Fiskalisches Asyl
Das Bankgeheimnis ist schon lange durch-löchert. Das hat bloss niemand gemerkt.
Die richtige Zeit, um die Löcher zu stopfen.
Die diskrete Verwaltung von Vermögen ausländischer Kunden ist nie auf das Wohlwollen von deren Steuervögten gestossen. Die juristisch normierte Verschwiegenheit der einen stand naturgemäss in einem antagonistischen Verhältnis zu den fiskalischen Substratsicherungsansprüchen der anderen. Irgendwann drehte sich alles nur noch um ein mächtiges Wort, das die Herzen bewegt: «Geheimnis». Es verfestigte sich der Eindruck eines Bankgeheimnisses (eigentlich Bankkundengeheimnisses) als einer unverrückbaren Grösse.
Es kam, wie es kommen musste: während die einen, unter der Nötigung eines Alles-oder-Nichts-Prinzips, den Druck ständig erhöhten, auf den noch vorhandenen Rest an Diskretion zu verzichten, taten die anderen scheinbar alles, um diesem Druck mit Gegendruck zu begegnen. Die Betonung liegt auf «scheinbar»; denn die helvetische Politik betrieb in den letzten Jahren gleichsam im Stillen einen Standortabbau des Finanzplatzes.
Mit dem Ja des Souveräns zu Schengen wurde faktisch mehr Bankgeheimnis geopfert als durch die Herausgabe von 300 Kundendateien an die amerikanische Steuerbehörde IRS. Die Schweiz kennt gemässs Schengener Rechtsbesitzstand überhaupt kein Bankgeheimnis mehr für Fiskaldelikte – ob Betrug oder Hinterziehung – im Bereich der indirekten Steuern (Verbrauchersteuern, Mehrwertsteuern und Zollabgaben). Während die Herausgabe von Bankdaten an die IRS immerhin noch im Ruch des rechtsstaatlich Bedenklichen steht, ermöglicht Schengen die Amtshilfe – den direkten Draht zwischen Steuerbehörden europaweit – höchstoffiziell und frei von juristischer Überprüfbarkeit.
Bereits lange zuvor war, sowohl durch die Richtlinie zur Bekämpfung der Geldwäsche und Korruption wie auch durch etliche Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, über die letzten Jahre am Finanzplatz genagt worden. Sektorale Zugeständnisse und ausnahmsweise Lockerungen des Bankgeheimnisses zum einen, und Lippenbekenntnisse, es erst recht abzusichern, zum andern, haben dem Ansatz zur Finanzdiskretion insgesamt mehr geschadet als genützt. Aus Prinzip auf dem «Bankgeheimnis» zu beharren, unter Ignorierung des jahrelangen Erosionsprozesses, lässt eher auf Prinzipienlosigkeit schliessen als auf solide Werte.
Gewiss, eine vom Alpenreduit geprägte Ansicht, wonach ein Rest an Bankgeheimnis etwas Genuines vermittle, vermag einige noch zu Durchhalteparolen zu animieren; das allein wird das Fehlen solider Prinzipien freilich nicht ersetzen können. Immer und immer wieder wurde je nach Wunsch, Stimmung und Verhandlungsdruck des Gegenübers der Preis des Beibehalts wie auf einem Basar ausgehandelt. Damit dürfte es nun zu Ende sein. Was die sozialistische Internationale nicht zustande brachte, hat die grösste Schweizer Bank unter gütiger Mithilfe des Bundesrats geschafft.
Die nationale Politik war darauf offensichtlich nicht vorbereitet. Selbst bürgerliche Politiker schwenkten plötzlich um und erklärten feierlich, die Zeit sei gekommen, um das Bankgeheimnis preiszugeben.
Die radikale Alternative zum Informationsaustausch mit Staaten, die ihr Steuersubstrat sichern wollen, wäre – analog zum politischen Asyl – das fiskalische Asyl. Nehmen wir das Beispiel unseres grossen Nachbarn. Wer in Deutschland die Abgabenknechtschaft satt hat und zu den betuchten
Leistungserbringern zählt, kann nicht ohne weiteres auswandern. Denn die Abgabenordnung im Aussensteuerrecht sieht eine «erweitert beschränkte Steuerpflicht» für weitere zehn Jahre vor (§ 2 Aussensteuergesetz und § 2 Einkommenssteuergesetz), wenn der «Steuerflüchtling» erstens in ein Land zieht, dessen Steuersatz weniger als zwei Drittel desjenigen Deutschlands beträgt, und er zweitens weiterhin «wesentliche wirtschaftliche Interessen» in Deutschland hat. So unglaublich es für manche Ohren klingen mag: wer seinen deutschen Wohnsitz verlässt, ist nicht automatisch von der deutschen Steuerpflicht befreit.
Ist es Recht oder Unrecht, wenn ein Staat seine Bürger am Auswandern hindert? Ist der Bürger mit allem, was ihm gehört, Eigentum des Staates, oder ist er frei, mit seinem Besitz irgendwohin auf der Welt zu gehen und sich nahezu konfiskatorischer Aushöhlung der Eigentumsgarantie zu entziehen? Fest steht: das Bankgeheimnis schützt Menschen, deren fiskalisches Empfinden in Widerspruch zur formaljuristischen Normierung ihrer Zeit steht – und die eine Entscheidung über das mögliche Unrecht lieber den Geschichtsschreibern von morgen als den Juristen von heute überlassen.
Das Bankgeheimnis – so haben wir gesagt – ist schon lange durchlöchert. Wenn ein Schirm Löcher aufweist, hat man die Wahl, entweder die Löcher zu flicken oder den Schirm als ohnehin reparaturbedürftig wegzuwerfen. Um dann total im Regen zu stehen.
Radu Golban, geboren 1973, ist promovierter Ökonom und Unternehmer.