Geld und Freiheit
Dem Geld sagt man nach, es sei «gemein», weil es das Äquivalent für alles und jedes sei. Alles mache es gleich, alles unterwerfe es seinem Regime. Wenn aber alles käuflich ist, ist nichts mehr unbezahlbar. Liebe und Leistung, Geist, Glück und Gut, alles wird nach dem Geldwert bemessen. Die Monetarisierung der Kultur mündet, so heisst […]
Dem Geld sagt man nach, es sei «gemein», weil es das Äquivalent für alles und jedes sei. Alles mache es gleich, alles unterwerfe es seinem Regime. Wenn aber alles käuflich ist, ist nichts mehr unbezahlbar. Liebe und Leistung, Geist, Glück und Gut, alles wird nach dem Geldwert bemessen. Die Monetarisierung der Kultur mündet, so heisst es, in einen Zustand, in dem nicht das Tun, nicht der Gebrauch der Sache zählt, sondern ihr Marktpreis. Am Ende verwandelt sich das Tauschmittel zum letzten, höchsten Lebenszweck. Man erstrebt nicht, jemand zu sein, etwas zu können oder zu tun. Was man ist, zeigt sich an dem, was man hat.
Die Entwertung der Welt ist jedoch nur eine Konsequenz des Geldverkehrs; eine andere besteht im Gewinn an individueller Freiheit. Ohne Geld keine Freiheit. Es ist eine Banalität, dass Wohlstand manchmal die Lebenschancen steigert. Aber die Unabhängigkeit gründet in der Natur des Geldes selbst. Geld verknüpft indirekt auch Menschen, die ohne Tausch nie und nimmer in Kontakt kämen. Es erweitert die sozialen Kreise und ermöglicht den Wechsel. Aber die Gesellschaft des Marktes ist flüchtig und namenlos. Nach der Zahlung des Preises ist die Begegnung vorbei. Der Markt bindet niemanden, getauscht wird ohne Ansehen der Person. Zwischen das Individuum und seinen Besitz schiebt sich das Medium Geld. Alles Persönliche verschwindet aus dem sachbestimmten Verhältnis. Der einzelne ist auf dem Markt so gleichgültig wie der Gast in einem Hotelzimmer. Wechsel und Anonymität jedoch steigern die Chancen der Selbständigkeit.
Früher stand das Individuum zu wenigen in gegenseitiger Abhängigkeit, heute ist es auf unzählige Lieferanten angewiesen. Die soziale Existenz in der modernen Verkehrswirtschaft gründet auf hunderten Verbindungen, die allein durch Geldinteressen gestiftet sind. Aufgrund der Arbeitsteilung kann niemand mehr allein für sich selbst leben; er braucht unzählige Bezugsquellen. Doch ist er nicht mehr von einem bestimmten Einzelanbieter abhängig. Den Herrn, der für ihn sorgt, ist er los. Der Markt ist das Forum sozialer Untreue und Wechselwirtschaft. Der einzelne kann den Anbieter wechseln wie der Reisende die Unterkunft. Auch der moderne Mensch muss sich kleiden, muss essen und lieben, doch mit dem Geld in der Tasche ist er frei. Er kann sich da oder dort bedienen.
Dennoch bleibt die Freiheitsbilanz gemischt. Einst musste der einzelne die geringe Zahl seiner Abhängigkeiten mit persönlicher Enge, ja Unersetzbarkeit bezahlen. Heute wird er für die Vielzahl seiner Abhängigkeiten durch die Gleichgültigkeit der Person und die Freiheit zum Wechsel entschädigt. Soziale Freiheit beginnt mit der Unabhängigkeit vom Willen bestimmter Einzelpersonen, doch endet sie nicht damit. Der Arbeiter bleibt an die Arbeit gefesselt wie der Bauer an die Scholle, auch wenn er hin und wieder den Arbeitsplatz wechselt. Er ist frei vom einzelnen Herrn, aber nicht von der Institution eines asymmetrischen Marktes, auf dem er sich verkaufen muss. Der Verbraucher ist frei vom Angebot eines einzelnen, aber er ist abhängig von der Institution des Konsummarktes. Als tauschendes Tier kann der Mensch kommen und gehen, doch irgendwo muss er ein Gegenüber finden. Die individuelle Freiheit wird erkauft mit dem Zwang zum Tausch.
Es ist ein Vorteil des unpersönlichen Geldverkehrs, dass man sich seiner Pflichten auch mit Geldzahlungen entledigen kann. Der Sklave ist dem Herrn bis zum letzten Atemzug mit Haut und Haaren unterworfen; die Pflicht des Dieners ist zeitlich befristet; der selbständige Auftragnehmer hat lediglich eine bestimmte Leistung zu erbringen; der Staatsbürger schliesslich erfüllt seine Pflicht durch Geld. Die Steuer befreit ihn von jeder Bindung und naturalen Leistung. Mit Geld kauft er sich frei von dem Staat, dem er untertan bleibt. Die Kosten mögen beträchtlich, die Zinszahlungen und Steuersätze hoch sein, doch das Geld befreit ihn als Person. So ist das Geld, dieses vielgeschmähte Medium der abstrakten Gesellschaft, zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für eine Republik freier Bürger. Den Menschen verschafft das Geld allenfalls eine halbe Freiheit.