Hochschulstandort Schweiz
Profilierung als Chance und Herausforderung. Die Schweiz hat gute Chancen, ihre Hochschulen auch international in den
vordersten Rängen zu positionieren. Allerdings sind hierzu eine neue strategische Ausrichtung und entsprechende Anpassungen notwendig.
Mit der Unterzeichung der Bologna-Deklaration im Jahre 1999 wurde die grösste Reform in der Geschichte der Hochschulen in die Wege geleitet. Nationale Grenzen werden seither gesprengt; aus 40 Ländern entsteht ein einziger grosser Hochschulraum – damit aber auch Konkurrenz zwischen den Hochschulen und ein Wettbewerb der Nationen um die klügsten Köpfe. Die Hochschulen in der Schweiz haben sich auf den Weg nach Bologna aufgemacht. Einige sind vermeintlich schon am Ziel: sie haben die Studiengänge modularisiert, vergeben dafür Punkte nach dem European Credit Transfer System und haben die zweigliedrige Studienstruktur mit Bachelor- und Master-Diplomen bereits eingerichtet. Gleichzeitig ist ein schon 1995 in die Wege geleiteter Prozess noch immer im Gange, nämlich die Integration der Fachhochschulen in die Hochschullandschaft. Damit einher geht die Frage nach den Unterschieden der beiden Typen, die eigentlich niemand stringent beantworten kann.
Die vielen Aktivitäten rund um diese beiden inneren Entwicklungen haben den Blick nach aussen stark verengt. Die grossen Herausforderungen aus der Öffnung des europäischen Hochschulraums werden mitunter verkannt. Insbesondere wird nicht überall realisiert, dass mit der Ausweitung des Hochschulsystems im Ausland wie zuhause neue Konkurrenten ins Spiel kommen.
Hochschulraum Europa
Die Globalisierung macht vor dem Schul- und Bildungswesen nicht halt. Mit der Umsetzung der Bologna-Deklaration werden die Studiengänge in Europa harmonisiert. Es entsteht eine riesige europäische Hochschullandschaft mit mehr Transparenz und Konkurrenz zwischen den einzelnen Hochschulen.
In Zukunft werden Studierende ihren Studienort vermehrt aufgrund des Profils und der Qualität einer Hochschule auswählen. Das gilt besonders für das an die Bachelorstufe anschliessende Masterstudium. Nationale Präferenzen oder die Nähe zum Wohnort treten dabei immer mehr in den Hintergrund. Ausschlaggebend für die Wahl eines Bildungsstandorts durch die Studierenden werden stattdessen qualitative Aspekte der Hochschule sein: Renommee, Betreuung, Studiendauer, Forschungsausstattung und günstige Rahmenbedingungen.
In der globalisierten Wissensgesellschaft und -ökonomie sind die Qualität der Bildungsangebote und der Ausbildungsstand der Bevölkerung von entscheidender Bedeutung. Wissen und Information werden zu immer wichtigeren Produktionsfaktoren. In allen Wirtschaftsbereichen ist ein Anstieg der qualitativen Anforderungen zu be-obachten. Weltweit ist eine steigende Nachfrage nach hochqualifizierten Fachleuten zu er-warten. Bereits heute zeigen sich in gewissen Bereichen Engpässe bei der Suche nach akademisch qualifiziertem Personal. Die Zahl der Hochschulabsolventen und -absolventinnen nimmt deshalb zu und wird weiter steigen – besonders an jenen Standorten, an denen attraktive Ausbildungsgänge angeboten werden. Mit der Erweiterung des Hochschulzugangs nimmt aber auch die Heterogenität der Interessen zu. In der Folge muss das zukünftige Angebot nicht nur qualifizierte Bildung gewährleisten, es muss auch variantenreicher und differenzierter ausgestaltet werden.
