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Im Fantasiereich der Wirtschaftsanalphabeten

Entscheide über unser Leben werden von Politikern getroffen, die kaum noch ein praktisches Verständnis von Wirtschaft haben. Das offenbart ein grundlegendes Problem im Bildungssystem.

 

Angela Merkel weist ihre Bürger zurecht: «Die Leute sollen uns Politiker die Politik machen lassen, weil wir so viel mehr ­davon verstehen.» Was, wenn die Politiker diesen Satz für sich und all die Felder, die eben nicht primär Politik sind, beherzigen würden? Mit einem Augenzwinkern könnte man beispielsweise Merkels Satz umformulieren und fordern, dass die Politiker die Unternehmen der Privatwirtschaft «machen lassen, weil die so viel mehr davon verstehen».

Mangelnde Kenntnis betriebs- und volkswirtschaftlicher Zusammenhänge zeichnet die politische Elite seit vielen Jahren aus. Unzählige Äusserungen von Politikern stützen diesen Eindruck.
Berühmtheit hat beispielsweise die forsche Behauptung des ­Grünen-Politikers Jürgen Trittin zu den Kosten des Umstiegs auf erneuerbare Energien erlangt: «Es bleibt dabei, dass die Förderung erneuerbarer Energien einen durchschnittlichen Haushalt nur rund 1 Euro im Monat kostet – so viel wie eine Kugel Eis.» ­Inzwischen liegt die tatsächliche Belastung grob beim Zwanzig­fachen – umgerechnet auf Eiskugeln eine fast schon bedenkliche Kalorienzufuhr.

Nicht viel weniger weit daneben liegt der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier, der ein Jahrzehnte andauerndes konstantes Wachstum der deutschen Wirtschaft von jährlich 2 bis 2,5 Prozent verkündete: «Ich halte es für möglich, dass wir diesen Wachstumspfad noch für mindestens 15 bis 20 Jahre fortsetzen können», erklärte er 2018 im «Spiegel». Die Realität sieht anders aus: Wirtschaftsforscher beziffern das jährliche Wachstums­potenzial der deutschen Wirtschaft auf gerade einmal 1,1 bis 1,3 Prozent, was in etwa dem real erzielten Wachstum der letzten Jahrzehnte entspricht.

Die Folgen der Wirtschaftsferne

Wenn man sich die Karriere von Peter Altmaier ansieht, wird das grundsätzliche Problem der mangelnden Wirtschaftskompetenz deutlich: Studium der Rechtswissenschaft, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Staats- und Völkerrecht an der Universität des Saarlandes, Generalsekretär der Verwaltungs­kommission der EU, Bundesminister für besondere Aufgaben, Bundesfinanz­minister, Bundesumweltminister, Bundeswirtschaftsminister. ­Irgendeine nachweisbare Wirtschaftskompetenz fehlt.

Peter Altmaier ist kein Einzelfall. Eine Untersuchung des «Manager-Magazins» über die wirtschaftliche Kompetenz von Spitzenpolitikern fällt ernüchternd aus: Kaum ein Spitzenpolitiker hat Wirtschaftswissenschaften studiert, nur wenige waren Unternehmer. Das Magazin schreibt dazu: «Die Wirtschaftsferne schlägt sich nieder im Niveau der politischen Debatte. Wenn es im Bundestag um die Geschäftsmodelle von Wagniskapitalfirmen gehe, schätzt ein Insider, dann kämen 80 Prozent der Abgeordneten nicht mehr mit.» Ein weiteres aufschlussreiches Ergebnis der Studie: «Rund drei Viertel der Bundestagsabgeordneten haben ein Hochschulstudium abgeschlossen. Nur eben nicht Wirtschaft, sondern meistens Jura oder Lehramt.» Auch in der Schweiz sind Juristen und Lehrer im Parlament stark vertreten. Immer mehr Parlamentarier sind zudem als Berufspolitiker tätig. Dagegen sinkt der Anteil der Unternehmer – im Nationalrat beträgt er noch 15 Prozent.

