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Wahl zwischen Misswirtschaft und Rassenhass

30 Jahre nach Ende der Apartheid in Südafrika dürfte der herrschende ANC erstmals die Mehrheit verlieren. Die Alternativen sind aber teilweise noch gefährlicher.

Wahl zwischen Misswirtschaft und Rassenhass
Im Freedom Park (Tshwane) wird das Logo «30 Jahre Freiheit und Demokratie» vorgestellt, 09.04.2024. Bild: GCIS, Flickr: GovernmentZA.

Ende April 1994 ging mit dem Wahlsieg des African National Congress (ANC) die Ära der Apartheid mit ihrem institutionalisierten Rassismus zu Ende. Der erste schwarze Präsident, Nelson Mandela, propagierte die «Regenbogennation», das nichtrassische Südafrika, und versprach «ein besseres Leben für alle». Von diesem Traum ist wenig bis nichts übriggeblieben. Der ANC hat das Land mit seiner sozialistischen Ideologie heruntergewirtschaftet in einem Mass, das sogar seine eigene schwarze Wählerschaft empört. Dass der ANC bei den Wahlen Ende Mai unter die 50-Prozent-Schwelle fallen wird, gilt als sicher.

Beginnen wir aber mit etwas Positivem: Millionen von schwarzen Südafrikanern geht es heute wesentlich besser als vor 30 Jahren. Man muss sich bloss in den grossen Einkaufszentren umsehen, um zu erkennen, dass die Käuferschaft heute im Gegensatz zu 1994, als sie noch rein weiss war, bunt gemischt ist. Das ist auch gut so. Dasselbe gilt für Universitäten und höhere Schulen, wo Schwarzen alle Karrieretüren offenstehen.

Emigration als Antwort auf Politikversagen

Doch es gibt auch Probleme, und zwar nahezu überall. Es ist zwar positiv, dass in drei Jahrzehnten eine schwarze Mittelklasse entstand, die sich schöne Häuser, elegante Autos und schicke Kleider leisten kann. Weniger schön ist, dass bei Bewerbungsverfahren nicht nur Weisse benachteiligt werden, sondern auch Farbige (Mischlinge) und die indischstämmigen Südafrikaner. Damit finden sich nicht alle Südafrikaner hellerer Hautfarbe ohne Weiteres ab. Lebten im Jahr 2000 – sechs Jahre nach dem Ende der Apartheid – rund 500 000 Südafrikaner im Ausland, waren es Ende 2020 fast doppelt so viele. Besonders beliebt als neue Heimat – vor allem bei Hochqualifizierten – sind Australien, Kanada, Neuseeland, die USA, Grossbritannien und Europa.

Parallel zur Affirmative Action im Arbeitsmarkt etablierte die ANC-Regierung das Black Economic Empowerment, d.h. die systematische Bevorzugung von schwarz kontrollierten Unternehmen (Firmen, bei denen mindestens 80 Prozent der Aktien, Managementposten und Stellen in den Händen von Schwarzen sind) bei allen öffentlichen Ausschreibungen. Das bedeutet im Klartext, dass eine weiss dominierte Firma niemals einen Auftrag von der öffentlichen Hand bekommt, ausser sie arbeitet mit einem sogenannten «tenderpreneur» (tender = öffentliche Ausschreibung) zusammen: Die «schwarze» Firma holt sich den Auftrag und beschäftigt einen «weissen» Subkontraktor mit der eigentlichen Arbeit. Da selbstredend alle etwas verdienen wollen, leidet die Servicequalität. Es entstehen zum Beispiel auf einer Strasse Schlaglöcher, kaum ist der Asphalt erkaltet, weil die Teerschicht gerade einmal zwei Zentimeter dick ist.

Misere der Staatsbetriebe

Die Erfolgsbilanz des ANC über drei Dekaden hinweg ist blamabel: Er hat praktisch sämtliche Staatsbetriebe an die Wand gefahren. Eskom, der staatliche Elektrizitätskonzern, sieht sich seit einigen Jahren gezwungen, die Stromversorgung quartierweise gezielt abzuschalten (bis zu 8 bis 10 Stunden pro Tag in zwei bis drei Intervallen), um einen chaotischen Zusammenbruch des Netzes zu verhindern. In einem ebenso erbärmlichen Zustand sind Eisenbahn und Häfen sowie die South African Airways, die seit Längerem konkursreif ist.

Wie konnte es so weit kommen? Das Hauptproblem ist, dass im neuen Südafrika nicht in erster Linie die Kompetenz zählt bei der Besetzung von Kaderpositionen, sondern die politische Vernetzung. Hinzu kommt, dass die neue Elite den Staat in einem derart unverschämten Mass als Milchkuh missbrauchte, dass dafür der Begriff «state capture» (Staatsplünderung) geprägt wurde. Besonders schlimm grassierte die Korruption unter Jacob Zuma, der von 2009 bis 2018 Präsident war.

