
Von der Kriegssteuer zum Rentnerschreck
Der Eigenmietwert wurde einst als vorübergehende Steuer per Notrecht eingeführt. 110 Jahre später gibt es ihn noch immer. International ein Unikat, steigt nun der politische Druck auf seine überfälli-ge Abschaffung.
Die Besteuerung des Eigenmietwerts zählt zu den am meisten diskutierten Themen im schweizerischen Steuerrecht und sorgt bei Wohneigentümern für Unmut, finanzielle Belastungen und Unzufriedenheit. Die Idee, dass Wohneigentümer einen «hypothetischen» Mietwert ihrer selbstgenutzten Immobilie als Einkommen versteuern müssen, wirkt auf viele zunehmend befremdlich.
Die Wurzeln der Eigenmietwertbesteuerung reichen bis ins frühe 20. Jahrhundert zurück. Die Steuer ist ein Relikt aus dem Ersten Weltkrieg. Der Eigenmietwert wurde 1915 erstmals Teil des steuerbaren Einkommens. Das damals rein männliche Stimmvolk und eine Mehrheit der Stände stimmten der Besteuerung der Eigenmiete in Form einer einmaligen eidgenössischen Kriegssteuer zu. Ziel dieser neuen Steuer war die Deckung des erhöhten Finanzbedarfs durch den Krieg.
Einmal eingeführte Steuern verschwinden nie
Im Zuge der nachfolgenden Weltwirtschaftskrise entstand erneut ein erhöhter Finanzbedarf – und wieder wurden die Liegenschaftseigentümer zur Kasse gebeten. Das ab 1934 geltende Finanzprogramm wurde als Notrecht und ohne verfassungsmässige Grundlage eingeführt und war zunächst auf vier Jahre beschränkt. Doch schnell war klar, dass hier eine willkommene neue Möglichkeit gefunden worden war, um den stetig steigenden Finanzbedarf des Bundes zu decken. Immer wieder wurde die Geltungsdauer der Steuer verlängert, bis sie letztlich 1958 aus dem Notrecht ins reguläre Recht übernommen wurde – und Überraschung, die Steuer wurde nie abgeschafft, sie gilt bis heute.
Heute müssen Eigentümer von selbstgenutztem Wohneigentum jedes Jahr den fiktiven Mietwert ihrer Liegenschaft in der Steuererklärung angeben. Begründet wird das mittlerweile mit dem Argument, dass die Eigenmietwertsteuer eine Gleichstellung zwischen Eigentümern und Mietern gewährleisten solle. Denn wer in einer eigenen Liegenschaft wohnt, erzielt im Gegensatz zu Mietern angeblich einen geldwerten Vorteil – nämlich denjenigen, keine Miete zahlen zu müssen. In Vergessenheit gerät dabei, dass der Eigenmietwert nie eingeführt wurde, um eine Gleichstellung von Eigentümern und Mietern zu gewährleisten. Der Eigenmietwert ist ein Paradebeispiel dafür, dass einmal eingeführte Steuern kaum je wieder verschwinden.
Auf politischer Ebene ist die Besteuerung des Eigenmietwerts immer wieder Auslöser von Debatten und Gegenstand politischer Beratungen. Viele Eigentümer empfinden die Besteuerung als ungerecht. Im Alter, wenn die Hypotheken weitgehend abbezahlt sind, bleibt die Steuerlast und damit eine hohe Steuerrechnung bestehen. So verlieren Wohnimmobilien als Teil der eigenverantwortlichen Altersvorsorge an Bedeutung, und für Familien rückt der Traum vom Eigenheim durch die erhöhte Steuerrechnung immer weiter in die Ferne.
Die Kantone haben differenzierte Berechnungsmethoden zur Festlegung der Eigenmietwerte. Sie basieren auf Marktvergleichen, Lage, Grösse und Zustand der Immobilie. Die Höhe des Eigenmietwerts muss dabei mindestens 60 Prozent bzw. 70 Prozent des Marktwerts betragen – ein von Bundesgerichtsurteilen gestütztes Kriterium. Die Festlegung und die regelmässigen Neueinschätzungen der Eigenmietwerte stellen einen hohen administrativen Aufwand dar und sind in der Praxis oft Gegenstand von Streitigkeiten und gerichtlichen Auseinandersetzungen.