Aber, so könnte man fragen, muss denn jeder Politiker Experte in Wirtschaftsfragen sein? Genügt es nicht, wenn er entsprechende Fachleute beschäftigt? Dazu der Wirtschaftswissenschafter Frank Albe: «Wenn er mit denen kompetent diskutieren will, dann braucht er ein Grundlagenwissen in mikro- und makroökonomischen Zusammenhängen, letztlich auch in betriebswirtschaftlichen Zusammenhängen, um dort überhaupt kompetent die Aussagen für sich zu ordnen.»

Das fehlende Fachwissen verstärkt die bestehende Tendenz, die ökonomischen Neben- und Nachwirkungen ideologischer Lieblingsideen zu unterschätzen oder einfach zu ignorieren. Schönfärberische Fantasiezahlen auf der einen Seite, gigantische, ideologisch begründete politische Visionen ohne ökonomische Kosten-Nutzen-Betrachtungen auf der anderen – fast täglich liefern nicht nur die politisch Verantwortlichen, sondern auch die mächtigen öffentlichen Stimmen des Zeitgeists krasse Beispiele für die Verdrängung der wirtschaftlichen Tatsachen. Beklagt wird die «komplette Ökonomisierung» der Welt, denn wirtschaftliche Einwände gegen Grossprojekte ökologischer Prägung stören nur die Begeisterung für die «grosse Transformation». Statt die offensichtlichen Unstimmigkeiten und Widersprüche ihrer Ziele unvoreingenommen zu analysieren, picken sich Politiker diejenigen Experten, Ökonomen und Gutachten heraus, die ihnen willfährig genau das liefern, was sie für ihre ideologischen Lieblingsprojekte brauchen. So bezifferte die deutsche Bundesregierung die Zusatzkosten durch die Energiewende auf 550 Milliarden Euro bis 2050. Das ifo-Institut kommt mit seinen Modellrechnungen zu dem Schluss: «Die kumulativen systemischen Mehrkosten für die Energiewende bis 2050 liegen je nach Randbedingungen zwischen 500 Milliarden Euro und mehr als 3000 Milliarden Euro.» Die optimistischsten Randbedingungen machen die Verantwortlichen der deutschen Regierung zur Richtschnur ihrer Entscheidungen. Woher das Geld für die ehrgeizigen Pläne kommen soll? Wenn überhaupt, gibt es darauf nur vage Floskeln.

Antikapitalismus wird zum Mainstream

Das Problem der Inkompetenz der Entscheider weist auf ein weit grundlegenderes Problem westlicher Gesellschaften hin: die zunehmende Entfremdung einer satten politischen und gesellschaftlichen Elite von den Prinzipien einer freien Marktwirtschaft, die letztlich das Fundament für den Wohlstand legt, der den meisten so selbstverständlich geworden ist, dass sie diesen Zusammenhang gar nicht mehr erkennen wollen. In aller Breite hat sich ein tiefgehender Antikapitalismus eingestellt. Über die ebenfalls wirtschaftsfernen tonangebenden Vertreter des Zeitgeists (in der Regel vom Staat finanzierte Soziologen, Juristen, Verwaltungsbeamte, Pädagogen, Psychologen und andere Geistes­wissenschafter sowie Kulturschaffende), die schliesslich auch für Lehrpläne an den Schulen verantwortlich sind, gelangt die unternehmerfeindliche, antikapitalistische Ideologie nicht nur in den gesellschaftlichen Mainstream, sondern wird der gesamten Gesellschaft als «richtige Haltung» verkauft. Deutschland ist mittlerweile in einer Situation angekommen, in der die grosse Mehrheit der Bevölkerung die Marktwirtschaft (meistens als «enthemmter Kapitalismus» geframt) als Wurzel allen Übels in der Welt ansieht.

