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Editorial

Editorial
Javier Milei am Weltwirtschaftsforum für Lateinamerika in Panama City 2014. Bild: World Economic Forum/Benedikt von Loebell.

«¡Viva la libertad, carajo!»

Javier Milei, argentinischer Präsidentschaftskandidat

 

Am 22. Oktober 2023 finden neben den Schweizer Parlamentswahlen auch die argentinischen Präsidentschaftswahlen statt. In der Vorwahl vom 13. August erhielt ein Kandidat, mit dem ­niemand gerechnet hatte, die meisten Stimmen: Javier Milei von der Parteienkoalition La Libertad Avanza. Bei den hiesigen Journalisten hat er längst verloren: «Er gilt als rechtsliberaler Ökonom», schrieb das SRF und nannte ihn einen «libertären Populisten». Tatsächlich ist Milei ausgebildeter Ökonom und hat als solcher für Banken und Versicherungen gearbeitet. Als bekennender ­Anarchokapitalist steht er Murray Rothbard, Hans-Hermann Hoppe oder David Dürr näher als ­linken oder rechten Politikern.

Wird Milei zum ersten libertären Wahlsieger überhaupt? Ist der Staat einigermassen stabil, finden libertäre Parteien kaum je grösseren Zuspruch an der Wahlurne. Selbst in der ziemlich ­liberalen Schweiz muss sich die Libertäre Partei mit ein paar hundert Stimmen pro Wahlgang ­begnügen; die FDP fürchtet sich gar vor einer Listenverbindung mit ihr. Die Lage in Argentinien ist fundamental anders: Die Jahresinflation des Peso beträgt 113 Prozent (gegenüber 1,6 Prozent beim Franken), was im Alltag bedeutet, dass alles eingenommene Geld möglichst sofort wieder aus­gegeben wird; bevorzugt werden härtere Währungen wie US-Dollar, Gold oder Bitcoin. Dementsprechend ­fordert Milei die Abschaffung der Zentralbank. Die Konsumenten sollen jene Währung wählen, die ihnen am besten gefällt.

Wer die Bürger zu einer untauglichen Währung zwingt, verliert ihren Zuspruch. So erhält ­Milei Zulauf von komplett desillusionierten Bürgern, die nur noch verlangen, dass sich die bisherigen Staatsvertreter zurückziehen: «Haut alle ab!», schreien sie ihnen entgegen. Wie in anderen Hochinflationsländern wie Libanon oder Venezuela liegt auch die argentinische Wirtschaft ­weitgehend am Boden und versucht sich, so gut es geht, um das destruktive Staatswesen herum zu organisieren: Schattenwirtschaft, Steuervermeidung und Kriminalität breiten sich aus. Ist das Geldwesen dysfunktional, so ist es auch bald der Rest.

Damit die breiten Massen libertäre Kandidaten wählen, reicht es nicht, dass Politiker lügen, betrügen, stehlen und das Blaue vom Himmel versprechen – sie wenden sich erst von ihnen ab, wenn die Strukturen instabil und dysfunktional werden. Gerade Argentinien zeigt, dass das sehr lange dauern kann: Die Staatsverschuldung ist ein Dauerproblem, Inflationsraten von weit über 100 Prozent gab es schon in den 1980er-Jahren regelmässig.

Javier Milei schenkt den Wählern reinen Wein ein. Wird er gewählt, so verspricht er, die Staatsausgaben drastisch zu kürzen und keine neuen Steuern zu erheben. Doch das sind Aussagen vor der Wahl. Nach der Wahl haben schon viele Politiker exakt das Gegenteil ­gemacht.

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