Mehrere erfolglose Anläufe zur Abschaffung
Auf Bundesebene gab es in den letzten Jahrzehnten wiederholte Anläufe, die Besteuerung des Eigenmietwerts zu reformieren oder im besten Fall ganz abzuschaffen. Besonders erwähnenswert sind dabei drei Vorlagen, die dem schweizerischen Stimmvolk zur Abstimmung unterbreitet wurden.
1999 sah die Volksinitiative «Wohneigentum für alle» mehrere Massnahmen zur Förderung von Wohneigentum vor. Unter anderem sah sie eine Reduktion der Eigenmietwerte während zehn Jahren nach Ersterwerb sowie eine Neufestlegung der Eigenmietwerte erst bei Handänderungen vor. Zudem sollte der Wohneigentumserwerb steuerlich gefördert werden. Die Vorlage wurde mit 58,7 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt.
Das «Steuerpaket 2001», über das 2004 abgestimmt wurde, sollte den Eigenmietwert generell abschaffen. Das Stimmvolk sagte allerdings mit 65,9 Prozent Nein zur Vorlage.
2012 wurde eine Initiative des HEV Schweiz mit 52,6 Prozent Nein-Stimmen nur knapp abgelehnt. Die Initiative «Sicheres Wohnen im Alter» sah die Einführung eines einmaligen Wahlrechts mit Eintritt ins AHV-Alter vor (Wahl zwischen Beibehaltung des Status quo oder Verzicht auf Eigenmietwertbesteuerung und Abzugsmöglichkeit für Unterhalt und Schuldzinsen). Der indirekte Gegenvorschlag – nämlich ein genereller Systemwechsel in Form der Abschaffung der Eigenmietwertbesteuerung – wurde vorab schon im Parlament abgelehnt.
«Im Zuge der nachfolgenden Weltwirtschaftskrise entstand erneut ein erhöhter Finanzbedarf – und wieder wurden die Liegenschaftseigentümer zur Kasse gebeten.»
Einer der zentralen Kritikpunkte der Initiative «Sicheres Wohnen im Alter» war die Tatsache, dass das Wahlrecht erst mit Eintritt ins Rentenalter bestanden hätte. Ich reichte damals als Nationalrat die Motion «Sicheres Wohnen. Einmaliges Wahlrecht beim Eigenmietwert» ein. Diese wurde zwar im Nationalrat angenommen, vom Ständerat aber abgelehnt. Daraufhin lancierte der Hauseigentümerverband Schweiz die Petition «Eigenmietwert abschaffen», die 2016 innert kürzester Zeit von mehr als 145 000 Personen unterzeichnet wurde. Sie war Auslöser der Vorlage zum generellen Systemwechsel, über die nun das schweizerische Stimmvolk Ende 2025 entscheiden wird.
Status quo belohnt hohe Schulden
Heute ist der Eigenmietwert ein zentraler und nach wie vor umstrittener Bestandteil des schweizerischen Steuerrechts. Eigentümer müssen den Eigenmietwert als Einkommen deklarieren, können im Gegenzug aber Hypothekarzinsen und Unterhaltskosten vom steuerbaren Einkommen abziehen. Dies führt zu einer steuerlichen Förderung der Fremdfinanzierung und zu einer Verzerrung in der Wohnraumpolitik: Wer hohe Schulden hat, profitiert steuerlich. Doch das stellt sowohl für die schweizerische Volkswirtschaft als auch für die Eigentümer ein erhöhtes Risiko dar. Hinzu kommt, dass die Eigenmietwerte in den Kantonen in regelmässigen Abständen neu eingeschätzt werden müssen, was in fast allen Fällen mit wuchtigen Erhöhungen und folglich wesentlich höheren Steuerrechungen einhergeht.