Die Bedeutung der Hochschulen in einer globalisierten Wissensgesellschaft wird von immer mehr Menschen erkannt. Davon zeugen die in letzter Zeit in verschiedenen europäischen Ländern geführten Debatten zur Hochschulbildung. Während beispielsweise in Deutschland Eliteuniversitäten gefordert werden, soll in England rund die Hälfte der jungen Menschen ein Studium absolvieren können. Auch anderswo wird oder wurde die Hochschulbildung reformiert. In Europa ist ein regelrechter Wettbewerb um die besten Hochschulen, und damit auch um die besten Köpfe, entbrannt. In der Schweiz absolvieren 19 Prozent der Angehörigen eines Jahrgangs ein Hochschulstudium. Diese Zahl liegt deutlich unter dem OECD-Durchschnitt von 30 Prozent. Die tiefe Akademikerquote benachteiligt die jungen Schweizerinnen und Schweizer im Erwerbsleben; Nicht-Akademiker mit einer höheren Berufsbildung sehen sich vermehrt mit akademischen Mitbewerbern aus dem Ausland konfrontiert.
Mehr und bessere Bildung für mehr Studierende kostet Geld. Die aktuelle Finanzlage der öffentlichen Haushalte in Europa ist angespannt, nicht zuletzt, weil die sozialen Systeme in Schieflage geraten sind. Für das Hochschulsystem bleiben weniger öffentliche Gelder übrig. Es sind deshalb neue Einnahmequellen zu erschliessen. In England zum Beispiel wurden die Studiengebühren erhöht.
Die Hochschulen erhalten immer mehr Konkurrenz: im Inland durch die Integration der Fachhochschulen, im Ausland durch Hunderte von europäischen Hochschulen. Gleichzeitig wollen immer mehr junge Menschen studieren und von der neuen Mobilität in Europa profitieren. Darum ist davon auszugehen, dass die Nachfrage nach Studienplätzen weiter zunimmt. Im Wettbewerb um leistungsfähige Studierende werden vor allem Hochschulen mit gutem Leistungsausweis und prägnanter Ausrichtung Erfolg haben.
Hochschulen benötigen für ihre Ausbildungsgänge ein klares und prägnantes Profil, wenn sie sich erfolgreich im erweiterten Bildungsmarkt positionieren wollen – und zwar unabhängig von der bisherigen Bezeichnung als Universität oder Fachhochschule. Die bisherige Unterscheidung aufgrund der Zauberformel «andersartig, aber gleichwertig» hält empirischer Überprüfung nicht stand. Dasselbe gilt für die Unterscheidung von Grundlagen- und an-gewandter Forschung. Viele universitäre Institute betreiben (zum Glück) angewandte Forschung; umgekehrt gibt es Fachhochschulen, die in der Grundlagenforschung tätig sind. Fachhochschulen sind, wie die Universitäten auch, Hochschulen. Deshalb lautet der Vorschlag, die Hochschullandschaft in der Schweiz neu zu strukturieren, anstatt krampfhaft nach möglichen Unterscheidungsmerkmalen zu suchen oder an überkommenen Profilen festzuhalten.
Ein trivalentes Hochschulsystem
Der Hochschulraum Schweiz ist neu auszurichten, und zwar global, europäisch und national. Gefordert wird ein trivalentes Hochschulsystem, das je verschiedene Zielsetzungen verfolgt, die unterschiedlichen Interessen der Studierenden berücksichtigt und den spezifischen Talenten der Absolventinnen und Absolventen gerecht wird. Trivalent bedeutet auch, dass neu in der Schweiz drei unterschiedliche Hochschultypen mit spezifischer Ausrichtung, Ausstattung (auch finanzieller) und Ausstrahlung entstehen sollen, unabhängig von der bisherigen Etikettierung als Universität oder Fachhochschule. Die drei Typen seien kurz charakterisiert.
Globale Hochschulen – Diese Hochschulen haben Spitzenausbildungsgänge und Spitzenforschung auf höchstem internationalem Niveau zum Ziel. Dies ist nur mit einer überdurchschnittlichen Anzahl von Dozierenden und Forschenden sowie sehr guten Studierenden erreichbar. Exzellente Lehre, Betreuung und Forschung sowie hervorragende Weiterbildungsprogramme zeichnen diesen Hochschultypus aus. Viele Studierende kommen aus dem Ausland. Die meisten Absolventinnen und Absolventen schliessen das Studium mit
einem Master- oder Doktoratsausweis ab. Die Unterrichtssprache ist Englisch. Den Studierenden werden geeignete Wohnmöglichkeiten angeboten. Beispiel für eine Spitzenhochschule in der Schweiz ist die Eidgenössische Technische Hochschule in Zürich und Lausanne.
