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Trump, der Kulturrelativist

Während die US-Regierung Europa schulmeistert, paktiert sie im Nahen Osten mit Folterstaaten. Dabei bedient sie sich einer postkolonialen linken Rhetorik.

Trump, der Kulturrelativist
Donald Trump und JD Vance bei der 2024 NYC 9 11 Gedenkfeier, Bild: Wikimedia.

Selten war die Heuchelei einer amerikanischen Regierung so offensichtlich wie in den ersten Monaten von Donald Trumps zweiter Amtszeit. Während Vizepräsident J. D. Vance in München europäische Demokratien wegen angeblicher Verletzungen der Meinungsäusserungsfreiheit anprangerte, unterzeichnete sein Chef in Riad und Doha Milliarden-Deals mit Autokraten, die Dissidenten foltern lassen. Während Vance europäischen Regierungen vorwarf, die Demokratie zu gefährden, pries Trump den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman als «unglaublichen Mann». Jenen Herrscher also, der mutmasslich den Journalisten Jamal Khashoggi zerstückeln liess.

Thomas J. Barrack Jr., Trumps Botschafter in der Türkei und Syrien-Sondergesandter mit libanesischen Wurzeln, verkündet eine radikale Neuausrichtung: «Vor einem Jahrhundert zwang der Westen dem Nahen Osten Karten, Mandate, Bleistiftgrenzen und Fremdherrschaft auf. Nach dem Ersten Weltkrieg teilte das Sykes-Picot-Abkommen Syrien und die erweiterte Region nach imperialen Gewinnen auf, die sich nicht am Frieden orientierten. Die Ära der westlichen Einmischung ist nun vorbei.»

Kritik am westlichen Universalismus

Paradoxerweise bedient sich die Trump-Administration damit einer Rhetorik, die jahrzehntelang das Markenzeichen linker Intellektueller war. Es ist eine Anti-Kolonialismus-Rhetorik, welche zuvor jahrzehntelang an linken Universitätsseminaren Applaus erhalten hat. Anthropologen wie Franz Boas propagierten bereits im frühen 20. Jahrhundert den Kulturrelativismus als Widerstand gegen westliche Hegemonie. Dieser problematische Ansatz behauptet, dass kulturelle Praktiken nur in ihrem eigenen Kontext bewertet werden können und universelle moralische Standards abgelehnt werden sollten ‒ eine gefährliche Position, die Unterdrückung kulturell legitimiert und die Universalität der Menschenrechte untergräbt.

«Paradoxerweise bedient sich die Trump-Administration damit einer Rhetorik, die jahrzehntelang das Markenzeichen linker Intellektueller war.»

Barrack übernimmt diese linke Kritik am westlichen Universalismus. Bereits nach Khashoggis Ermordung 2019 sagte er: «Die Gräueltaten in Amerika sind gleich oder schlimmer als die in Saudi-Arabien.» Seine Sykes-Picot-Polemik widerhallt postkoloniale Theorien, die westliche Grenzziehungen als Ursprung regionaler Probleme brandmarken. Diese Einstellung macht ihn offenbar zum idealen Kandidaten (Vorsicht: Sarkasmus!), um mit dem Ex-Al-Qaida-Terroristen Ahmed al-Sharaa (al-Julani) ein «neues Syrien» aufzubauen – eine Zusammenarbeit, die ohne moralische Skrupel über die dschihadistische, mörderische Vergangenheit des syrischen Machthabers und die jetzige Massakrierung der Alawiten hinweggeht.

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