickelt und ihre Umsetzung kontrolliert werden. Dafür braucht man die Bürokratie.

Die USA, die Schweiz und die EU standen einst – konzeptionell, nicht zeitlich – vor der gleichen Frage: Wie kann man heterogene Räume und Bevölkerungen verbinden, vielleicht sogar verbünden? In den USA und in der Schweiz lautete die Antwort: durch Wettbewerb. Das von der EU bevorzugte Prinzip war, von Anfang an, Effizienz durch zentrale Planung.

Das hat seine Gründe. Die EU hat ihren Ursprung in Handelsverträgen. Verträge zwischen Ländern sind Effizienzmassnahmen. Sie wollen nämlich Transaktionskosten senken. Auch war den EU-Gestaltern von Anfang an klar, dass eine kulturelle und wirtschaftliche Kohäsion fehlte. Diesen Mangel versuchten sie mit dem Effizienzprinzip – Zielen, organisatorischen Vorgaben und Regeln – zu kompensieren. Die Überlegung dabei ist einfach: Wenn die Institution für alle gleich aufgebaut ist und die Regeln überall gleich gelten, dann wächst der Raum zusammen. Effizienz sollte also zur Homogenisierung führen.

Und was ist daraus geworden? Die EU ist und bleibt heterogen. Länder wie Polen und Ungarn funktionieren anders als Deutschland und die Niederlande. Die Wirtschaften Griechenlands und Spaniens sind eben nicht gleich wie jene Irlands und Luxemburgs. Zwar hat die EU die geplante Homogenisierung nicht umsetzen können. Doch dafür ist sie überbürokratisiert. Es mag befremden, doch auch die Bürokratie ist ein Kennzeichen dieses Effizienzstrebens, wenn es fälschlicherweise als «politisches Design» angewendet wird.

«Erfolg stellt sich nur dann ein, wenn die

Besonderheiten des Wettbewerbes akzeptiert werden.

Er ist ergebnisoffen, er ist unstetig und er ist voller Transaktionskosten.»

Eine Tücke der Effizienz ist eben: Sie beisst zurück. Wo Effizienz als Planungsgrundlage umgesetzt wird, muss sie auch verwaltet werden. Damit erhöht die Effizienz als Planungsgrundlage die Verwaltungskosten. Effizienz braucht immer mehr Regeln, um durchgesetzt zu werden. Effizienz braucht Spürer, Regler und Schiedsrichter. Je mehr die Verantwortlichen der EU gesehen ­haben, dass die gewünschte Homogenisierung nicht zustande kam, desto mehr haben sie darauf mit Planung, Effizienzvorgaben und Verwaltung reagiert.

Wettbewerb macht Unterschiede nutzbar

Die EU setzt also auf Planung, weil sie sich von der vermeintlichen Effizienz blenden lässt. Sie vergisst dabei, dass Effizienz nur im Kleinen möglich ist. Im Grossen ist der Wettbewerb das viel ­erfolgreichere Modell. Dabei ist der Wettbewerb keineswegs auf die Konkurrenz zwischen Unternehmen beschränkt. Es kann Wettbewerb zwischen den Gemeinden, den Bundesländern oder den Staaten geben.

Die Schweiz und die USA sind Beispiele dafür, wie man Wettbewerb auf der politischen Ebene umsetzt. In der Schweiz haben Kantone und Gemeinden jeweils eigenständige Steuersätze und stehen im Wettbewerb zueinander. In der Schweiz und in den USA bestehen unterschiedliche Wahl- und Abstimmungsmoda­litäten nebeneinander. In beiden Ländern haben es die Glied­staaten und die lokalen Regierungen – oft auch das Stimmvolk – in der Hand, Sozialleistungen anzubieten oder auch nicht.

Was beide Länder so erfolgreich machte: Je unterschiedlicher, desto besser. Die einzelnen politischen Ebenen bemühen sich, «Marktlücken» zu finden. Das führt zu einer ständigen Anpassung der Institutionen an die Bedürfnisse der Bevölkerung und ihrer Wirtschaft. Das ermöglicht vor allem eine grosse Vielfalt und zwingt die Menschen, Unternehmen und Institutionen, in stetigen Verhandlungen miteinander zu stehen.

Auch dieses System hat freilich seine Kosten: Der Unterschied zwischen den Gemeinden und Kantonen kann gross werden. Man muss die unterschiedlichen Ergebnisse, die der Wettbewerb produziert, akzeptieren. Auch die ständige Verhandlung zwischen den Akteuren generiert Kosten. In der Schweiz wird etwa viermal im Jahr national, kantonal und kommunal abgestimmt. Mehrmals im Jahr werden Abstimmungskämpfe durchgeführt. Auf einer Pro-Kopf-Basis gibt die Schweiz mehr Geld für Abstimmungen und Wahlkämpfe aus, als die USA es tun.

Obschon diese Kosten hoch sind, hat dieses wettbewerbliche Organisationsprinzip seine überwiegenden Vorteile. Die Prozesse auf der lokalen, aber auch auf der nationalen Ebene sind schlank. Sie sind schlank, weil sie immer neu ausgehandelt werden können. Die Regeln sind differenziert und berücksichtigen, dass ­unterschiedliche Akteure in unterschiedlichen Kontexten unterschiedlich behandelt werden müssen. Die Steuern sind vergleichsweise tief, die Regulierungsdichte ebenfalls, die Bürokratie noch im Rahmen des Erträglichen. Und das System bleibt innovativ und krisenresistent. Der Wettbewerb verwandelt Diversität in Kapital.

Die EU als Entdeckungsverfahren?

Bei der EU ist das Bild generell umgekehrt: Die meisten Staaten haben hohe Steuersätze. Sie fordern einander nicht heraus, sondern kolludieren, um die Sätze weiterhin hoch zu halten. Die EU ist auch eine relativ geschlossene Volkswirtschaft. Einige Länder sind Nettoexporteure und einige Nettoimporteure, aber der einzige echte «Global Player» ist Deutschland – und das war die BRD schon vor der Europäischen Gemeinschaft. Die anderen handeln weitgehend untereinander – so zumindest die Aussenhandels­statistik der EU.

Die EU setzt auf Effizienz, die von einem zentralen Planer mit Zielen und Mitteln geschaffen werden soll. Diese Ziele und Mittel sind Regulierungen, und diese führen zu Abschottung. Diese vom Regelwerk getriebene Geschlossenheit scheint zu erklären, warum die EU im weltweiten Vergleich gerade in der sogenannten «neuen Wirtschaft» abfällt: digitale Geschäftsmodelle, Biotech, Healthtech unter anderem.

Das Problem ist jedoch nicht, dass die EU wegen ihres irrtümlichen Fokus auf Effizienz schon immer kaputt war. Das Problem ist eher, dass sie viel besser dastehen könnte, falls sie sich nur für den Wettbewerb entschieden hätte. Wenn sie nur ihre Vielfalt ­akzeptieren und daraus Kapital schlagen würde. Doch das geht nicht mit Regeln, die auf Homogenität abzielen. Das geht nur, wenn die Unterschiedlichkeit zum gegenseitigen Herausfordern, also zum Wettbewerb, führt. Erfolg stellt sich nur dann ein, wenn die Besonderheiten des Wettbewerbes akzeptiert werden. Er ist ergebnisoffen, er ist unstetig und er ist voller Transaktionskosten. Aber seine Vorteile sind entsprechend gross: Wettbewerb führt zur Emanzipation der Akteure und zu Innovation. Das ist klar, denn der Wettbewerb transformiert Heterogenität in Kapital

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