Europäische Hochschulen – Dieser Typus steht im nationalen und internationalen, insbesondere im europäischen Wettbewerb. Das Angebot richtet sich an Studierende aus dem In- und Ausland. Die Stärken der europäischen Hochschulen liegen in der Lehre und Betreuung, der praxisorientierten Forschung und der praxisorientierten Weiterbildung. Die Ausbildungsgänge entsprechen der Tatsache, dass die meisten Studierenden nach dem Abschluss in die Praxis gehen, also nicht in die akademische Lehre oder Forschung. Etwa gleich viele Studierende schliessen mit einem Bachelor- bzw. Masterdiplom ab. Unterrichtssprachen sind die Landessprachen sowie Englisch. Diesem Hochschultypus entsprechen heute zum Beispiel die Universitäten Fribourg und St. Gallen, die Hochschule für Technik und Architektur Biel oder das Departement Wirtschaft der Fachhochschule beider Basel.
Nationale Hochschulen – Diese sind dem nationalen Wettbewerb ausgesetzt. Sie haben eher regionalen Charakter. Die Ausbildungsangebote richten sich in erster Linie an Personen, die in der Schweiz leben. Es werden vorwiegend Studienrichtungen angeboten, die auf berufliche Tätigkeiten im Inland vorbereiten. Der Schwerpunkt liegt auf der Lehre und Betreuung sowie auf der höheren beruflichen Weiterbildung. Die Forschung beansprucht dagegen nur einen kleinen Stellenwert und ist praxisorientiert. Dementsprechend wird das Studium an den nationalen Hochschulen in der Regel mit einem Bachelordiplom abgeschlossen; Masterdiplome können dann an einer europäischen Hochschule erworben werden. Der Unterricht erfolgt in der Regel in einer Landessprache. Beispiele für diesen Hochschultypus sind die Universität Luzern, die Hochschule für Holzwirtschaft Biel oder die Pädagogischen Hochschulen.
Die dargestellte neue Struktur einer schweizerischen Hochschullandschaft lässt sich nicht verordnen. Sie kann lediglich durch subtile Steuerungsmechanismen in einer Wettbewerbsumgebung erreicht werden. Dazu ist zwischen dem Bund und den Kantonen ein Konsens über die zukünftige Ausrichtung der Hochschulen erforderlich. Die Rahmenbedingungen, aber auch die Steuerung des Hochschulsystems sind in einem Masterplan festzulegen.
Rasches Handeln tut not
Ein solcher Prozess dauert seine Zeit; die einzelne Hochschule kann aber schon heute versuchen, ihre Position im Hochschulmarkt zu definieren. Diese Positionierung muss auf den vorhandenen Stärken aufbauen und auf einer Bildungsmarktanalyse beruhen, da sie sich im Wettbewerb mit andern Anbietern befindet. Folgende stichwortartig aufgeführten Punkte gilt es dabei u. a. zu klären:
– die Ausrichtung (siehe oben);
– das Angebot (Studiengänge);
– die erwünschten Zielgruppen (Selektion der Studierenden);
– die Finanzierung (Studiengebühren, Dienstleistungen, Weiterbildungsangebote);
– die zu vergebenden Abschlüsse.
Die Chancen stehen gut, dass sich die Schweizer Hochschulen im neu entstehenden europäischen Hochschulraum durch Professionalität, Qualität und Leistungsfähigkeit an der Spitze positionieren können. Dazu ist aber rasches Handeln notwendig. Denn auch andere Länder haben gemerkt, dass die Zukunft eines Landes in der Bildung und im gut ausgebildeten Nachwuchs liegt. Wenn die Schweiz die sich jetzt bietende Entwicklungschance nicht nutzt, dann droht unserem Land der Abstieg in die zweite Bildungsliga.