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Operation Freiheit

Laura Zimmermann (Operation Libero) und Simon Scherrer (up!schweiz) sehen sich beide als Teil des liberalen Spektrums. Ihre Organisationen vertreten darin aber verschiedene Pole. Ein Streitgespräch.

SVP-Nationalrat Claudio Zanetti hat mal getwittert: «Die @operationlibero ist eine Gruppe linker Jugendlicher, die sich nicht getrauen, ihren Eltern zu sagen, dass sie links sind.» Ist das zutreffend?

Laura Zimmermann: Wir sind weder links noch rechts, wir sind progressiv. Und progressiv bedeutet für uns gesellschaftsliberal – aber auch wirtschaftsliberal.

Ich habe gestern mit einem jungen Mann geredet, der sich ganz klar als Liberaler sieht – die Marktwirtschaft aber ablehnt. Gehört er zu eurem Zielpublikum?

Laura Zimmermann: Eine solche Haltung ist für mich nicht vereinbar mit liberalen Grundsätzen. Unsere Mitglieder, und ich glaube, ich kann hier wirklich für alle sprechen, lehnen die Marktwirtschaft nicht ab.

Simon Scherrer: Die Basis des Liberalismus ist die individuelle Freiheit, im Wirtschaftsleben wird sie von der freien Marktwirtschaft abgebildet. Sie erlaubt den Menschen, ohne die Anwendung von Zwang und Gewalt frei miteinander interagieren zu können. Wenn man sich von der Marktwirtschaft entfernt und sich dem Interventionsstaat annähert, ist das weniger liberal.

Von den Medien wurden Liberale in den letzten Jahren oft als die mit den kalten Herzen dargestellt, als böse Egoisten, die nur an ihre eigene Bereicherung denken. Heute ist «liberal» eine Selbstbeschreibung, die viele junge Schweizer mit Begeisterung für sich nutzen. Wie ist es zu diesem Boom gekommen?

Laura Zimmermann: Liberal sein ist en vogue, selbst Christoph Blocher denkt von sich, er sei liberaler als die Liberalen. Entscheidend ist, was man unter Liberalismus versteht: Nur in einer freien Gesellschaft ist es möglich, das Individuum und seine grösstmöglichen Chancen ins Zentrum zu stellen. Damit es diese Freiheiten verwirklichen kann, benötigt es staatliche Institutionen.

Simon Scherrer: Na ja. Die Operation Libero ist in ihrem Milieu sehr en vogue, also bei jungen, gut ausgebildeten Städtern, die nicht sehr staatskritisch sind. Sie hat ein punktuelles Programm, mit dem sich viele identifizieren können. Hauptsächlich geht es darum, Angriffe gegen den Rechtsstaat und Rufe nach Abschottung seitens der SVP abzuwehren.

Laura Zimmermann: Ich widerspreche: von einem eigentlichen Milieu unserer Anhängerschaft kann man nicht sprechen. Wir haben vom Schreiner über den Akademiker bis zum Rentner oder zum Studenten Zuspruch von verschiedenster Seite.

Wenn wir den Schweizer Staatsapparat als Minimalstaat denken – was muss er mindestens anbieten?

Simon Scherrer: Er soll vor allem den physischen Schutz des Individuums garantieren, das heisst: Polizei, Justiz, Armee. Was darüber hinaus hinzukommt, kann diskutiert werden. Mit einer minimalen Sozialhilfe etwa könnte ich gut leben, aber nur für Personen, die wirklich am Rande der Existenz stehen. Und mit Investitionen in Bildung – diese allerdings müssen nicht zwingend staatlich organisiert werden. Wir verstehen uns als klassische Liberale in der Tradition von Adam Smith, John Locke oder Ludwig von Mises. Die Betonung liegt auf dem Abwehrrecht gegenüber dem Staat und der individuellen Selbstbestimmung gegen Übergriffe der Obrigkeit, ganz egal, wie die gerechtfertigt werden.

Laura Zimmermann: Die Frage für uns lautet: «Wann muss der Staat sich einschalten, um die Freiheiten des Individuums zu ermöglichen, und wie soll er das machen?» Wenn Simon Scherrer eine minimale Sozialhilfe fordert, dann geht er davon aus, dass diese jenen zugutekommt, die hier wohlhabend geboren sind. Bei jenen, die in die Schweiz einwandern, ist das aber nicht so; der liberale Grundsatz der Rechtsgleichheit ist mir hier wichtiger. Ausserdem würde es meinem grundliberalen Verständnis widersprechen, wenn schwächere Personen aufgrund von ausbleibenden Sozialleistungen auf der Strasse landen würden.

UP will das doch aber auch nicht.

Simon Scherrer: Der Staat soll auf jeden Fall das physische Existenzminimum gewähren.

Laura Zimmermann: Wenn man das Individuum ins Zentrum stellt, benötigt es gerade im Sozialversicherungsbereich mehr staatliche Interventionen. Nur so ist Rechtsgleichheit möglich, nur so können sich alle Menschen gleichermassen verwirklichen.

