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Spiel mit dem Feuer

Unter dem Damoklesschwert der Initiative «No Billag» ist keine ernsthafte Debatte über den Service public möglich. Vier Szenarien zu den Folgen der Abstimmung.

Spiel mit dem Feuer
Nina Fargahi, zvg.

Sein oder nicht sein, das ist die Frage. Die Existenzfrage, die sich der SRG in der Abstimmung «No Billag» am 4. März 2018 stellt, könnte knapp entschieden werden. Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass die Debatte weitgehend am Kern der Vorlage vorbeigeht. Sowohl Befürworter als auch Gegner der Initiative beschäftigen sich vor allem mit inhaltlichen und marktbezogenen Fragen rund um die SRG: Was gehört zum Service public, und was nicht? Die einen erhoffen sich mehr Spielraum im Markt. Die anderen haben politische Motive, die SRG einzuschränken oder abzuschaffen. In der Debatte wird vor allem darüber gestritten, was die SRG tun und lassen soll: Diskutiert werden Programmgestaltung, Internetauftritt, Werbung, Anzahl Mitarbeitende, politische Verortung und so weiter. Jeder und jede stellt sich vor dem Hintergrund der Initiative sein gewünschtes und ganz persönliches Lieblings-SRF zusammen.

Viele Akteure beziehen aus strategischen Gründen keine klare Haltung. Sie zündeln, ohne das Haus abbrennen zu wollen. «Wir sind zwar gegen ‹No Billag›, aber…», lautet der viel gehörte und gelesene Relativismus vor allem seitens der privaten Verleger. So schreibt Peter Wanner, der Verleger der AZ Medien: «Hier soll nicht ein Plädoyer gehalten werden für eine Abschaffung der SRG. Aber um eine erhebliche Redimensionierung dieses monopolistischen Giganten wird man nicht herumkommen.»1 Oder: der Westschweizer Verlegerverband hat zwar am 13. November die Nein-Parole zu «No Billag» verfasst, aber gleichzeitig einen Forderungskatalog2 aufgestellt, in dem er zum Beispiel den Austritt der SRG aus der Werbeallianz Admeira verlangt.

Oft ist das Argument zu hören, wonach die SRG nicht auch das machen müsse, was der Markt leisten könne. Das würde allerdings auch bedeuten: keine Nachrichten mehr, kein Wetterbericht mehr, keine Talks mehr, keine Abstimmungssendungen mehr. Natürlich können Private diese Sendungen produzieren: zum Beispiel liefert Tele Züri mit beschränkten Mitteln gute Inhalte. Aber wenn es nur dieses Angebot gäbe, könnte den Erwartungen des Publikums Rechnung getragen werden? Wohl kaum. Denn ohne Einbussen in der Qualität sind solche Angebote nicht zu bewerkstelligen. Gerade Informationssendungen müssten zum Beispiel ohne Korrespondenten auskommen, oder es müssten sonst irgendwie die Fixkosten gedrückt werden, um kein Verlustgeschäft einzufahren. Dominik Kaiser, der Gründer des privaten Fernsehkanals 3+, sagte in einem Interview mit dem «Punktmagazin», dass er nur Erfolg gehabt habe, weil er auf Informationssendungen verzichtet habe.

Auch das umgekehrte Argument, wonach Gebühren nicht für Sendungen eingesetzt werden sollten, die das breite Publikum nicht interessieren, ist wackelig: Wenn die SRG nur Nachrichten, Wetterberichte, Talks und Abstimmungssendungen produzieren würde, wer würde einen Dokumentarfilm über Demenzkranke bringen, oder über die Geheimnisse der Tiefsee? Wer würde die Themen aufgreifen, die bewegen, obwohl sie nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen? Wer würde die kleinen Sprachregionen, wie die rätoromanische Schweiz, mit Radio- und Fernsehprogrammen beliefern?