Ein grosses Problem ist der Eigenmietwert für viele Pensionierte. Viele ältere Wohneigentümer verfügen über tiefe liquide Mittel, aber ein hohes, fiktives Einkommen durch den Eigenmietwert. Das führt insbesondere in städtischen Regionen zu einer steuerlichen Belastung, die von vielen als nicht mehr verhältnismässig empfunden wird. Verschiedene Modelle einer «Altersentlastung» wurden diskutiert, konnten jedoch bisher nicht umgesetzt werden.
International ist die Besteuerung des Eigenmietwerts ein Unikat. In den meisten OECD-Staaten wird der Eigengebrauch von Wohneigentum nicht besteuert und wenn, dann nur milde. Auch die OECD hat sich kritisch zur Eigenmietwertbesteuerung geäussert, insbesondere wegen der damit verbundenen Förderung der Verschuldung und der Bestrafung der Amortisation von Hypotheken.
Die Belastung der selbstnutzenden Wohneigentümer durch den Eigenmietwert ist enorm. Der politische Druck, zu handeln, wächst, insbesondere angesichts der steigenden Immobilienpreise, der Überalterung der Bevölkerung und der Debatte um Steuervereinfachungen.
«Wer hohe Schulden hat, profitiert steuerlich. Das stellt sowohl für die schweizerische Volkswirtschaft als auch für die Eigentümer ein erhöhtes Risiko dar.»
Nun besteht die Möglichkeit, diesen Zankapfel im Steuerrecht ein für alle Mal zu beseitigen. Das Schweizer Stimmvolk wird sich im Herbst 2025 dazu äussern können. Die bevorstehende Abstimmung bietet eine wohl einmalige Chance, die wir nun nützen müssen – damit der Eigenmietwert endlich abgeschafft wird.
Zeitachse:
1915: Eigenmietwertsteuer als einmalige eidg. Kriegssteuer
Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs sinkt der Zollertrag des Bundes um die Hälfte, eine der wichtigsten Einnahmequellen des Bundes bricht weg. Zur Deckung des Finanzbedarfs und zur Abmilderung der Kriegsfolgen wird eine einmalige eidgenössische Kriegssteuer erhoben, inklusive Eigenmietwert.
1934: Erneute Krisenabgabe per Notrecht eingeführt
Zur Deckung des Finanzbedarfs nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 wird ab 1934 eine auf vier Jahre befristete Krisenabgabe eingeführt, auch hier ist der Eigenmietwert wieder Teil des Gesamteinkommens und wird besteuert. Die Besteuerung erfolgt per Notrecht und ohne verfassungsmässige Grundlage.
1938–1958: Immer wieder Verlängerung der «Notsteuer»
Nach Ablauf des Finanzprogramms 1938 wird die Besteuerung des Eigenmietwerts immer wieder verlängert, zunächst als temporär geltende «Wehrsteuer» bis zur Tilgung der Militärkredite und der Kosten der Kriegsmobilisierung im Zweiten Weltkrieg. Nach Ablauf der Frist wird die Wehrsteuer immer wieder verlängert.
1958: Eigenmietwert wird verfassungsrechtlich verankert
Erst 1958 wird der Eigenmietwert nach diversen Verlängerungen der Wehrsteuer von Volk und Ständen gutgeheissen und ins ordentliche Recht überführt. Nach der «einmaligen» Erhebung 1915 bestand die Eigenmietwertsteuer somit von 1934 bis 1958 ohne verfassungsmässige Grundlage.
1980er-Jahre: Verstärkte Kritik und Reformbestrebungen
Eigentümer beklagen die steuerliche Belastung trotz steigender Hypothekarzinsen und wachsender Unterhaltskosten. Erste parlamentarische Vorstösse zur Abschaffung oder Modifikation des Systems entstehen.
1990er-Jahre: Erstes Referendum durch den HEV
Der HEV Schweiz beginnt eine Kampagne gegen den Eigenmietwert. Er bezeichnet die Besteuerung als «unnatürlich» und «bestrafend» für Menschen, die Eigenverantwortung übernehmen und für ihr Wohneigentum sparen. 1999 reicht der HEV eine erste Volksinitiative zur Abschaffung ein. Die Initiative «Wohneigentum für alle» wird aber mit 58,7 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt.