Heutige Schüler erfahren aus ihren Schulbüchern viel Falsches und Negatives über die Rolle der Unternehmer in einer Wirtschaft, die ihnen Chancen und Wohlstand in einem vor hundert Jahren noch unvorstellbaren Ausmass beschert hat. Der Politikwissenschafter Gary Merrett hat in einer Studie für die Friedrich-Naumann-Stiftung dazu Interessantes herausgefunden. So werden die Schüler in niedersächsischen Gymnasien zwar lang und breit darüber unterrichtet, wie wenig Lohn die bösen kapitalistischen Zwischenhändler den armen Kaffeebauern übriglassen, die Tatsache aber, dass der Staat bis zu über vierzig Prozent des Endverbraucherpreises für sich in der Form von Steuern und ­Abgaben abgreift, wird am Seitenrand in einem Textkästchen versteckt.1

Schülern der zehnten Klassen wird folgende These als ökonomische Wahrheit präsentiert: «Wirtschaftswachstum bedeutet aber meist auch in zunehmendem Masse Arbeitslosigkeit.» Nun ist es zwar nicht ausgeschlossen, dass in Phasen des Wirtschaftswachstums mehr Menschen entlassen werden, doch sind diese Entlassungen dann meist Merkmale eines wirtschaftlichen Strukturwandels, der nicht selten am Ende zu mehr Wohlstand für alle führt. Jedenfalls dann, wenn sich die Wirtschaft frei von staat­licher Gängelung und planwirtschaftlichen Eingriffen wandeln und an neue ökonomische, wissenschaftliche und technische Gegebenheiten anpassen kann. Doch darüber erfahren die Schüler so gut wie nichts. Stattdessen werden sie mit ideologischen ­Programmen indoktriniert. Politische Meinungen werden ihnen als Wahrheiten verkauft. So findet man zum Beispiel im Arbeitsbuch «Politik 11» für niedersächsische Gymnasien, dass es in einer «gestalteten Marktwirtschaft» die Aufgabe des Staates sei, «offen­sichtlich weitreichende Aufgaben» zu übernehmen, weil die Ergebnisse des Marktsystems «zweifellos der politischen Korrektur durch sozial- und verteilungspolitische Massnahmen» bedürften. Zweifellos?

Wer den Staat als allmächtigen Übervater präsentiert, dem man blind vertrauen kann und muss, der hat keine freien Bürger, sondern abhängige und willfährige Untertanen als Bildungsziel. Den Schülern wird ganz bewusst beigebracht, einem Staat hinsichtlich seiner «Gestaltungskraft» blind zu vertrauen, dessen Vertreter nicht einmal fähig sind, die Bürger rechtzeitig vor einer herannahenden Naturkatastrophe zu warnen. Beamten, die selbst mit der einfachen Aufgabe überfordert sind, einen Impfstoff – von freien Unternehmern in Rekordzeit erfunden und produziert – rechtzeitig zu bestellen und zu verteilen, sollen sie zutrauen, die Weltwirtschaft per Mikromanagement transformieren und das Weltklima auf Zehntelgrad genau steuern zu können. Eine solche Bildungspolitik ist nicht nur wohlstandsgefährdend, sondern ­vernunftwidrig.

Orangen aus Ungarn

Wohin eine auf Ideologie basierende Wirtschaftspolitik führt, kann man seit mehr als hundert Jahren immer wieder an Gesellschaften beobachten, die sich dem kommunistischen Ideal aus­geliefert haben. Ganz egal auf welchem Kontinent, ganz egal in welcher Kultur, ganz egal in welchem Jahrzehnt, stets waren Wohlstandsverlust, Umweltzerstörung, Unfreiheit und massenhaftes Unglück die unvermeidlichen Folgen, weil kein planwirtschaftliches System auch nur annähernd in der Lage ist, so viele Informationen zu verarbeiten, wie eine auf der Schwarmintelligenz der Konsumenten und Produzenten basierende freie Wirtschaftsordnung.