Diese Debatten, die in vollem Gang sind, sollen und müssen geführt werden. Vergessen geht dabei aber, dass bei einer Annahme der Initiative diese Diskussionen vergeblich geführt worden wären. Weil es bei einer Annahme der Initiative keine SRG mehr gäbe. Die No-Billag-Initiative stellt also keine geeignete Grundlage dar, um über den Inhalt des Service public zu diskutieren. Eine wirklich ernst zu nehmende und inhaltliche Debatte muss im Rahmen der Revision des Mediengesetzes geführt werden. Dies wird Mitte nächsten Jahres der Fall sein, wenn der Bundesrat den Vernehmlassungsentwurf vorlegt. Die Stimmbevölkerung entscheidet also am 4. März 2018 darüber, ob sie staatlich finanziertes und unabhängiges Radio und Fernsehen mit einem verfassungsmässigen Auftrag will oder nicht. Es geht dabei schlicht um die Existenz der SRG. Deren Präsident Jean-Michel Cina sagte in der «Arena», man werde den Verein bei einer Annahme «geordnet liquidieren».

Im folgenden wird versucht, vor dem Hintergrund eines möglichen Ausgangs der Initiative verschiedene Szenarien aufzuzeigen:

Szenario 1: deutliche Annahme

Ein klares Ja ist das Ende der SRG in ihrer jetzigen Form. Auch 34 verschiedene Lokalradios und regionale Fernsehstationen sind schwer getroffen und müssen mehrheitlich den Betrieb einstellen, da sie sich grossenteils über Gebührengelder finanzieren. Der SRG-Mediensprecher Edi Estermann geht davon aus, dass über 13 000 Vollzeitstellen direkt oder indirekt bedroht seien.

Dass sich die SRG, so wie wir sie kennen, durch «freiwillige Beiträge» finanzieren kann, ist illusorisch und irreführend: Die Gebühren dienen ja auch dazu, durch Umverteilung die «finanzschwachen» Sprachregionen mit Radio- und Fernsehprogrammen zu beliefern, weil diese sich ansonsten keine qualitativ hochstehenden Informations-, Kultur- und Sportsendungen leisten könnten. Allein am Markt lassen sich solche Programme nicht für alle vier Sprachregionen finanzieren, weil die Schweiz dafür zu klein ist. Darin sind sich alle einig. Auch einzelne Sendungen wie beispielsweise die «Tagesschau» können kommerziell nicht überleben, wie das oft von den Billag-Gegnern dargestellt wird. Die horrend teuren Produktionskosten werden kaum vom Markt eingespielt werden. Auch einzelne beliebte Sendeformate können nicht mit der gleichen Qualität fortgeführt werden.

Dieses Szenario öffnet Tür und Tor für mächtige Investoren, die nicht primär aufgrund der Wirtschaftlichkeit der Informationsdienstleistungen in die Bresche springen, sondern vor allem, um politische Einflussnahme auszuüben. Der unabhängige Journalismus ist bedroht oder bleibt schlimmstenfalls gänzlich auf der Strecke, wie sich das etwa anhand zahlreicher US-Fernsehstationen aufzeigen lässt: Viele amerikanische Nachrichtenmedien richten ihre Berichterstattung nicht am öffentlichen Bedürfnis einer ausgewogenen und unabhängigen Berichterstattung aus, sondern am kommerziellen Profitstreben oder an politischen Zwecken. So wird oft über die Politik berichtet, als sei sie ein unterhaltsames Spektakel. Einer informierten und kritischen Öffentlichkeit kann auf diese Weise kaum Rechnung getragen werden.

Eine deutliche Annahme von «No Billag» ist ein Zeichen dafür, dass es die SRG nicht braucht. Dieses Szenario ist denn auch eher unwahrscheinlich.

