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Totale Kontrolle?

Vom automatisierten, lückenlosen Steuereinzug bis zur Kontrolle von Sozialgeldern eröffnen sich Verwaltungen mit der Blockchain neue Möglichkeiten. Aber will das der Bürger?

Setzen sich Kryptowährungen allgemein durch, muss das Verhältnis zwischen Bürger und Staat neu diskutiert werden. Denn einerseits ermöglichen Kryptogeldsysteme die Schaffung von staatsunabhängigen Währungsordnungen. Andererseits könnte der Einfluss des Staates durch die Blockchain stark zunehmen, was sich am Beispiel der Steuererhebung aufzeigen lässt. Heute basiert die Steuererhebung in den meisten Fällen auf einer Selbstdeklaration. In einer Kryptowelt hingegen wäre ein automatisierter Steuerbezug denkbar: Bei jeder Transaktion fliesst ein vorher definierter Betrag an den Staat. Damit könnte auf das Ausfüllen einer Steuererklärung verzichtet werden, auch Schwarzgeldkonten würden der Vergangenheit angehören. Der administrative Aufwand liesse sich insgesamt sowohl beim Bürger als auch beim Staat wesentlich verringern, die Transparenz erhöhen. Der Bürger würde in einem solchen System jedoch stark unter staatlicher Kontrolle stehen, denn sämtliche Transaktionen liessen sich nachvollziehen.

Eingriff des Staats in die Persönlichkeitsrechte

Noch einschneidender in die Selbstbestimmtheit könnten die Auswirkungen im Bereich der Sozialhilfe sein: Heute werden vor Auszahlung von Sozialhilfegeldern in erster Linie die Anspruchsvoraussetzungen geprüft. Sind diese erfüllt, wird das Geld mehr oder weniger bedingungslos ausbezahlt. In Zukunft jedoch könnte für Sozialhilfeleistungen eine eigene Währung entwickelt werden, mit welcher sich die Verwendungsmöglichkeiten solchen Geldes auf Empfängerseite einschränken liessen. Eine alkoholabhängige Person könnte so beispielsweise ihr Sozialgeld nicht für alkoholische Getränke ausgeben: die Zahlung wäre für solche Produkte automatisch blockiert. Aus finanzpolitischer Sicht könnte eine solche Lösung durchaus wünschbar sein, also die Wirkung der ausbezahlten Sozialhilfegelder erhöhen und für die Allgemeinheit positive Effekte bringen. Doch zu welchem Preis? Der Staat greift bei diesem Szenario sehr stark in die Persönlichkeitsrechte einzelner Personen ein. Bei dieser Diskussion ist aber auch zu beachten, dass ähnliche Beispiele aus der analogen Welt bereits bekannt und damit nichts Neues sind: So wurden in beiden Weltkriegen Lebensmittelmarken verteilt, welche bescheinigten, dass der Besitzer ein bestimmtes Lebensmittel in einer bestimmten Menge kaufen durfte, oder es wurden bedürftigen Personen Lebensmittelgutscheine abgegeben.

Eine weitere Möglichkeit ergäbe sich durch die staatliche Herausgabe von themenspezifischen Kryptowährungen, mit welchen Anreizsysteme geschaffen würden. Diskutiert wird etwa ein «Health Coin», von dem der Bürger pro gelaufenen Kilometer eine bestimmte Einheit als Belohnung ausbezahlt erhält. So erhaltene Coins können dann zur Begleichung der Krankenkassenprämien verwendet werden oder aber es entstünde ein Anspruch auf einen Rabatt. Je höher also die sportliche Betätigung, desto tiefer die persönlichen Gesundheitskosten. So könnten Ungerechtigkeiten beseitigt werden, es ginge aber auch der heute vorherrschende Solidaritätsgedanke verloren. Solche direkten Belohnungssysteme etablieren sich heute in den verschiedensten Bereichen. Verbunden mit einer Kryptowährung liessen sich diese Anreizsysteme anonymisieren. Sie könnten vom Staat anstelle der heute teuren und bezüglich Wirkung umstrittenen Präventionskampagnen eingesetzt werden.

Sind Kryptowährungen nur ein weiterer Schritt zum gläsernen Bürger, verliert er so an Macht gegenüber dem Staat? Nicht zwingend. Der Einfluss der Bürger könnte nämlich auch steigen, zum Beispiel durch zweckgebundene Steuerzahlungen auf Basis einer Blockchain. Ein solches System könnte letztlich dazu führen, dass Abstimmungen über Kreditvorlagen überflüssig werden, weil die Bürger in Echtzeit bestimmen, welche Zweige des Staates wie viele Mittel erhalten. Damit würde ein personalisierter Staat möglich. Die Frage aber bleibt, wie weit der Staat über seine Bürger informiert sein soll. Die gesellschaftspolitische und ethische Dimension dieser Fortschritte und ihr Zusammenhang mit der Freiheit des Individuums müssen in den nächsten Jahren ausdiskutiert werden.


 

Martin Würmli
ist seit 2014 Stadtschreiber von Zug. Zuvor war er nach seinem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität St. Gallen während fünf Jahren als Rechtsanwalt tätig. Er ist Autor einer 2018 an der FHS St. Gallen publizierten Masterarbeit zu den Auswirkungen der Blockchain-Technologie auf öffentliche Verwaltungen.

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