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Drohungen, Sanktionen, Anreize oder hohe Diplomatie. Egal, welche Saite angeschlagen wird, Nordkorea und Iran konnten bisher nicht vom Bau an der Atombombe abgehalten werden.

Warum brauchen Staaten überhaupt Waffen? Die Antwort ist einfach, zumindest auf den ersten Blick, und sie hat sich seit dem Altertum nicht wesentlich gewandelt. «Neque quies gentium sine armis … haberi [quit]» heisst es bei Tacitus: ohne Waffen sei die «Ruhe der Völker» nicht zu haben. Noch knapper hat es der spätantike Militärtheoretiker Vegetius Renatus in seinem Militärhandbuch «Epitoma rei militaris» im ausgehenden vierten Jahrhundert auf den Punkt gebracht – wer Frieden wolle, müsse sich auf den Krieg vorbereiten: «si vis pacem, para bellum.»

Hinter beiden Zitaten steckt etwas, das man als Logik der Abschreckung bezeichnen könnte. Der Gegner soll bei einem Angriff mit massivem Widerstand rechnen müssen, der die Kosten-Nutzen-Relation einer Militäraktion stark verschlechtert. Ob die durch Waffen erzeugte Abschreckungswirkung oder Dissuasion – wie man in der Schweiz üblicherweise formuliert – wirklich Sicherheit bringt, ist eine oft gestellte und in der Politikwissenschaft umstrittene Frage. Vermutlich liegt man richtig mit der Feststellung, dass in manchen Fällen Krieg nicht trotz, sondern wegen Rüstungsanstrengungen ausbrach, und dass unter anderen Umständen dieselbe Sicherheit auch mit weniger Waffen zu haben gewesen wäre. Doch Abrüstung ist schwierig. Staaten überlassen hier aus Gründen der eigenen Sicherheit dem potentiellen Gegner gerne den Vortritt – und wenn dieser nicht den ersten Schritt tut, passiert oft gar nichts.

Bei der Kontrolle von Nuklearwaffen wurde allerdings einiges erreicht, und die Drohung mit Wirtschaftssanktionen hat hierbei eine Rolle gespielt. Der 1968 geschlossene Vertrag über die Nichtweitergabe von Nuklearwaffen, auch Atomwaffensperrvertrag, Nichtverbreitungsvertrag oder kurz NPT (non-proliferation treaty) genannt, wäre ohne solche wohl nicht zustande gekommen.

Der Nichtverbreitungsvertrag ist ein ungleicher Vertrag, der die eine Seite diskriminiert, die andere privilegiert. Die einen behalten ihre Nuklearwaffen, mit dem vagen Versprechen, deren Zahl sukzessive zu reduzieren und sie irgendwann einmal ganz zu beseitigen. Die anderen verzichten sofort auf die Option nuklearer Rüstung; bei der weiterhin erlaubten zivilen Nutzung der Kernenergie wird ihnen geholfen, so Artikel IV des Vertrags.

Die Sowjetunion war bei Vertragsschluss in der Lage, dem von ihr kontrollierten Teil der Welt diese ungleichen Konditionen ohne weiteres aufzuzwingen; die USA mussten einigen Ländern der westlichen Welt und damaligen Neutralen mit Sanktionen drohen, namentlich mit einem Stop der Lieferung nuklearen Brennstoffs.

In der Schweiz trat Gustav Däniker, der spätere Divisionär und Stabschef Operative Schulung, in den 1960er Jahren für die atomare Bewaffnung ein; der Bundesrat blieb skeptisch. Schliesslich trat die Schweiz 1969 aus freien Stücken dem Atomwaffensperrvertrag bei, liess sich mit der Ratifizierung jedoch Zeit. Dies rief die USA mit dem Hinweis auf wirtschaftliche Konsequenzen auf den Plan, und der Atomwaffensperrvertrag wurde ratifiziert.

Wirken also Wirtschaftssanktionen, die ja meist leicht zu umgehen sind, am Ende doch? Die Forschung lässt vermuten, dass Staaten zumindest in der nuklearen Abrüstung noch am ehesten auf eine Mischung aus Sanktionsdrohung und Anreiz reagieren, beides in ausgewogener Dosierung und als Instrumente geschickter Diplomatie.* Die eine ohne die anderen bewirkt in der Regel wenig. Diplomatie ohne ernste Alternativen – wie etwa Sanktionen – im Hintergrund bleibt harmlos. «Speak softly and carry a big stick!» So erklärte der amerikanische Präsident Theodore Roosevelt seine aussenpolitischen Erfolge.

Sanktionen können allerdings auch das verschärfen, was sie zu verhindern versuchen. Wenn sie als Drohung oder gar Erpressung verstanden werden, erzeugen sie Widerstand: «Jetzt erst recht nicht!» Müssen die Sanktionsdrohungen dann der Glaubwürdigkeit wegen umgesetzt werden, tragen alle Beteiligten nur Schäden davon, und die Sanktion ist als Instrument «verbraucht».