2000er-Jahre: Parlamentarische Vorstösse und Debatten
Mehrere parlamentarische Initiativen fordern die Abschaffung oder wenigstens eine Reform des Eigenmietwerts, insbesondere für Rentner. 2004 wird das «Steuerpaket 2001», welches eine Abschaffung der Eigenmietwertsteuer vorsah, abgelehnt. Der HEV Schweiz lanciert daraufhin die Volksinitiative «Sicheres Wohnen im Alter», die ein Wahlrecht für Rentner einführen möchte. Sie wird 2012 mit 52,6% nur knapp abgelehnt.
2013: Motion des HEV-Präsidenten
2013 reicht der damalige HEV-Präsident, aNR Hans Egloff, eine Motion ein, die ein einmaliges Wahlrecht für alle vorsieht. Die Motion wird im Nationalrat unterstützt, 2017 im Ständerat aber abgelehnt.
2016: HEV-Petition «Eigenmietwert abschaffen»
2016 reicht der HEV Schweiz die Petition «Eigenmietwert abschaffen» mit über 145 000 Unterschriften ein.
2017: Kommissionsinitiative der WAK-S zum Systemwechsel
Die ständerätliche Kommission für Wirtschaft und Abgaben reicht aufgrund der HEV-Petition einen Vorstoss ein und fordert die Abschaffung der Eigenmietwertbesteuerung für selbstgenutztes Wohneigentum am Hauptwohnsitz. Diese Kommissionsinitiative führt letztlich zur nun anstehenden Volksabstimmung (siehe 2025).
2017–2024: Parlamentarische Debatten über den Systemwechsel
Nach zahlreichen Debatten und Beratungen im Parlament, zwei Vernehmlassungen und unzähligen Abklärungen unter Beizug der Verwaltung einigen sich die beiden Kammern am 20. Dezember 2024 auf eine gemeinsame Vorlage zum Bundesgesetz über den Systemwechsel bei der Wohneigentumsbesteuerung. Die Vorlage sieht die Abschaffung des Eigenmietwerts für alle selbstgenutzten Liegenschaften vor, ist allerdings an eine Verfassungsänderung zur Möglichkeit der Einführung einer Liegenschaftssteuer für Zweitwohnungen durch die Kantone gekoppelt.
2025 – Volksabstimmung über ein mögliches Ende des Eigenmietwerts
Im Herbst dieses Jahres wird das schweizerische Stimmvolk darüber entscheiden, wie es mit der Besteuerung des Eigenmietwerts weitergeht: Findet die über ein Jahrhundert dauernde Belastung der Wohneigentümer endlich ein Ende?
Infobox/Sideline:
Titel:
Besonders betroffen von der Besteuerung des Eigenmietwerts sind:
Rentnerinnen und Rentner: Viele haben ihre Hypothek teilweise oder vollständig zurückbezahlt und können somit keine Schuldzinsen mehr abziehen. Sie müssen aber weiterhin den Eigenmietwert als Einkommen versteuern, was zu einer überproportionalen steuerlichen Belastung führt – dies bei im Pensionsalter ohnehin schon tieferem Einkommen.
Familien mit hohem Eigenkapitalanteil: Wer konservativ finanziert und wenig Fremdkapital einsetzt, profitiert weniger vom Schuldzinsabzug und ist entsprechend stärker vom Eigenmietwert betroffen.
Wohneigentümer in teuren Regionen: Da der Eigenmietwert auf dem potentiellen Marktwert basiert, sind Eigentümer in städtischen oder touristisch attraktiven Gebieten stärker belastet.
Jüngere Eigentümer mit hoher Verschuldung: Diese Gruppe hat aufgrund der hohen Immobilienpreise und der strengen Anforderungen an die Tragbarkeit ohnehin schon erhebliche Probleme, sich den Traum der eigenen vier Wände zu erfüllen. Durch die Besteuerung des Eigenmietwerts und der damit einhergehenden höheren Steuerrechnung steigt die Belastung abermals an.