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Frauen müssen ihre Vorsorge  in die eigene Hand nehmen
Corin Ballhaus, zvg.

Frauen müssen ihre Vorsorge
in die eigene Hand nehmen

Die Lebensentwürfe und Arbeitsmodelle werden vielfältiger. Gerade für Frauen wird es ­deshalb wichtiger, sich um ihre Finanzen zu kümmern. Sie sind dabei nicht auf sich alleine gestellt.

 

«Nicht einmal die Hälfte der erwerbstätigen Frauen in der Deutschschweiz verdient ­genug, um ihren Lebensunterhalt alleine zu bestreiten.» – «Sieben von zehn Frauen überlassen ­Fi­nanzentscheide ihren Partnern.» – «Heutige Rentnerinnen ­erhalten einen Drittel weniger Rente als Männer.» So oder ähnlich lauten Erkenntnisse aus einer Vielzahl an Studien, die in letzter Zeit das Verhältnis von Frauen zu ihrem Geld oder zu ihrer Vorsorgesituation untersucht haben.

Lange Zeit brauchten sich Frauen nicht um Geld zu kümmern oder es war ihnen gar untersagt. So gestand ihnen das Zivilrecht erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder eigene Vermögensrechte zu, die ihnen mit der Gründung des Bundesstaats 1848 aberkannt worden waren. Noch bis Ende der 1980er-Jahre war der Ehemann gesetzlich dazu verpflichtet, «in gebührender Weise für den Unterhalt von Weib und Kind Sorge zu tragen». Wollte die Ehefrau einer bezahlten Arbeit nachgehen oder ein Bankkonto eröffnen, brauchte sie bis dahin seine Einwilligung.

Diese Umstände könnten das fehlende Interesse und die mangelnde Erfahrung der Frauen im Umgang mit den persönlichen Finanzen erklären. Wenn inzwischen gut die Hälfte der erwerbstätigen Frauen ökonomisch unabhängig ist, ist das also eher als Errungenschaft auf ihrem Weg zum selbstbestimmten Umgang mit Geld zu sehen denn als Defizit.

Auslaufmodell Versorgerehe

Was Frauen auf diesem Weg oft noch zurückbindet, ist die starke Prägung durch negative Glaubenssätze, wenn es um die Einstellung zu Geld und den Umgang damit geht. Werden – getrieben vom Glaubenssatz «Über Geld spricht man nicht» – Finanzthemen schon in der Ursprungsfamilie vermieden, bleiben sie tendenziell auch im Beruf, in der Partnerschaft und später in der eigenen Familie ein Tabu. Wird Frauen mit auf den Weg gegeben, dass Geld Männersache sei, erstaunt es nicht, wenn immer noch viele die Heirat für den Inbegriff der Vorsorge halten.

Bleiben Frauen bis an ihr Lebensende glücklich verheiratet, trifft dies sogar bis zum heutigen Tag zu. Denn die Versorgerehe hatten auch die Baumeister des Schweizer Vorsorgesystems vor Augen. Dort gibt der Einverdienerhaushalt bis heute die lückenlose Vollzeitbeschäftigung als Norm vor. Dass dies inzwischen nur noch auf knapp einen Fünftel der Paarhaushalte zutrifft, macht den gesellschaftlichen Wandel deutlich. Zwei von fünf Ehen werden geschieden. Zweit- oder gar Drittehen und Patchworkfamilien sind keine Ausnahme. Immer mehr Paare entscheiden sich, im Konkubinat zu leben. In einzelnen Kantonen war das Zusammenleben ohne Trauschein noch bis in die 1990er-Jahren verboten. Und bis heute ist es gesetzlich inexistent.

Den wenigsten ist bewusst, dass sie mit der Vielfalt an Lebensentwürfen von der im Vorsorgesystem und weiteren Gesetzgebungen geltenden Norm des klassischen Familienbilds abweichen. Die finanziellen Konsequenzen dieser Entwicklung treffen überwiegend die Frauen. Schmerzlich zum Ausdruck kommt dies an den Sollbruchstellen des Lebens wie einer Scheidung, dem Tod des Partners oder der Pensionierung.

Mit dem gesellschaftlichen Wandel geht die verstärkte Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt einher, die volkswirtschaftlich unverzichtbar geworden ist. Innerhalb von vier Jahrzehnten ist ihre Erwerbsquote um 20 Prozentpunkte gewachsen. Viele von ihnen verbinden inzwischen Beruf und Familie. Vier von fünf Müttern kehren spätestens ein Jahr nach der Geburt ihres ersten Kindes ins Erwerbsleben zurück. Dies allerdings überwiegend auf Teilzeitbasis, denn sie übernehmen immer noch zu einem grösseren Teil die Familie- und Hausarbeit. Dabei auszublenden, dass nur bezahlte ­Arbeit renten- oder kapitalbildend ist, rächt sich.

