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Schutz vor dem Newsgewitter
Daniel Sauser, zvg.

Schutz vor dem Newsgewitter

Seit ich gemerkt habe, dass ich mich nicht den ganzen Tag mit News bombardieren lassen muss, haben sich meine Gefühlslage und mein Alltag verbessert.

Es ist sieben Uhr morgens. Mein Radiowecker erfüllt seine Pflicht; die Lautstärke nimmt langsam zu. Das Newsgewitter holt mich definitiv aus dem Schlaf: Der Tag beginnt mit Krieg, Terror, Menschen auf der Flucht, Erdbeben, Erderwärmung, Fischsterben, Geschlechterkampf, übervollen psychiatrischen Kliniken, Staumeldungen und Dollarkursen. Das Wort Krise zähle ich in fünf Minuten zwölfmal.

Mein Informationskonsum begann irgendwann in den 1970er-Jahren. Seit 50 Jahren also lese, höre und sehe ich News. Als Kind am Familientisch, 12.30 Uhr, Mittagsinformationen, alle horchten aufmerksam. Später immer mal tagsüber, heute permanent durch ziellosen Internetkonsum. Tag und Nacht informieren mich nicht nur professionell Publizierende, sondern auch Smartphone-Freunde, von denen ich oft nur den Namen und ein Bildchen kenne.

Dabei werden in der Berichterstattung fragwürdige Prioritäten gesetzt: Die Diskussion über abgeschossene Spionageballons in den USA und in Kanada etwa hält Medienschaffende lange Zeit in Atem. Eine fundierte Aufarbeitung über den unverschämt hohen Gaspreis, in der Schweiz fakturiert vom regionalen Gasverteiler, findet hingegen nicht oder nur sehr zögerlich statt, obwohl der Preis auf dem Weltmarkt vom Hoch im letzten Jahr bereits wieder 80 Prozent abgegeben hat.

Sie kennen den Satz «Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin», der Carl Sandburg oder Bertolt Brecht zugeordnet wird. Von einem News-Kritiker umgeschrieben könnte der Satz wie folgt lauten: «Stell dir vor, es ist Krieg, und du erfährst es nicht.» Ich frage mich, inwiefern es wirklich notwendig ist, dass die Schweizer Bevölkerung auf täglicher Basis vom Frontverlauf erfahren muss.

Inmitten der schrecklichen Geschichten aus der Ukraine versuchen einige Opportunisten eine vorteilhafte Inszenierung: Es gibt Politiker, die sich in den Nachrichten werbewirksam in den noch nicht zerbombten Regionen der Ukraine zeigen – ohne damit auch nur den geringsten sichtbaren Nutzen zu erzielen. Das Blutvergiessen geht weiter, und immerhin können sich westliche Politiker im Newsgewitter im vorteilhaften Kleid ablichten.

Aus der jüngeren Mediengeschichte lassen sich wiederkehrende Muster ablesen. Zum einen ist da die einseitige Berichterstattung, mit der Journalisten die Realität abbilden: Das Morden in Vietnam wurde zunächst medial breit unterstützt. Mit selektiven Informationen versuchten amerikanische Medienhäuser nach der Teilung Vietnams zwischen 1954 und 1975 die Berichterstattung in regierungstreue Wege zu leiten. Ein zweites Muster ist die intensive Dauerberieselung: Kriege in Libyen, im Irak, in Syrien und der menschenverachtende Überfall Russlands auf die Ukraine standen und stehen uns im Sekundentakt in Text, Bild und Ton zur Verfügung. Ein Erdbeben in der Türkei und Syrien findet live auf unseren Bildschirmen statt. Oft folgt die Berichterstattung dabei der Form der Gauss’schen Verteilung: Zuerst gibt es ein Emporschnellen, um bald wieder in Fatalismus zu verebben. In Anbetracht dessen ist es bemerkenswert, mit welchem Eifer sich Medienschaffende auch ein Jahr nach Kriegsausbruch mit der Ukraine beschäftigen.

Ich will die Scheidung vom Newsalltag und nehme mir seit kurzem das Recht, News, also unwichtige, flüchtige Nachrichten, nicht mehr oder sehr restriktiv zu konsumieren. Ich tue das ohne schlechtes Gewissen, denn der unsichtbare, mich permanent umgebende Schleier von Negativnews zieht mich runter und beeinflusst meine Gemütslage negativ. So bewahre ich die Lebenskraft für meine Familie, Mitarbeiter und Freunde. Anstelle der hektischen täglichen Mikroinformationen freue ich mich auf Wochen- und Monatspublikationen.

Mein Alltag ohne vermeintliche Experten in den News­kanälen hat eine positive Wendung genommen: Das Wetter wird wieder direkt spürbar, das Wochenende ist länger geworden, meine Gedanken scheinen bereits etwas ordentlicher. Es bleibt Zeit, den Menschen zuzuhören. Das sind positive Veränderungen in meiner bescheidenen und persönlichen Welt.

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