Wo kann der Staat aus Sicht der Operation Libero zurückgebaut werden?

Laura Zimmermann: Wenn ein in seiner Heimat verfolgter Mensch bei uns Schutz sucht, dann trifft er auf ein extrem reguliertes Verfahren, das davon ausgeht, dass Migration grundsätzlich verboten und nur ausnahmsweise erlaubt ist. Hier müssen Regulierungen abgebaut werden: die Menschen sollen sich rasch in die Gesellschaft, in den Arbeitsmarkt integrieren können.

Es gibt keine Partei, die gegen den Abbau von unnötigen Regulierungen einsteht – und doch wird der Staat immer ausgebaut. Nochmals die Frage: welche staatlichen Leistungen braucht es nicht?

Laura Zimmermann: Die Landwirtschaftssubventionen können so weit gestrichen werden, als die Versorgungssicherheit gerade noch garantiert ist. Aber mir geht es gar nicht primär um die Frage, welche staatlichen Leistungen abgebaut werden können. Viel wichtiger ist, festzustellen, wo die Grundfreiheiten des Individuums durch staatliche Institutionen oder durch die Demokratie eingeschränkt werden.

Der Staat also soll für meine individuelle Verwirklichung aufkommen?

Laura Zimmermann: Die Freiheiten und Chancen des Individuums können nur mit dem Staat gewährleistet und geschützt werden.

Simon Scherrer: Wir haben es hier mit einem unterschiedlichen Freiheitsbegriff zu tun. Operation Libero geht von einem positiven Freiheitsbegriff aus: «Freiheit ist es, möglichst viele Möglichkeiten und Chancen zu haben – die Rechnung dafür muss notfalls von anderen übernommen werden.» UP geht von einem negativen Freiheitsbegriff aus: «Freiheit ist die Abwehr von Übergriffen durch den Staat.» Deshalb fehlt bei Operation Libero das, was wir vertreten, nämlich die grundsätzliche Kritik an Steuern, Regulierungen, Subventionen.

UP sei nicht kompromissbereit und habe deswegen auch keine Wahlchancen, sagten mir viele, als ich mich über die Partei erkundigte. Sie nehme lediglich den anderen liberalen Parteien wichtige Stimmen weg. Ist das zutreffend?

Simon Scherrer: So viele Stimmen haben wir den anderen bei den letzten Wahlen nicht weggenommen (lacht). Wir sind durchaus kompromissbereit, aber im Gegensatz zur FDP haben wir den Kompromiss nicht bereits im Wahlprogramm festgeschrieben.

Laura Zimmermann: Man könnte auch sagen: Bei UP stehen die Dogmen des klassischen Liberalismus im Zentrum, nicht ihre praktische Umsetzbarkeit.

Fassen wir zusammen: Der Liberalismusbegriff von UP ist so eng, dass er kaum anschlussfähig ist – noch nicht ein UP-Kandidat wurde gewählt. Der Liberalismusbegriff von Operation Libero dagegen ist so anschlussfähig, dass er beliebig ist. Trotzdem ist UP eine Partei und Operation Libero eine Bewegung – müsste es nicht genau umgekehrt sein? Also UP eine Bewegung und Operation Libero eine Partei?

Laura Zimmermann: Wir sind als Bewegung sehr gut aufgestellt, so können wir auch jenen Parteien auf die Füsse treten, die sich liberal schimpfen, ohne jedoch ein Programm aufstellen zu müssen, damit wir gewählt werden. Unsere Mitglieder sind vom rechten Flügel der SP bis zum progressiven Flügel der FDP zu verorten, auch Anhänger der BDP und der GLP sind dabei. Wir haben viele Parteimitglieder unter unseren Mitgliedern. Für mich persönlich wäre Parteipolitik nichts: es geht uns darum, das Chancenland Schweiz progressiv verwirklichen zu können.

Simon Scherrer: Wir sind eine Partei mit Bewegungscharakter, die versucht, liberale Ideen in die öffentliche Diskussion einzubringen. Viele der UP-Gründungsmitglieder kommen aus den Reihen der Jungfreisinnigen. Doch wir fanden die Aussicht, uns in der Folge beim Supertanker FDP zu engagieren, sehr unbefriedigend. Erstens ist die FDP zu inkonsequent: sie verfolgt zu oft eigene Interessen oder solche von Verbänden. Zweitens ist die FDP viel zu defensiv: sie versucht nur, neue Freiheitseinschränkungen abzuwehren, und nicht, mehr Freiheit zu gewinnen.

Wie geht es euch als jungen Menschen – fühlt ihr euch von den Liberalen in Bern vertreten? Wenn ja, von welchen?

Simon Scherrer: Aus Jungfreisinnigen sind gute Nationalräte geworden: Andrea Caroni etwa oder Philippe Nantermod. In vielen, wenn auch nicht in allen Punkten stimmen wir auch überein mit einem Lukas Reimann von der SVP.