Während der Existenz der Sowjetunion mussten die zentralen Planer täglich die Preise von buchstäblich Hunderttausenden von Dingen bestimmen. Darüber hinaus hatten sie zu entscheiden, wie die Rohstoffe unter den einzelnen Wirtschaftszweigen aufgeteilt werden sollten. Wie viel Mehl sollten die Bäcker, wie viel die Konditoren erhalten? Wollten die Kunden im nächsten Monat lieber mehr Brot oder mehr Kuchen? Würden im nächsten Jahr mehr Fahrräder oder Schubkarren benötigt werden? Dass solche Berechnungen den menschlichen Verstand überfordern, hatte schon Rudi Dutschke erkannt. Deshalb wollte er die rationalen Bedürfnisse der Menschen durch IBM-Computer berechnen lassen, um so den freien Markt abschaffen zu können.

Während der Zeit des Eisernen Vorhangs beschloss das ungarische Politbüro, dass das Land in die Orangenproduktion ein­steigen müsse. Als ein Agronom dagegen protestierte und darauf hinwies, dass Orangen in Ungarn nicht gedeihen würden, wurde er wegen Sabotage verurteilt. Da der grosse Bruder in Moskau der Meinung war, dass ein moderner sozialistischer Staat seine eigene Stahlindustrie haben müsse, wurden die Ungarn gezwungen, eine Stahlindustrie aufzubauen. Der Stahl, den sie produzierten, war aber viel teurer als der auf dem Weltmarkt angebotene, weil sie über keinerlei nennenswerte Kohle- und Eisenerzlagerstätten verfügten und deshalb die Rohstoffe vorher teuer einführen mussten.

Klimapolitik vom Ethikrat

Diese Beispiele machen deutlich, wohin es führt, wenn Wirtschaftspolitik auf der Basis von Ideologie und Inkompetenz betrieben wird. Dass solche wirtschaftlichen Irrationalitäten nicht der Vergangenheit angehören, kann jeder sehen, der seinen Blick nach Venezuela richtet. Oder auch nach Deutschland – dort produzieren Wind- und Solarkraftwerke an manchen Tagen so viel Strom, dass die Abnehmer Geld bekommen, wenn sie den teuer erzeugten Strom gnädigerweise annehmen. An anderen Tagen hingegen generieren die Kraftwerke so wenig Strom, dass das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben kollabieren würde, wenn nicht fossile und atomare Kraftwerke aus dem In- und Ausland den Kollaps verhindern würden. Staatspolitische Überregulierung (Subventionierung nicht marktreifer Technologien, Bevorzugung bestimmter Antriebstechnologien etc.) und blauäugige Milchmädchenrechnungen bei der Einschätzung der Kosten der grossen Transformationsprojekte sind aus dem gleichen Stoff der Inkompetenz gemacht wie die Vorgaben der Planwirtschafter in den sozialistischen Staaten. Einwände von Wirtschafts- und Energie­experten werden geflissentlich ignoriert. In Deutschland legt man die Energiepolitik lieber in die Hände eines Ethikrates aus Theologen, Soziologen und Ideologen.

Das wirtschaftliche Wohlergehen eines Staates in die Obhut von Lehrern, Bürokraten und Politikern zu geben, die in ihrem ganzen Leben kaum mit den Mechanismen einer freien Wirtschaft in Berührung gekommen sind, weil sie ihre Löhne, Gehälter und Diäten regelmässig vom Staat überwiesen bekommen, kann keine gute Idee sein.

Die Erkenntnisse aus der Geschichte und der nichtideologischen Wissenschaft dazu sind eindeutig. Wer sein Wohlergehen und seinen Wohlstand mehren, wer seine individuelle Freiheit und die kollektiven Überlebenschancen maximieren will, muss auf die menschliche Schwarmintelligenz setzen und es ihr erlauben, frei zu wirken. Zentralistisch orientierte Regierungen sind nicht die Lösung, sondern eher das Problem.

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