Wir brauchen Ihre Unterstützung — Jetzt Mitglied werden! Weitere Infos
Cyborgs im Recht
Ioannis Martinis, ioannismartinis.ch

Cyborgs im Recht

Darf ich meine Hand zur Fahrkarte umfunktionieren? Auf was sich unsere Gesellschaft und die Jurisprudenz gefasst machen müssen.

 

Das dreijährige Kind spielt unbeschwert im Park, gleitet die Rutschbahn hinunter, während sich die Mutter mit einer ­Bekannten unterhält. Im nächsten Augenblick ist es verschwunden. Die Mutter ruft nach dem Kind. Schreit. Panik steigt auf. Nach einer Suchaktion wird das Kind schliesslich gefunden. Es war bloss einer Katze gefolgt. Um zukünftig solche Situationen zu vermeiden und das Kind zu schützen, lässt ihm die Mutter einen winzigen Chip in den Schädel implantieren. Damit kann sie den Aufenthaltsort überwachen sowie die audiovisuelle Wahrnehmung der Tochter steuern.

Das klingt nicht nur nach Science Fiction, sondern ist es auch. Zumindest in dieser Form. Entsprungen ist die Idee den Machern der erfolgreichen Netflix-Serie «Black Mirror», welche uns die dunklen Seiten der Digitalisierung vor Augen führt. Vollkommen abwegig ist die Idee jedoch nicht: Mit Gehirnimplantaten, welche die technische Erweiterung des menschlichen Körpers ermöglichen, beschäftigt sich das von Elon Musk mit­gegründete Neurotechnologieunternehmen Neuralink mit Sitz in San Francisco. Im August 2020 konnte Musk einen ersten ­Erfolg verbuchen und einen Chip präsentieren, der eine Verbindung zwischen dem Gehirn und einem Smartphone herstellt. Zu den längerfristigen Zielen gehört aber nicht nur das Ansteuern technischer Geräte mittels Gedanken, sondern auch die konsensbasierte Telepathie – die Gedankenübertragung zwischen Menschen.1

Cyborg Lives Matter

Implantate unter der Haut sind kein neues Phänomen, man kennt sie bereits seit Jahren aus der Tierhaltung. Doch auch immer mehr Menschen lassen sich Chips in der Grösse eines Reiskorns unter der Haut einpflanzen: Der Basler Transhumanist Steve Void hat sich bereits mehrere Dutzend Computerchips implantieren lassen, mit welchen er Türen öffnen oder bargeldlos bezahlen kann. Dies haben auch diverse Firmen wie das US-Technologieunternehmen Three Square Market, die britische Firma BioTeq oder auch das Reiseunternehmen TUI in Schweden ihren Mitarbeitenden angeboten.2 Die Technologieenthusiasten unter ihnen haben das Angebot freudig angenommen: Für sie ist der Chip als Schlüsselbundersatz, Passwortsammlung und Personalausweis der Schritt in eine bequemere Zukunft.

Mit neuen Technologien eröffnen sich auch neue Frage­stellungen. Darf ein Cyborg in den Anwendungen seiner Gadgets eingeschränkt werden? In Australien hat ein Biohacker das Nahverkehrsunternehmen Transport for New South Wales eingeklagt, weil es den Chip seiner Fahrkarte deaktivierte, den er sich unter die Haut gepflanzt hatte.

«Je komplexer die ­verbaute Technologie ist,

desto stärker sind Ärzte bei der Problem­behebung auf

die ­Unter­stützung der ­Hersteller angewiesen.»

Für die Rechte von Cyborgs setzt sich seit Jahren die internationale Stiftung Cyborg Foundation ein, welche vom Avantgardekünstler Neil Harbisson 2010 gegründet wurde.3  In der «Cyborg Bill of Rights» proklamiert er die Entscheidungsfreiheit der ­Cyborgs; egal, ob diese gegenüber «permanenten Bewohnern» der Erde oder Reisenden aus fernen Galaxien durchgesetzt werden muss. Harbisson gilt als erster offiziell von einer Regierung anerkannter Cyborg. Er trägt eine Antenne im Kopf, die es ihm nicht nur ermöglicht, seine Achromasie zu überwinden, sondern auch Farben wahrzunehmen, die für das gewöhnliche menschliche Auge unsichtbar sind, wie infrarotes oder ultraviolettes Licht.4 Seine Mission ist es, unsere Gesellschaft für ein Zeitalter zu rüsten, in dem die Grenze zwischen Mensch und Maschine immer weiter schwindet.

