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Ludwig Steinherr: Wenn der Dichter Vater wird

Ein bewegender Gedichtzyklus von Ludwig Steinherr

«Grosser Gott wir loben Dich» darf man wohl zu den eindrucksvollsten Kirchenliedern des Abendlandes rechnen. Drei Worte aus dem Liedtext machte der emeritierte Romanistikprofessor und wunderbare Erzähler Johannes Hösle vor vier Jahren zum Titel des ersten, seine Kindheit betreffenden Teils seiner Erinnerungen: «Vor aller Zeit». Genauso hat nun auch Ludwig Steinherr seine «Zwanzig Gedichte zur Ankunft eines Kindes» genannt. Der 1962 in München geborene Ludwig Steinherr, der nebenbei auch als Philosophie-Dozent tätig ist, seit 1985 Gedichtbände veröffentlicht und mittlerweile vielfach preisgekrönt wurde, erweist sich mit diesem schmalen Gedichtzyklus erneut als ein mit vielen lyrischen Wassern gewaschener und ausserordentlich belesener Meister seines Metiers. Aber zu rühmen ist hier Elementareres als das Wissen um poetische Traditionen: das Sujet dieser Gedichte. Denn Ludwig Steinherr bedichtet den Zauber, den Glanz und das Geheimnis, die das Werden eines neuen Erdenbürgers begleiten – und seine intensiven Verse evozieren auf oftmals ganz zarte, anrührende Art das Beglückende und Wunderbare, das diesem Geschehen anhaftet.

«Noch ist deine / Existenz unfassbar»: Mit diesen Zeilen beginnt ein Kranz von Texten, der die meistens mit einer Mischung aus grosser Freude und banger Erwartung verknüpften Schwangerschaftsmonate zumThema hat – bis das Kind dann «Im Leben» ist, wie es im Epilog heisst, der folgendermassen endet: «Hoffnung / weit über alle / Märchen hinaus: / Dass stärker / am Ende / die Liebe – / Nun hab ich / mehr auf sie gesetzt / als nur mein / Leben». Dazwischen viele bedenkenswerte poetische Reflexionen, etwa darüber, was all die leuchtenden und all die verzweifelten Tage, die die werdenden Eltern ohne das Kind gelebt haben, in dessen Augen sein werden – nichts wirklich Wichtiges wohl, zum Glück. Oder darüber, wie selbst dem wortmächtigen Dichter sein Allerkostbarstes, die Sprache nämlich, schal wird angesichts der Zeichen aus dem Mutterleib. Nichts wird mehr sein wie es war – und noch weiss man nicht, wie es werden wird. Ein Kind ist per se ein Versprechen auf die Zukunft – Steinherrs Gedichte aber feiern weniger die Zukunft selbst als vielmehr den unvorhersehbaren, einzigartigen Eigen-Sinn des Kindes, der diese Zukunft bestimmen und gestalten wird. Nicht in die allerbeste Welt wächst das Kind hinein, wie man es vielleicht wünschen würde. Was es in unserer unvollkommenen Welt wohl Brauchbares antreffen wird? «Stimmen, Laute» zum Beispiel: «Jeder Satz den wir / sprechen / gleichgültig, beim Abendessen / Für dich ein Raunen / orphisches Urwort / geheimnisvolle / Offenbarung / Alles geht dich an / hat Bedeutung / Erst nach und nach / wirst du dich / (wie wir uns nach / einem Konzert / einem langen Flug / einer Umarmung) / zögernd / einfinden / in die Welt / des Banalen». Der Dichter befasst sich auch mit der relativen Hilflosigkeit des Vaters kurz vor und während der Geburt, einer Klinikgeburt mit Kaiserschnitt übrigens, und hier darf man sich natürlich durchaus fragen, ob ein heutiger Fliessband-Chirurg als «Zauberkünstler / mit flinken / behandschuhten Händen / blitzenden Instrumenten» nicht viel zu unkritisch gesehen wird. Gleichviel – andere Sprachbilder, nachdenklich und zart und wundersam, versöhnen den Leser rasch wieder. Im Taumel frischen Vaterglücks mag es ja generell nicht immer ganz leicht fallen, die Kitschgrenze nicht zu überschreiten. Ludwig Steinherr überschreitet sie nicht. Auch deswegen darf man sein ganz unspektakulär daherkommendes Gedichtbändchen als geradezu ideales Geschenk für werdende Eltern mit ein wenig Sinn für die Poesie des Daseins empfehlen. Wärmstens sogar.

Ludwig Steinherr, «Vor aller Zeit». Zwanzig Gedichte zur Ankunft eines Kindes.

Edition Toni Pongratz, Hauzenberg 2004.

Klaus Hübner, geboren 1953 in Landshut, promovierte in Germanistik und lebt als Publizist und Redaktor der Zeitschrift «Fachdienst Germanistik» in München.

(klahueb@gmx.de)

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