Anreize sind im Vergleich zu Sanktionen oft unpopulär, weil sie die eigentlich selbstverständliche Einhaltung von Regeln dennoch besonders belohnen, was als zuviel des Guten erscheint. Umgekehrt kann die Aussicht auf eine Belohnung unverantwortliches Verhalten überhaupt erst attraktiv machen: provozieren, nur um in den Genuss der Belohnung zu kommen. In diesem Falle sind Anreize kontraproduktiv, weil sie zu Erpressungsmanövern einladen. Die Wissenschaft bezeichnet dies als moral hazard.

Bei der Diskussion der Möglichkeiten und Grenzen von Sanktionsdrohungen wie auch von Anreizen hat die Abrüstungsdiplomatie viel Anschauungsmaterial zu bieten. Der Ernstfall nuklearer Weiterverbreitung trat mit dem Ende der Sowjetunion im Jahre 1991 ein. Da diese ihre Nuklearwaffen nicht nur auf dem Gebiet der russischen Föderation gelagert hatte, sondern auch in anderen Sowjetrepubliken, gab es mit einem Schlag drei zusätzliche Nuklearwaffenstaaten: Weissrussland, Kasachstan und die Ukraine. Mit ihrer Unabhängigkeit gerieten diese Länder über Nacht in den Besitz von Nuklearwaffen aus dem sowjetischen Erbe. Es brauchte Anreize in Form von Sicherheitsgarantien und finanziellen Hilfen, aber auch Hinweise auf negative Konsequenzen, um diese Länder zur Aufgabe ihrer geerbten Nuklearwaffen zu bewegen.

Sehr viel schwieriger gestaltete sich die Lage in Nordkorea, einem weiteren vormaligen Klientelstaat der Sowjetunion. Diese hatte Nordkorea bei der zivilen Nutzung der Kernenergie geholfen, allerdings auch die Kontrolle über die Entwicklung ausgeübt und die Mitgliedschaft Nordkoreas beim Nichtverbreitungsvertrag erzwungen. Nach dem Ende der Sowjetunion war Nordkorea ohne Aufsicht.

Zunächst zeigte dieses Land guten Willen und liess seine Atomanlagen durch die Internationale Atomenergieagentur IAEA inspizieren – obschon die USA wegen der Weitergabe von Raketentechnologie Wirtschaftssanktionen gegen nordkoreanische Unternehmen verhängt hatten. Als die Kontrolleure der IAEA dann in Nordkorea auch noch Spuren heimlicher Abzweigung von Plutonium bei der Wiederaufbereitung nuklearen Brennstoffs entdeckten, brach die Krise offen aus, und Nordkorea drohte mit dem Rückzug aus dem Nichtweiterverbreitungsvertrag. Zur kompletten Überraschung der USA schlug Nordkorea dann im Sommer 1993 in den laufenden Gesprächen einen Handel vor: Einstellung des Nuklear-programms im Tausch gegen zwei (militärisch kaum nutzbare) Leichtwasserreaktoren und weitere Garantien sowie Verbleib im Nichtweiterverbreitungsvertrag. Nach längerem Hin und Her in den nachfolgenden Verhandlungen – inzwischen war Nordkoreas Diktator Kim Il Sung verstorben, sein Sohn Kim Jong Il musste sich erst als Nachfolger etablieren – kam dieses Geschäft im Oktober 1994 zustande. Die Welt atmete auf, die Krise schien entschärft, ohne Atombomben in den Händen eines unberechenbaren Despoten.

Die damalige amerikanische Regierung unter Präsident Clinton sah im Rahmenabkommen mit Nordkorea, dem Agreed Framework, einen grossen diplomatischen Erfolg und den Beweis der Wirkung positiver Anreize, nachdem Sanktionsdrohungen fruchtlos geblieben waren. Die oppositionellen Republikaner verstanden den Handel als Erpressung und als Belohnung der provokativen Politik Nordkoreas. In der Tat kam die Sache dann nicht recht vom Fleck. Die Ausschreibung der zwei Reaktoren erfolgte mit Verspätung 1998, und mit dem Bau eines der beiden begann man erst 2002. Schuld waren wohl die Schwierigkeit des Geschäfts an sich, vor allem aber das Misstrauen der einen wie der anderen Seite, von der Gegenseite hintergangen zu werden, sowie der parallel laufende Streit um das nordkoreanische Raketenprogramm.

Dabei führte Nordkorea insgeheim sein ursprüngliches Programm der Plutoniumgewinnung weiter, und als dies ruchbar wurde, brach der gesamte Tausch de facto in sich zusammen. Im Januar 2003 kündigte Nordkorea den Atomwaffensperrvertrag, 2006 unternahm das Land nach eigener Darstellung einen ersten Atomwaffentest, ein zweiter folgte 2009. Amerikanische Sanktionen konnten Nordkorea nicht davon abhalten, Raketentechnologie an interessierte Staaten wie Pakistan und Iran zu verkaufen.