Laura Zimmermann: Ich unterstütze etwa die Vorschläge der BDP zum Vaterschaftsurlaub oder die Forderungen von Tiana Angelina Moser der Grünliberalen zur Europapolitik. Auch die stoische Ruhe, mit der Kurt Fluri von der FDP pragmatische, grundliberale Anliegen vertritt, beeindruckt mich.

Welche Ziele verbinden euch als Liberale?

Beide (nach einer längeren Diskussion): Am ehesten einigen können wir uns auf den Erhalt der Rechtsstaatlichkeit, der liberalen Marktwirtschaft und der Offenheit.

Würdet ihr euch als Kapitalisten bezeichnen?

Beide: Ja.

Wie wichtig sind euch liberale Vordenker wie Adam Smith, Friedrich August von Hayek, Milton Friedman?

Simon Scherrer: Ich bin tatsächlich über Milton Friedman zum Liberalismus gekommen. Man erreicht aber nicht viel, wenn man nur einfach Zitate dieser grossen Denker auf Facebook teilt. Man muss ihre Gedanken vielmehr so übersetzen, dass sie im heutigen Diskurs verstanden werden. Sie sind Inspirationsquelle, keine Götter.

Laura Zimmermann: Nicht vergessen sollte man auch die philosophischen Vordenker, die im Bereich Rechtsphilosophie die Grundlagen gelegt haben, wie beispielsweise John Stuart Mill. Ich halte es aber nicht für zwingend notwendig, alle grossen Denker gelesen zu haben, um sich für eine liberale Politik einzusetzen.

Wie finanziert ihr euch?

Laura Zimmermann: Wir betreiben Fundraising und sind zu 100 Prozent via Crowdfunding finanziert. Bei über 90 Prozent davon handelt es sich um Kleinspenden. Als Kleinspenden gelten bei uns alle Beiträge bis zu 250 Franken.

Simon Scherrer: Wir finanzieren uns über freiwillige Zuwendungen unserer Mitglieder oder Sympathisanten. Ein Crowdfunding haben wir noch nicht versucht.

Der Schriftsteller Thomas Hürlimann beklagte in der «NZZ am Sonntag», dass die Schweizer in «einer absolut unfruchtbaren Dauerdebatte über die EU stecken und dabei völlig erstarrt sind». Er forderte «neue Ziele», nannte aber keine. Was sind eure Ziele für die Schweiz, und wie erreicht ihr sie?

Simon Scherrer: Mich gruselt es bei «Zielen für die Schweiz», das klingt so, als müssten wir für alle Bürger der Schweiz Ziele vorsetzen. Mein vordringlichstes Ziel ist es, dass jeder eigene Ziele setzen und seinen Lebensweg möglichst ohne Einschränkungen gehen kann. Um das zu erreichen, muss der Trend zu weniger Freiheit gestoppt werden. Denn mehr Besteuerung und mehr Regulierung bedeutet immer auch, dass die Freiräume, in denen Innovation stattfinden kann, eingeschränkt werden. Mit dem Energiegesetz, mit der Mediensteuer oder mit den Netzsperren geschieht das aktuell, unterstützt von den etablierten Parteien. Wir wollen diesen Trend nicht nur stoppen, sondern umkehren. Deshalb denken wir auch nach über grundlegende Reformen unserer Vorsorge- und Gesundheitssysteme.

Laura Zimmermann: Das wichtigste Ziel für die Schweiz ist eine nachhaltige Europapolitik. Weiter angestrebt werden sollte eine pluralistische Gesellschaft mit einer Vielfalt an Lebensformen. Dazu müssen Hürden abgebaut und gleiche Rechte und Chancen für alle eingeräumt werden: Alle erwachsenen Menschen hierzulande sollen wählen und abstimmen dürfen, sollen miteinander eine Ehe eingehen dürfen, sollen Kinder adoptieren können. Auch vielfältige Familienformen, also das Wohl von Mann und Frau, sollen mit der Möglichkeit der Elternzeit und der Teilzeitarbeit unterstützt werden. Dringend angepackt werden muss auch die Reform der Altersvorsorge.

Was habt ihr beim Energiegesetz abgestimmt?

Laura Zimmermann: Das fällt unter das Abstimmungsgeheimnis.

Simon Scherrer: Ich habe ein Positionspapier zum Energiegesetz geschrieben und es deshalb mit Überzeugung abgelehnt.

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So nonkonform dann aber auch nicht: «Mohawks», photographiert 1998 in Rotterdam von Ari Versluis & Ellie Uyttenbroek. Aus der Reihe «Exactitudes», Nr. 18.
Anarchy in the CH!

Wie die Liberalen in der Schweiz 1848 den Liberalismus abschafften, und warum die Besinnung auf anarchistische Wurzeln ihnen auch 2017 gut täte.

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