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Kein Ort für Abbilder

«Wäre die Welt ein Buch, wären Bücher überflüssig.» Mit dieser kurzen Sentenz widerspricht Bruno Steiger der Ebenbildlichkeit von Realität und Literatur. Bücher widerspiegeln nicht die Welt, sie sind eine Welt – in der realen Welt, zugegeben, wie Steiger in einer Variante der obigen Sentenz nachschiebt: «Wäre die Welt, gäbe es keine Bücher mehr.» Das Austauschverhältnis […]

«Wäre die Welt ein Buch, wären Bücher überflüssig.» Mit dieser kurzen Sentenz widerspricht Bruno Steiger der Ebenbildlichkeit von Realität und Literatur. Bücher widerspiegeln nicht die Welt, sie sind eine Welt – in der realen Welt, zugegeben, wie Steiger in einer Variante der obigen Sentenz nachschiebt: «Wäre die Welt, gäbe es keine Bücher mehr.» Das Austauschverhältnis jedoch bleibt komplex, der Sprung zwischen Text und Welt ist nicht leichtfertig zu kitten.

Im Band «Das Fenster in der Luft» versammelt Bruno Staiger eine Fülle von Sentenzen, Lektürenotaten, Beobachtungen, Erinnerungen, Träumen oder Gesprächsfetzen, die seine Auseinandersetzung mit der Welt hier und der Kunst da – und manchmal in eins – demonstrieren. Er zeigt sich dabei von seiner verzwickt intellektuellen Seite, nachdenkend, philosophierend, sich selbst (dabei) beobachtend und in Frage stellend. Letzteres setzt jenen Stachel, der über das kluge Zeitgeistaperçu hinausweist. Wir werden in diesem Band Zeugen einer Arbeit am Denken, einer Selbstreflexion auf der Suche nach einer möglichen Wahrheit.

Seit seinen ersten Prosaveröffentlichungen 1983, «der Panamakanal und der Panamakanal», verweigert sich Bruno Steiger dem Ruf nach erzählenden, abbildenden Texten. Das Erzählen erzeuge Konstrukte, die sich ihrer selbst gewahr sind. Sie betreiben selbstreflexiv die Aufhebung des Tatsächlichen mit und in einer Sprache, «die bis zur Grenze des Möglichen mit Sinn geladen ist» – wie Steiger eine Sentenz von Ezra Pound in einem Reportage-Essay zu Joyce heranzitiert. Die Unkenntnis über den genauen Grenzverlauf macht die Sache allerdings sowohl vertrackt wie stimulierend.

Steigers Sammlung von Essays aus den Jahren 1993 bis 2008 mit dem Titel «Zwischen Unorten» ist eine Wundertüte, in der wir seinen literarischen Vorlieben und Anregern begegnen. Dabei sind schöne Entdeckungen zu machen. Steiger rückt Autoren wie Peter Rosei, John Barth oder Jean Echenoz ins verdiente Licht. Er widmet den unverhofft vergessenen Reinhard Lettau oder Friedo Lampe ein kleines Denkmal. Und Meret Oppenheim erhält eine umfassende Würdigung ihres poetisch-künstlerischen Werkes.

Steigers Schreiben fordert ein neugieriges, offenes Lesen heraus, das nicht mehr auf das reine Verstehen abzielt. Wer bloss krampfhaft am Sinn eines Textes festhält, wird manche Texte für unlesbar halten. Eines der «unproduktivsten rezeptorischen Missverständnisse» nennt dies Steiger, dem er den Begriff der «Anverwandlung» entgegenhält, die die Lektüre zuerst als «ästhetische Erfahrung» begreift.

vorgestellt von Beat Mazenauer, Luzern

Bruno Steiger: «Das Fenster in der Luft». Basel / Weil am Rhein: Urs Engeler Editor, 2008

Bruno Steiger: «Zwischen Unorten». Basel / Weil am Rhein: Urs Engeler Editor, 2009

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