Aktuell im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit stehen die Anstrengungen des Irans zur Anreicherung von Uran, nach eigenem Bekunden zu rein zivilen Zwecken, was gemäss Artikel IV des Atomwaffensperrvertrags erlaubt sein sollte, so zumindest die iranische Deutung. Doch die Menge und der angestrebte Grad der Anreicherung sprechen eine andere Sprache. Einblicke in das Denken der iranischen Führung bot jüngst ein Fernsehinterview von Antonia Rados mit dem iranischen Präsidenten Ahmadinedschad. Wo denn das Problem sei, fragte der iranische Präsident. Selbst wenn der Iran ein paar wenige Nuklearwaffen besässe, die USA hätten davon immer noch Tausende! Iran ist zwar immer noch Mitglied des Nichtverbreitungsvertrags, hält als Nichtnuklearmacht dessen Regeln aber offenbar für ungerecht. Die USA ihrerseits haben den Iran seit der Besetzung der amerikanischen Botschaft vor jetzt über 30 Jahren mit Wirtschaftssanktionen belegt, allerdings ohne viel Erfolg; der Iran kann diese Sanktionen mühelos umgehen.

«Kluge» Sanktionen (smart sanctions) sollen nun Bewegung in die Sache bringen. Smart sanctions sind Massnahmen, die sich gezielt gegen verantwortliche Personen, Unternehmen und Organisationen richten. Vor allem sollten sie keine Kollateralschäden in der weiteren Bevölkerung verursachen. Immer wieder genannt werden hier Reisebeschränkungen für hohe Exponenten der Regierung, das Einfrieren von Guthaben und ein Embargo für hochentwickelte industrielle Produkte, die der Iran für sein Projekt der Urananreicherung benötigt. Damit smart sanctions auch nur die geringste Aussicht auf Erfolg haben, müssten möglichst viele Staaten mitziehen, also auch China und Russland. Gleichzeitig wirbt Präsident Obama mit Gesprächen und möglichen Belohnungen, redet der kompletten nuklearen Abrüstung das Wort, verspricht Staaten ohne Nuklearwaffen, nie solche gegen sie einzusetzen. Der Iran hingegen sieht sich als Nuklearwaffenstaat in spe durch diese Erklärung wiederum implizit bedroht und durch Sanktionen erpresst.

Am Ende stellt sich die Frage, wie gefährlich Nuklearwaffen überhaupt sind und ob sich das Drama um diese – mit Drohungen, Sanktionen, Anreizen und hoher Diplomatie – überhaupt lohnt. Sind Nuklearwaffen nicht Fossile der zum Glück untergegangenen Welt des Kalten Krieges, militärisch nutzlos, eigentlich eine blosse Last? Nuklearwaffen wurden nur zweimal eingesetzt, 1945 von den USA je einmal gegen Hiroshima und Nagasaki. Die Supermachtkonfrontation der Nachkriegszeit relativierte die militärische Bedeutung von Nuklearwaffen dann jedoch drastisch.

Zwar schuf die Atombombe bis in die Zeiten der amerikanisch-sowjetischen Annäherung unter Reagan und Gorbatschow ein prekäres Gleichgewicht des Schreckens und sicherte damit den «langen Frieden» der Nachkriegszeit, wie ihn der amerikanische Historiker Lewis Gaddis genannt hat. Rasch wurde allen Nuklearmächten allerdings auch klar, dass Nuklearwaffen keinen eigentlichen militärischen Wert besitzen, weil sie nicht ohne geradezu apokalyptische Folgen eingesetzt werden können. Gegen die Drohung mit und den Einsatz von Nuklearwaffen im Krieg entwickelte sich eine Art Tabu, das bis heute von keinem Staat gebrochen wurde. Ob dieses Tabu in einer Welt mit sehr vielen Nuklearmächten und zwischen diesen wachsenden Konflikten Bestand hätte, muss aber bezweifelt werden. Das annus horribilis der jüngsten Geschichte, das allen Betrachtern schlaglichtartig die Gefahren einer Welt mit vielen Nuklearmächten klarmachte, war zweifellos 1998, als Indien und Pakistan an den Rand einer nuklearen Konfrontation gerieten.

Bei den grossen Mächten geht der Trend weg von den Nuklearwaffen. Prompt Global Strike, das aktuelle Programm der USA zur Schaffung weitreichender, extrem genauer und schneller konventioneller Vernichtungskapazität, soll Teile ihres nuklearen Arsenals ersetzen und, im Gegensatz zu diesem, in den lokalen Kleinkriegen des 21. Jahrhunderts auch tatsächlich einsetzbar sein.

Vorbei ist das Zeitalter der Nuklearwaffen jedoch nicht. Das am 8. April 2010 in Prag unterzeichnete neuerliche START-Abkommen zwischen den USA und Russland bringt die Welt nur einen kleinen Schritt weiter bei der Anstrengungen, die Atomwaffen zu beseitigen. Die Probleme mit der Durchsetzung der Regeln des Nichtverbreitungsvertrags werden wohl bleiben. Der Einsatz von Wirtschaftssanktionen hat bislang dabei nicht immer geholfen.

* Bernauer, Thomas und Dieter Ruloff (Hrsg.). The Politics of Positive Incentives in Arms Control. Columbia : University of South Carolina Press, 1999.

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