«Das Hauptproblem ist, dass im neuen Südafrika nicht in erster Linie die Kompetenz zählt bei der Besetzung von Kaderpositionen,

sondern die politische Vernetzung.»

Neue Konkurrenz am linken Rand

Glaubt man den aktuellen Umfragen, dürfte der ANC bei den Wahlen am 29. Mai noch rund 40 Prozent der Stimmen holen (2019: 57,5 Prozent). Die Democratic Alliance (DA) steht bei 24 Prozent (2019: 20,8%), gefolgt von den Economic Freedom Fighters (EFF), die bei rund 11 Prozent verharren. Ein ähnlich hoher Wähleranteil wird für die neue Partei uMkhonto weSizwe (MK) prognostiziert.

Die gute Nachricht ist: Der ANC kann nicht mehr allein schalten und misswirtschaften, wie er will. Das grosse Aber folgt sogleich: Einzig die liberale DA wäre von ihrer politischen Ausrichtung her geeignet, das Land aus dem Sumpf zu reissen und vorwärtszubringen. Da die Partei jedoch als «weiss» wahrgenommen wird aufgrund ihrer Führungsstruktur, hat sie zumindest in den nächsten Jahren nur beschränktes Potenzial nach oben.

Was die EFF und MK angeht, so sind diese beiden linksextremen Parteien eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Julius Malema, ANC-Dissident und militanter Hetzer gegen alle Weissen, hätte seinen Wähleranteil vermutlich noch ausbauen können, wäre da nicht plötzlich Ende 2023 die MK-Partei aufgetaucht. Wenige Monate nach der Parteigründung kündigte Ex-Präsident Zuma an, dass er MK unterstütze. Durch seine enorme Popularität bei der bevölkerungsstärksten Ethnie, den Zulus, wirkt er für MK wie ein Nachbrenner und für die EFF wie ein Bremsfallschirm.

Im Moment sieht es danach aus, dass der ANC die Wahl hat zwischen einer Koalition mit der DA oder einer mit entweder EFF oder MK oder beiden. Im ersten Fall wäre die DA der Juniorpartner mit einer Mitverantwortung für kommende Misserfolge, im zweiten Fall müsste der ANC Kompromisse zugunsten der klar linksextremen Juniorpartner machen.

Weit entfernt von Mandelas Vision

Weshalb die EFF so gefährlich ist, zeigte sich etwa vergangenes Jahr an einer Parteiveranstaltung in einem Fussballstadion. «Schiesst, um zu töten! Tötet den Buren!», rief Julius Malema ins Mikrofon, während er einen politischen Protesttanz aufführte. Und er fuhr fort: «Ihr dürft euch nie davor fürchten, zu töten. Eine Revolution verlangt, dass an einem bestimmten Punkt getötet wird. Denn das Töten ist Teil eines revolutionären Akts.» In einem Fernsehinterview auf diese Aussagen angesprochen, sagte er: «Wir haben nicht zum Töten der Weissen aufgerufen», um sogleich zu relativieren: «Mindestens für den Moment.» Dann wurde er wieder bedrohlich: «Wenn die Dinge weiterhin so laufen wie jetzt, dann wird es in diesem Land eine Revolution geben, das kann ich garantieren.»

Wenn ein Politiker in einem westeuropäischen Land auf diese Art den Rassenhass schüren würde, hätte er umgehend die Polizei oder den Inlandgeheimdienst oder beide am Hals. Nicht so in Südafrika. Hier haben die Uhren schon immer anders getickt. Und nur nebenbei: Führende Exponenten des ANC wie übrigens auch der frühere Staatspräsident Jacob Zuma haben den alten Spruch aus Anti-Apartheid-Kampfzeiten «Kill the farmer, kill the Boer» ebenfalls schon benutzt. Zur Rechtfertigung hiess es jeweils, diese Aussage sei nicht wörtlich, sondern im übertragenen Sinn zu verstehen.

1994 wurde Nelson Mandelas neues Südafrika von der ganzen Welt bewundert für die Entschärfung eines historischen Konflikts, der auch wesentlich blutiger hätte enden können. Der erste schwarze Präsident hatte die Vision eines nichtrassischen Staats mit gleichen Chancen für alle. Von diesem Traum ist das Land weiter entfernt denn je. Kommt hinzu, dass die ANC-Regierung die weitaus beste Infrastruktur des Kontinents (Verkehr, Telekommunikation, Stromproduktion usw.) an den Rand des Ruins getrieben hat durch grassierende Inkompetenz und Korruption. Der amtierende Präsident Cyril Ramaphosa konnte in seinen ersten fünf Amtsjahren keine Wende zum Besseren anstossen. Ob er dies im Rahmen einer Koalitionsregierung schafft, ist alles andere als sicher.

«Der erste schwarze Präsident hatte die Vision eines nichtrassischen Staats mit gleichen Chancen für alle. Von diesem Traum ist

das Land weiter entfernt denn je.»

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