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Wir haben nichts zu sagen

Lieber draussen ohne als drinnen mit Stimmrecht, aber ohne Gewicht

Dieter Freiburghaus schreibt in der letzten Ausgabe der «Schweizer Monatshefte», das Abseitsstehen der Schweiz habe sich als Folge der bilateralen Verträge und der Übernahme des geltenden Rechts der EU in eine De-facto-Mitgliedschaft ohne Stimmrecht verwandelt. Das sei im Grunde gar nicht so schlimm, weil die «EU kein Staat sei, kein Gewaltmonopol, keine gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik, keine Sozialversicherungen und ein relativ kleines Budget» habe. Die EU verfolge vor allem das Ziel, europaweit einen funktionierenden Markt für Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeit herzustellen und diesen Binnenmarkt mit zentralistischen Regulierungen vor «nichttarifären Handelshemmnissen» zu schützen.

Allein, genau mit diesen zentralistischen Regulierungen wurde ein Gewaltmonopol aufgebaut. Ganz im Sinne von Jean Monnet, einem der Gründerväter der Europäischen Gemeinschaft, wurde in den letzten 50 Jahren in allen Lebensbereichen die Kompetenz zur direkten Rechtsetzung oder zur Entwicklung einer gemeinsamen Politik an die supranationale EU abgetreten. Konkret sind dies die Aussen-, Sicherheits- und Friedenspolitik, humanitäre und gemeinsame militärische Aktionen («Eurokorps») und nicht zuletzt auch fiskalische Euro-Massnahmen. Heute ist dies im Vertrag von Lissabon mit den entsprechenden Institutionen – Rat der EU, Kommission, Parlament und Gerichte – verankert.

Schauen wir nun genauer hin, wie die EU funktioniert. Jacques Delors, der langjährige Präsident der EU-Kommission, wies darauf hin, dass bei einer Erhöhung der EU-Mitgliederzahl mehr Ordnung in die zwischenstaatlichen Euronormen und Institutionen gebracht werden müsse. Nur ein starker politischer Kern als Entscheidungsträger könne einen raschen Ausbau der EU zu einer Europäischen Föderation ermöglichen.

In diesem Sinne wird in dem inzwischen ratifizierten Vertrag von Lissabon vorgesehen, in über das Wirtschaftliche hinausgehenden Gebieten staatlicher Tätigkeit ab 2014 alle Entscheidungen zur Abtretung von Kompetenzen an die Gemeinschaft mit qualifizierten Mehrheitsbeschlüssen zu treffen. Konkret: nächtelanges Verhandeln und der Weg der Einstimmigkeit sind passé. Dies, zusammen mit der neuen Gewichtung der Stimmen, ermöglicht dem kleinen, vom Tandem Merkel/Sarkozy angeführten Kern der grossen EU-Mitglieder, den Ausbau der EU weiter voranzutreiben.

Die dafür wichtige Stimmbewertung ist im Lissaboner Vertrag festgelegt. Je 29 und 27 Stimmen bekommen die 6 Grossen: Deutschland, Grossbritannien, Frankreich, Ita-lien, Spanien und Polen, total 270 Stimmen. Für die anderen Länder sind maximal 14 Stimmen vorgesehen (Rumänien), 13 für die Niederlande und immer weniger bis 3 für Malta, total 175 Stimmen. Qualifiziertes Mehr: 255 Stimmen, die leichter von der Gruppe der Grossen als von der Mehrzahl der Kleinen erreicht werden können. Nach diesem Tarif kämen für die Schweiz im besten Fall 10 in der Gruppe Österreich/ Schweden, aber wohl eher 7 Stimmen in der Gruppe Dänemark/Finnland in Frage. Konkret: wir hätten nichts zu sagen.

Diese ab 2014 in Kraft tretende Regelung erinnert an die These von einem Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten. Danach sollte im künftigen Europa ein kleiner Kern die massgebenden Entscheidungen treffen. Alle anderen Staaten in Europa müssten zum Mitmachen überzeugt oder notfalls gezwungen werden. Wie dieser Mechanismus funktioniert, konnten wir in der Schweiz anlässlich der «autonomen» Übernahme eines grossen Teils des bestehenden Eurorechts als Swisslex sowie mehr oder weniger aufgezwungener Lösungen beim Landverkehr und dem freien Personenverkehr der Bilateralen bereits beobachten. Die nächsten Vorstösse sind schon aufgegleist: Abschaffung des Bankgeheimnisses und europaweite Steuerharmonisierung.

Damit ist das von vielen hierzulande als erstrebenswert bezeichnete Stimmrecht der kleinen Mitglieder zu einem Nonvaleur geworden. Da tut die Schweiz gut daran, draussenzubleiben und die gegenüber Drittstaaten verbleibende treaty-making-power zu nutzen, um sich mit einem weitausgedehnten Netz von Freihandelsverträgen aus der Abhängigkeit vom europäischen Markt zu lösen. Dieser Weg ist zweifellos mit Risiken und mehr Arbeit verbunden. Aber er versetzt uns in die Lage, notfalls den bilateralen Abkommen, vor allem auch Schengen, Adieu sagen zu können. Und diese Option garantiert uns die Unabhängigkeit, die wir für die Zukunft brauchen.

Frédéric Walthard, geboren 1921, ist promovierter Jurist. Er arbeitete im diplomatischen Dienst, u.a. als Leiter des Rechtsdienstes im Generalkonsulat in New York und in der Botschaft in Washington.

Bisher erschienen

R. Scheu // «Müde EU-Enthusiasten», Ausgabe 974

D. Freiburghaus // «Dünnhäutige Beitrittsgegner», Ausgabe 976

D. Freiburghaus // «Aussenwirtschafts-politik ohne Führung», Ausgabe 973

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