Szenario 2: deutliche Ablehnung

Wird die Initiative deutlich abgelehnt, bedeutet das, dass die Schweizer Stimmbevölkerung hinter der SRG steht. Sehr wahrscheinlich kommt dann in wenigen Jahren eine neue Vorlage vors Stimmvolk, die die Medienabgabe pro Haushalt und Jahr auf maximal 200 Franken beschränkt. Akteure, denen «No Billag» zu radikal ist, dürften sich eher auf diese Initiative einlassen. Wie zum Beispiel der Wirtschaftsverband Economiesuisse, der bereits den SVP-Gegenvorschlag unterstützt hatte. Möglicherweise wird die Halbierungsinitiative Sand im Getriebe der Debatte um die Mediengesetzrevision sein.

Anfänglich wurden der aus dem Kreis der Jungen SVP und sonstigen Libertären stammenden No-Billag-Initiative kaum Chancen eingeräumt. Mittlerweile scheint auch aufgrund des hauchdünnen Ausgangs der Abstimmung zum RTVG im Jahr 2015 die Meinung vorzuherrschen, dass es knapp werden könnte, was zu den folgenden Szenarien führt.

Szenario 3: knappe Ablehnung

Dieser Ausgang ist ein Schuss vor den Bug der SRG. Es muss dann genau abgeklärt werden, aus welchen Gründen eine knappe Annahme zustande gekommen ist: wer in welchen Sprachregionen, in welcher Bevölkerungsschicht, mit welchem Geschlecht und Hintergrund hat aus welchen Motiven so und nicht anders abgestimmt? Immerhin besteht bei einer knappen Annahme die Möglichkeit, eine politische Diskussion zu führen. Weil es die SRG, wie wir sie kennen, dann ja noch gibt.

Die Vermutung liegt nahe, dass sich etwa der Verband Medien Schweiz (VSM) solch ein hauchdünnes Resultat wünscht und sich deshalb ambivalent zeigt. Die Abschaffung der SRG will der VSM nicht, denn ein Teil seiner Mitglieder lebt schliesslich von Gebührengeldern aus dem Billag-Topf. Ein knappes Resultat jedoch könnte als Unmut in der Bevölkerung gedeutet werden und so eine Legitimationsgrundlage für Forderungen liefern, die SRG in wesentlichen Bereichen zurückzustutzen. Diese Forderungen zielen auf das neue Mediengesetz ab, das derzeit im Bundesamt für Kommunikation (Bakom) ausgearbeitet wird und Mitte 2018 in die Vernehmlassung geht. Darin vorgesehen ist, dass der Bund neu Online-Medien mit einer direkten Medienförderung unterstützt. Über den Stand der Arbeit macht das Bakom auf Anfrage keine Angaben. Lediglich die NZZ stützt sich auf Auskünfte aus der Kommission und schreibt, dass von einer freien Wahl des Mediums die Rede sei, also konkret die Verbreitung über Fernsehen, über Radio oder aber auch online.

Szenario 4: knappe Annahme

Auch eine knappe Annahme hat zur Folge, dass die SRG in
ihrer heutigen Form am Ende ist. Jedoch mit dem Unterschied zum ersten Szenario, dass sich in der Bevölkerung grosser Unmut über das Ergebnis breitmachen wird. Eine Diskussion über die medienpolitischen Aufgaben der SRG nach einem solchen Ergebnis ist – anders als in Szenario 3 – kaum mehr möglich, es entsteht ein medienpolitisches Chaos. Daniel Binswanger hat die Situation im «Magazin» mit dem Brexit-Referendum in Grossbritannien verglichen. Nach dem Brexit machten sich die Gewinner als erste aus dem Staub, weil sie keine echten Lösungen parat hatten. Oder wie Winston Churchill sagte: «Das Problem bei politischem Selbstmord besteht darin, dass man weiterlebt, um ihn zu bereuen.»


1  «SRG-Zukunft: Marktversagen oder Staatsbehinderung?» von Peter Wanner. In: Schweiz am Wochenende vom 28.10.2017.
2  http://www.mediassuisses.ch/Prise-de-position-de-Medias.html

 

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