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Eine Frage des Vertrauens

Antwort auf Tim Guldimanns Essay «Auf dem Holzweg» in der Dezember/Januar-Ausgabe dieser Zeitschrift.

Staatliche Stellen müssten immer ausführlicher Rechenschaft ablegen über alles, was sie tun, schreibt Nationalrat Tim Guldimann in der letzten Ausgabe des «Monats». Er plädiert für mehr Vertrauen in die Verwaltung, was zunächst einmal sehr lobenswert ist. Ich wäre sogar zu 100 Prozent einverstanden mit seiner Behauptung, wenn er sich nicht nur auf staatliche Stellen, sondern auch – und vor allem! – auf die Bürgerinnen und Bürger des Landes kapriziert hätte. Denn wieso sollten Verwaltung und Bürokratie dahingehend privilegiert behandelt werden?

Wer, wie ich, in den 1950er Jahren zu arbeiten begonnen hat, ist in der Lage, den Unterschied zwischen der Atmosphäre jener Zeit, die zum Handeln ermutigte, und den ständigen Hindernissen und Demütigungen von heute, die Guldimann im Hinblick auf die Verwaltung anprangert, zu erkennen. Die Politik hat uns in den letzten Jahrzehnten unter Vormundschaft gesetzt. Wir Bürgerinnen und Bürger werden als Trottel behandelt, die nicht fähig sind, sich um das eigene Leben zu kümmern. Jene wenigen aber, denen man das immerhin noch zutraut, werden gerade deshalb unter besonders strenger Aufsicht gehalten – es könnte sich bei ihnen schliesslich um Nonkonformisten, also potenzielle Gesetzesbrecher handeln.

Die Behörden sagen uns, wie wir uns benehmen, auf unsere Gesundheit aufpassen, uns ernähren sollen, wie wir uns aufs Velo zu setzen haben, Geschäfte tätigen sollen und so weiter. Siebentausend Seiten an Gesetzen und Reglementen werden dazu jährlich erlassen. Helmut Hubacher, ehemaliger Präsident der SP und seinerzeit eine der markantesten Figuren der Schweizer Politik, kommentierte jüngst ironisch die Anzahl dummer Anträge seitens der Politik: Auf einen parlamentarischen Vorstoss, der den Staat damit beauftragen sollte, ein Netz mit Velopumpstationen in Auftrag zu geben, empfiehlt er dem Regierungsrat zu antworten: «Das Velo aufzupumpen ist Privatsache.»1

Es ist deshalb gut, dass auch Tim Guldimann sich nun erschrocken zeigt – über die 458 Seiten Rechenschaftsbericht zur Entwicklungszusammenarbeit.2 458 Seiten? Nun, entweder will man damit erreichen, dass er nicht gelesen wird, oder man hat etwas zu verstecken. Wer die Effizienz der Verwaltung steigern will, müsste empfehlen, einen solchen Bericht zu retournieren und berechtigten Anspruch auf ein vernünftiges, lesbares, aber vollständiges Papier anzumelden. Guldimann plädiert stattdessen für mehr Effizienz durch mehr Vertrauen.3 Auch einverstanden. Aber mehr Vertrauen in die Verwaltung liesse sich trefflich durch eine Sunset-Klausel ergänzen, die sie dazu anhält, alte, unnötige Gesetze und Auflagen abzuschaffen sowie bürokratische Komplikationen und Doppelspurigkeiten zu beheben. Davon gibt es leider weiterhin mehr als genug: Als stolzer Eigentümer von zwei Hühnern muss ich jedes Jahr ein vierseitiges Formular ausfüllen und dem Finanz- und Wirtschaftsdepartement – Landwirtschaftssektion, Büro der Landwirtschaftsberatung – einreichen, das in der Folge an 10 weitere Behörden und Kontrollstellen weitergeleitet wird. Ist das nötig? Das Departement des Inneren verpflichtet heute sogar die Köche im Land – in mindestens drei verschiedenen Hygieneartikeln – zum Händewaschen. Kann man einem ausgebildeten Koch nicht zutrauen, dass er das ohnehin macht? Und zwar auch dann, wenn er das Reglement gar nicht kennt?

Herr Guldimann, Sie sind einer der originellsten Köpfe, die wir im Parlament haben. Vertrauen Sie unseren Köchen? Und unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern? Sie haben viel zu tun, wenn es Ihnen darum geht, dass den Menschen seitens der Politik wieder mehr Vertrauen geschenkt wird. Und zwar allen, nicht nur jenen, die in der Verwaltung angestellt sind.1


Basler Zeitung vom 16. Dezember 2017.
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Im Jahr 2017 durfte ich am eigenen Leibe erfahren, wie bürokratisch, ineffizient und paternalistisch die Entwicklungszusammenarbeit selbst ist: Ich hatte von einem bewundernswerten Geistlichen in Aleppo gehört, der sich seit Jahren darum bemüht, die dortigen Kinder zu ernähren, zu schulen und spielen zu lassen. Ich habe die Credit Suisse deshalb beauftragt, dem Mann die bescheidene Summe von 1000 Schweizer Franken zu überweisen. Die Bank hat sich geweigert, die Zahlung auszuführen. Warum? Der Compliance-Verantwortliche verwies auf Syrien als Destination für das Geld: mit den 1000 Franken hätte der Geistliche ja Waffen oder Drogen kaufen können. Natürlich verstand der Mann, was für ein Unsinn das war. Aber: er fürchtete die Finma.
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Die GPK und die EFK beklagen regelmässig, dass die von der Verwaltung selbst budgetierten Summen, etwa in Botschaften des Bundesrates, zu oberflächlich berechnet werden und sich nach einiger Zeit als fehlerhaft erweisen. Sagen wir es offen: Die Verwaltung hat in solchen Fällen entweder gelogen oder sie ist ihrer Aufgabe nicht gewachsen – beides trägt wenig zur Vertrauensbildung bei. Welche Konsequenzen zieht sie daraus


Tito Tettamanti
ist Rechtsanwalt, Unternehmer und Financier. Er ist u.a. Präsident der Stiftung Fidinam, die Projekte in den Bereichen Bildung, Forschung, Gesundheit, sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung unterstützt. Tettamanti lebt in Lugano.

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