Schuld und Sühne
Steigende Schulden und Staatsquoten, schrumpfendes Produktivitätswachstum, sinkende Zinsen und Inflationsraten: Die «Droge billigen Geldes» wird seit Jahrzehnten als das Allheilmittel für alles gesehen: «Alle tanzten nach dem Motto, dass es schon gut gehen wird, weil die Notenbanken immer dann zur Stelle sein werden, wenn es brenzlig wird», schreibt Makroökonom und Strategieberater Daniel Stelter. Doch la commedia è finita: «Wir müssen konstatieren, dass die Wirtschaft trotz massiver geldpolitischer Stimulation nicht an Fahrt aufnahm.»
Wie weiter? Stelter lehnt Coronakredite an Unternehmen ab, da deren Rückzahlung Investition und Innovation verhindere. Er plädiert für einen Zeitenwandel: Helikoptergeld, Konsumgutscheine und ein Schuldentilgungsfonds der Euroländer verbunden mit einer Monetarisierung der Staatsschulden durch die EZB sollen die neuen Mittel der Wirtschaftspolitik werden. Diese seien sinnvoller als die Alternativen: Protektionismus, grosse Depression oder steigende Abgaben. Um das Schuldenproblem der Staaten zu lösen, sei dieser monetäre Weg unausweichlich. Das wäre aber riskant: «Denn wer glaubt schon, dass unsere Politiker, sobald sie den Zugriff auf die Zentralbanken haben, diesen wieder hergeben? Ich jedenfalls nicht.» Und was ist mit der heiligen Kuh, der Unabhängigkeit der Zentralbanken? «Zwischen 1930 und 1970 war die direkte Finanzierung der Staaten durch die Notenbanken weithin akzeptiert.»
Unsere europäischen Nachbarn schlafwandelten bereits vor der Coronakrise in eine Lage der wirtschaftlichen Schwäche. Diese Entwicklungen analysiert Stelter lesenswert und laienverständlich. Obschon als Neustartprogramm für ein deutsches Publikum geschrieben, lassen sich auch Handlungsempfehlungen für die Schweiz ableiten: Er warnt vor mehr Umverteilung, einer staatlich dominierten Wirtschaft, steigenden Steuern und Abgaben, dem Ausverkauf wichtiger Assets nach China sowie einem «Systemwechsel durch die Hintertür». «Ausserdem sollten wir aufpassen, dass die lauten ‹Wir brauchen mehr Staat›-Rufe nicht aus dem Ruder laufen.» Der Coronaschock soll Anstoss sein, um lange aufgeschobene Probleme, wie die Erhöhung des Rentenalters, endlich zu lösen: Die Krise als Chance, als Katalysator des Wandels in einer Phase fundamentaler technologischer Umbrüche.
Daniel Stelter: Coronomics. Nach dem Coronaschock: Neustart aus der Krise.
Frankfurt am Main: Campus, 2020.