
Zurück zur Wehrpflicht und zum Milizsystem
Die Armee muss finanziell und personell besser dotiert und das Waffenrecht wieder freier werden. Für die Verteidigungsfähigkeit langfristig am wichtigsten ist aber die Pflege des Milizgedankens.
Ist die Schweiz überhaupt verteidigungsfähig? Derzeit nur bedingt. In den letzten drei Jahrzehnten wurde das Budget für das Militär stark heruntergefahren. Die heutige Armee ist deshalb in einem besorgniserregenden Zustand und könnte in einem Verteidigungskrieg nur wenige Wochen durchhalten. Gleichwohl verfügt die Schweizer Armee dank des Milizprinzips über gewichtige Trümpfe, die sie künftig wieder verstärkt ausspielen muss – für die Sicherheit unseres Landes und seiner Bevölkerung.
Das 175-Jahr-Jubiläum des Bundesstaats sollte die Schweiz zum Anlass nehmen für die Rückbesinnung auf ihre ureigenen Werte und Traditionen. Seit der Gründung des Bundesstaats im Jahr 1848 ist die allgemeine Wehrpflicht in der Bundesverfassung (BV) verankert, seit 1999 in Artikel 58: «Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.» Mehr als einmal wurde über die Abschaffung der Armee respektive des militärischen Milizprinzips debattiert, das Ansinnen blieb jedoch stets chancenlos. Der Souverän lehnte die Aufhebung der allgemeinen Wehrpflicht letztmals im Jahr 2013 mit über 73 Prozent Nein-Stimmen ab. Trotzdem steht die Wehrpflicht heute de facto auf dem Prüfstand – und mit ihr das Schweizer Milizsystem.
Das Milizsystem, das mit der Wehrpflicht untrennbar verknüpft ist, gehört zum Fundament der Schweizer Beteiligungsdemokratie, zusammen mit der direkten Demokratie, dem Föderalismus, der bewaffneten Neutralität und der Konkordanz. Das Milizprinzip reicht zurück auf den bereits in der Antike entwickelten Gedanken der Einheit von Bürger und Soldat. Es ist ein Grundpfeiler unseres freiheitlichen Staatswesens, das primär dem gemeinschaftlichen Schutz von Land und Leuten dient. Der typisch schweizerische Begriff «Milizsystem» (lat. militia) umfasst das Recht auf Mitbestimmung im Gemeinwesen, vereint mit der Pflicht, dieses zu verteidigen. Das Milizsystem bildet die Basis unserer Widerstandskraft, woraus sich die schweizerische Milizarmee ableitet. Diese geht auf die Aufgebote in den eidgenössischen Orten im Spätmittelalter zurück.
Seit dem 19. Jahrhundert kann die Milizarmee als die Demokratisierung des Gewaltmonopols verstanden werden, indem die mündigen Bürger in Uniform das freiheitliche Staatswesen mit der Waffe schützen. Die Armee profitiert dabei von der zivilen Bildung und den beruflichen Erfahrungen der Soldaten. Miliz bedeutet Professionalität – dies umfasst auch die Fähigkeit zum kritischen Mitdenken der Bürger in Uniform. Eine tragende Rolle für die Bewahrung und Förderung des Milizsystems nehmen die nationalen, föderal geprägten Milizorganisationen des Landes ein, wie etwa der Verband militärischer Gesellschaften Schweiz (VMG) oder die Schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG). Sie bezwecken unter anderem die Unterstützung der ausserdienstlichen Tätigkeiten und – als Stimme der Miliz – die Wahrung der Interessen ihrer Mitglieder im Rahmen der schweizerischen Sicherheits- und Armeepolitik.
Revision des Dienstpflichtmodells ist dringend
Die personelle Alimentierungsproblematik bei der Armee und beim Zivilschutz ist eklatant und dramatisch. Wehrpflicht und Milizsystem stossen an Grenzen. Jedes Jahr verliert die Armee rund 7000 Soldaten, was in etwa einer Brigadestärke entspricht. Sorge bereiten vor allem die übermässig starken Abgänge in den Zivildienst. Grund dafür ist die faktische Wahlfreiheit zwischen Militär- und Zivildienst. Diese hat sich seit der Abschaffung der Gewissensprüfung 2009 gesellschaftspolitisch etabliert. Nur: Der Zivildienst ist gemäss Art. 59 Abs. 1 BV ein Ersatzdienst für all diejenigen Militärdienstpflichtigen, die den Militärdienst mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren können. Von einem ausgewogenen Milizsystem, gestützt auf die drei Säulen Militär, Zivilschutz und Zivildienst, kann heute indes keine Rede mehr sein. Namentlich das zweckentfremdete Zivildienstgesetz ist rasch zu revidieren und die Wahlfreiheit zu eliminieren.
Immerhin hat der Bundesrat am 4. März 2022 entschieden, den Bestand von Armee und Zivilschutz langfristig sicherzustellen und zwei alternative Dienstpflichtvarianten bis Ende 2024 vertieft zu prüfen. Dabei geniesst das Modell «Sicherheitsdienstpflicht» erste Priorität.1 Es sieht vor, dass der Zivildienst mit dem Zivilschutz zum Katastrophenschutz fusioniert und damit das akute Bestandsproblem in Armee und Zivilschutz rasch gelöst werden kann. Es hätte im weiteren den Charme, die…

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Dieser Artikel ist in Ausgabe 1105 – April 2023 erschienen. Er ist nur registrierten, zahlenden Nutzern zugänglich. Vollen Zugang erhalten Sie über unsere attraktiven Online- und Printangebote.
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