Teilzeitarbeit bremst Vorsorge

Arbeitspensen von Müttern reichen selten über 50 Prozent hinaus. Werden sie zudem in Form von zwei oder mehr Teilzeitjobs, als Selbständige mit geringem Arbeitspensum, auf Abruf oder in Niedriglohnberufen ­erbracht, bleibt das Einkommen nicht selten unter der gesetzlichen Eintrittsschwelle. Damit fehlt in dieser Zeit eine Absicherung in der beruflichen Vorsorge. Und selbst wenn es für einen Anschluss an eine Vorsorgeeinrichtung gemäss dem Gesetz über die berufliche Vorsorge (BVG) reicht, wird das versicherbare Einkommen durch den Koordinationsabzug geschmälert. Dass er auf eine 100-Prozent-Anstellung ausgelegt ist, ist vielen nicht bekannt. Dass er sich ganz ohne BVG-Revision schon heute an den Beschäftigungsgrad anpassen liesse, ebenso. Die Folgen wiegen umso schwerer, als das Guthaben, das in der beruflichen Vorsorge angespart wird, in vielen Fällen das grösste Vermögen darstellt und aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung deutlich länger zur Gestaltung des Lebensabends ausreichen sollte. Familie ist ein Partnerprojekt. Partnerschaftlich einen Ausgleich über die private Vorsorge zu vereinbaren und schriftlich festzuhalten, ist daher mehr als angezeigt.

Der vieldiskutierte «Gender Pension Gap» zeigt sich insbesondere in der beruflichen Vorsorge, während er in der AHV inzwischen weitgehend geschlossen ist. Die Rentendifferenz spiegelt im wesentlichen die Situation der heutigen Rentnerinnen. Sie beteiligten sich kaum am Arbeitsmarkt. Für sie galt noch nicht durchgängig die BVG-Pflicht. Sie profitierten noch nicht über alle Beitragsjahre hinweg von der Freizügigkeit beim Stellenwechsel. Auch der Ausgleich in der beruflichen Vorsorge bei einer Scheidung existiert erst seit der Jahrtausendwende.

Der Gender Pension Gap ist darum nicht mehr als eine Momentaufnahme. Die Rentendifferenz zwischen Frauen und Männern zu beklagen, wenn sie bereits entstanden ist, vermag das Blatt nicht zu wenden. Ziel muss es sein, bei der Entstehung des Grabens anzusetzen, also Verantwortung für sein finanzielles Wohlergehen zu übernehmen und vorausschauend zu agieren.

Finanzplanung ist Lebensplanung

Geld ist Lebens-Mittel und als solches unabdingbar, um das eigene Dasein zu bestreiten. Dementsprechend gilt es den Umgang mit Geld als Lebensaufgabe zu verstehen. Werden Frauen auf diesem Weg als erstes mit einer Fülle an abstrakten Anlage- und Vorsorgeprodukten in einer unverständlichen Finanzsprache konfrontiert, schreckt das vor allem ab.

Wesentlich zugänglicher wird es für sie aus einer ­Betrachtung der bevorstehenden und möglichen Lebensstationen und der damit verbundenen Geldfragen – sei es hinsichtlich der erforderlichen Mittel für den Lebens­unterhalt, der finanziellen Veränderungen in der Einkommenssituation oder der Bedeutung für die Vorsorgesituation. So ergeben auch die ursprünglich unverständ­lichen Finanzprodukte und -dienstleistungen einen Sinn.

Hierbei sind Frauen keineswegs auf sich alleine gestellt. Um sie herum sind unzählige Frauen mit der­selben Herausforderung konfrontiert und haben damit bereits Erfahrungen sammeln können. Über Gelddinge zu sprechen – ob im unmittelbaren Umfeld der Familie oder mit weiteren Vertrauten und Gleichgesinnten – fördert die eigene Geldkompetenz. Parallel dazu ein Basiswissen in Sachen Finanzen und Vorsorge aufzubauen, hilft ebenfalls. Das wachsende Angebot an Finanzblogs, Geldpodcasts, Seminaren, Webinaren und Ratgeber­büchern macht ihnen dies vergleichsweise einfach.

Weitsicht vor Sorge

Zu Finanz- und Vorsorgeexpertinnen brauchen sie trotzdem nicht gleich zu werden. Professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen, um sich die finanziellen Auswirkungen der wichtigsten Lebensereignisse individuell berechnen zu lassen, kann sich lohnen. Wichtig ist, dass Frauen informierte und selbstbestimmte Entscheide hinsichtlich der notwendigen Massnahmen treffen.

Klärungs-, Verhandlungs- und Handlungsbedarf besteht überall dort, wo das gewählte Lebens- oder Arbeitsmodell von der geltenden Norm abweicht oder die gesetzliche Grundlage fehlt und dadurch der Vermögens- respektive Vorsorgeaufbau ins Hintertreffen zu geraten droht. Das trifft insbesondere auf Teilzeit­arbeit, das Konkubinat und das Modell der Patchworkfamilie zu. Wegschauen und Zuwarten sind keine Lösungen. Oder wie sich Simone de Beauvoir ausdrückte: «Frauen, die nichts fordern, werden beim Wort genommen – sie bekommen nichts.»

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