Sagen Sie mal Michael Fehr,
wie liest und schreibt ein fast blinder Autor?
Mit mir kann man nicht über Neuerscheinungen sprechen, dafür bin ich zu langsam. Vom Temperament her, aber eben auch durch meine Lebensumstände. I lise ja nid, i lose, und bis neue Titel bei der Schweizerischen Blindenbibliothek als Hörbuch verfügbar sind, dauert es seine Zeit. In der Regel warte ich so lange, eigentlich meistens noch länger. Wenn sich ein Roman zehn Jahre bewährt hat, kann ich ihn ja immer noch lesen.
Es ginge schon schneller, wenn ich unbedingt wollte: Ich könnte mir vom Verlag ein PDF schicken lassen und mir den Text vorlesen lassen. Bei Autoren, die ich kenne oder schätze oder beides, mache ich das auch. Nur liest da dann natürlich kein Erzähler, sondern eine blechern klingende Computerstimme. Das ist nicht immer ein Vergnügen, obwohl man ziemlich routiniert werden kann. Was mir bleibt, sind Mord und Totschlag – oder dann radikaler Tiefgang. Ich lese immer wieder Ovids «Metamorphosen», Laotse, auch die Bibel – pure Story! Wenn es spannend ist oder richtig kompliziert, kommt es weniger auf den Vortrag an, die «delivery», die für mich sonst zentral ist.
Ich schreibe auch nicht, ich spreche. Am Anfang habe ich meine Texte mit zwei Fisher-Price-Geräten aufgenommen. Das eine spielte die letzte Aufnahme ab, auf dem anderen nahm ich auf, was mir daran gefiel, und liess weg, was mir nicht gefiel. Play, Pause, Rewind, Record: Meine Finger wurden ganz wund dabei. Ein Ingenieur hat dann für mich ein virtuelles Aufnahmegerät entwickelt, bei dem man Aufnahmen mittendrin ergänzen konnte, ohne zu überspielen, was danach kam – eine Funktion, die bei gängigen Programmen höchstens irgendwo ganz kompliziert zu finden war, also für mich gar nicht. Allerdings entstanden so pro Text Tausende kurzer Soundfiles. Einmal sind die Dateien eines fertigen Buches durcheinandergeraten. Ich musste es komplett neu einsprechen. Da ist mir zugutegekommen, dass ich im Hören so geübt bin. Ich habe viele Stellen noch im Kopf gehabt.
Heute mache ich alles mit dem iPhone. Die Aufnahmen werden automatisch in einem gängigen Format gespeichert, und als E-Mail erhalte ich sie auch noch. Genial! Aber es bleibt so, dass mein Erzählen sich im Kopf konkretisiert. Einmal eingesprochen, glätte und poliere ich nur noch. Je weniger Datenhandling, desto weniger wiegt meine Einschränkung. Die Transkription für meine Publikationen müssen aber immer noch Menschen machen. Einem Arzt oder einer Juristin mögen heutige Spracherkennungsprogramme perfekt erscheinen. Mit literarischer Sprache können sie aber nicht umgehen.