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Exkurs: «Eins oder zwei?»

Das Reich der Mitte hat die Einkindpolitik beendet und lässt neu zwei Kinder pro Mutter zu. Nur: die politische Führung hat die Rechnung ohne die Frauen gemacht.

Exkurs: «Eins oder zwei?»
Die Psychologin Simone Eliane Schwank.

Die meisten Frauen in Chinas pulsierender Küstenmetropole Schanghai tun es ihrer Stadt gleich: sie sind hervorragend vernetzt und erfolgreich. Dass sich die KP im Hinblick auf die erfolgreiche Stadtentwicklung selbst auf die Schulter klopft, ist klar – die neue Macht der Frauen in Schanghai ist aber ein bislang stark unterschätzter Effekt der Einkindpolitik und alles andere als planerische Absicht gewesen. Das Phänomen ist leicht erklärbar: Während werdende Eltern in den ruralen Gebieten stets auf Söhne als Erben des Erarbeiteten hofften und nur wenig in die (dann doch) weiblichen Nachkommen investierten, zogen die liberalen Eliten in den Städten mit Freude ihre Töchter auf – als akademisch hervorragend ausgebildete und erfolgreiche Erbinnen der eigenen Firmen. Heute haben sie in den Metropolen das finanzielle Sagen: sie lassen ihre Männer kochen und waschen, schicken sie mit einem Taschengeld zum Einkaufen.

Chinas Frauen tragen heute 40 Prozent zum BIP bei, das ist im internationalen Vergleich einsame Spitze. Die traditionellen Rollenbilder sind in China zwar weiterhin verbreitet, das Land kann es sich finanziell aber längst nicht mehr leisten, auf seine Powerfrauen zu verzichten: Im urbanen China besetzen sie an Universitäten und in Kliniken einflussreiche Positionen mit einer gewissen Selbstverständlichkeit, in Schanghai ist die Zahl der Frauen in Führungspositionen gar ähnlich hoch wie die von Männern in skandinavischen Ländern. Urbane Frauen fragen also offen und mit einer gewissen Berechtigung: Zwei Kinder? Zu welchem Preis?

Während die Einkindgeneration wenig vom jungen Heiraten und Kinderkriegen hält, ganz zu schweigen von zwei Kindern, wie mir eine junge Frau nach dem Yoga im hippen Studio in French Concession verrät, würden sich die Eltern – wie die KP – zwei Enkel sehnlichst wünschen. Einen festen Partner habe sie aber nicht, sagt sie. Wozu auch? Über ihre Firma sei sie bestens versorgt, könne sich eine Wohnung in Toplage leisten und sei ohnehin dabei, den Globus zu bereisen – Bindungen und Kinder würden ihren Lebensstil in einer Weise ändern, der ihr wenig attraktiv erscheint.

Im Jahr 2017 ging die Geburtenrate in Schanghai denn auch nicht durch die sprichwörtliche Decke, sondern zurück. Ein Signal, das man in Peking gehört haben dürfte: Strebt das Land weiteres Wirtschaftswachstum an, will es also die Überalterung und die damit einhergehende Belastung der sozialen Sicherungssysteme und die Engpässe auf den Arbeitsmärkten mit mehr Kindern – also: künftigen Arbeitern und Steuerzahlern – kontern, dann müssen dazu besser heute als morgen die gut ausgebildeten Frauen in den Zen­tren an Bord geholt werden. Die politische Führung weiss, dass die zentralen Forderungen der Leistungsträgerinnen nicht länger verhandelbar sind: mehr Elternzeit, mehr Kindertagesstätten und bessere Konditionen am Arbeitsplatz. Kurz: Anreizsysteme und Angebote, die es ihnen erlauben, ihre Karriere auch mit Kindern voranzutreiben.

Anders als in vielen europäischen Ländern, in denen weiterhin ältere Herren ökonomisch wie politisch an den längsten Hebeln sitzen und der demographische Wandel entweder politisch ignoriert oder über eine mehr oder weniger gelungene Einwanderungspolitik abgefedert werden soll, hat in China eine Umkehr des patriarchalen Systems begonnen. Die bringt nicht nur mit sich, dass Schanghais Männer im Schnitt besser kochen können als ihre europäischen Pendants: Die Metropole kennt nun auch einen Elternurlaub für beide Elternteile und baut ein engmaschiges Netz aus Kindertagesstätten auf. Ob die Frauen die Eingangsfrage in naher Zukunft aber mit «zwei» beantworten, dürfte zu grossen Teilen davon abhängen, ob ihnen das schon reicht.

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