Die Verschmelzung von Mensch und Maschine ist eine Entwicklung, die wir bereits heute miterleben können. So verfolgt die moderne Prothetik den Ansatz, körperliche Defizite nicht nur auszugleichen, sondern darüber hinaus mittels Informationstechnologie die Lebensqualität von Patienten, die auf Prothesen angewiesen sind, deutlich zu steigern. Für Menschen mit einer Oberschenkelamputation gibt es beispielsweise bionische Prothesen, deren komplexe Sensorsysteme Daten in Echtzeit erfassen, auswerten und sich so automatisch dem Bewegungsmuster des Trägers anpassen. Forscher der EPFL haben Neuroprothesen ­entwickelt, die aus Fehlern eigenhändig lernen.5 Damit nutzt die Prothetik auch Fortschritte aus dem Forschungsfeld der künst­lichen Intelligenz.

Wem gehören die Daten eines Herzschrittmachers?

Wenn Menschen moderne Technologien in ihrem Körper einbauen, birgt das zwar viele Chancen, aber auch gewisse Risiken – darunter auch rechtliche. Im Fokus stehen datenschutzrechtliche Implikationen sowie offene Fragen zur Datensicherheit und zur informationellen Selbstbestimmung. Das Spektrum reicht bis hin zu Grundrechtsfragen hinsichtlich der körperlichen Integrität des Trägers sowie zu strafrechtlichen Belangen.

Illustrieren lassen sich die verschiedenen rechtlichen Pro­blemfelder sehr gut am Beispiel des Herzschrittmachers. In der Schweiz leben rund 35 000 Personen mit einem solchen Implantat.6 Bijan Fateh-Moghadam, Professor für Grundlagen des Rechts und für Life-Sciences-Recht an der Universität Basel, weist darauf hin, dass beispielsweise das Deaktivieren eines implantierten ­Cardioverter-Defibrillators bei einem Patienten, der nicht mehr therapierbar ist und eigentlich sterben sollte, einer verbotenen aktiven Sterbehilfe gleichgestellt wird.7

Doch nicht nur in strafrechtlicher, sondern auch in datenschutzrechtlicher Hinsicht eröffnen sich Problemfelder. Die ersten Herzschrittmacher wurden in der Schweiz 1958 implantiert. Die Geräte sind in den letzten 60 Jahren wesentlich «intelligenter» geworden: Moderne Herzschrittmacher passen den Herzschlag an die körperliche Beanspruchung des Trägers an, benötigen hierfür aber mehr Daten und eine entsprechend höhere Datenverarbeitungsfähigkeit. Zudem können die Daten auch extern gespeichert und von behandelnden Ärzten via Fernzugriff ausgewertet werden. Das Implantat sendet dabei täglich Informationen über den Zustand des Herzens an ein Patientengerät, welches die Daten über das Mobilfunknetz dem Arzt zugänglich macht. Die Daten, welche dabei verarbeitet werden, lassen direkte Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand des Betroffenen zu und gelten damit als besonders schützenswert. Die externe Speicherung der Daten bietet dabei Angriffs- und Missbrauchspotenzial durch unautorisierte Zugriffe.

Ein weiterer rechtlicher Aspekt betrifft die informationelle Selbstbestimmung, Ausfluss eines durch die Bundesverfassung garantierten Grundrechts und gleichzeitig einer der Kernbereiche des Datenschutzrechts. Demnach soll jeder Mensch so weit wie möglich selber darüber bestimmen können, welche Informationen über ihn wann, wo und wem bekanntgegeben werden. Je komplexer die verbaute Technologie bei den bionischen Prothesen und bei Implantaten jedoch ist, desto stärker sind Ärzte bei der Problembehebung auf die Unterstützung der Hersteller angewiesen. Dabei dürfen in vielen Fällen auch Behandlungsinformationen übermittelt werden oder gar der Verlauf der Behandlungen durch den Hersteller beeinflusst werden.8 Damit beginnen sich Verantwortlichkeiten zu vermischen.

Das Recht, kein Cyborg zu sein

Während sich Neil Harbisson mit seiner Cyborg Foundation dafür einsetzt, dass Menschen ihren Körper nach eigenem Gutdünken modifizieren können, ohne dafür diskriminiert zu werden, plädiert der bekannte Futurist Gerd Leonhard dafür, dass jeder Mensch das Recht haben sollte, gerade kein Cyborg zu werden: «Wir müssen die Wahl haben, biologisch und genetisch unerweitert zu bleiben, also nicht Cyborgs werden zu müssen, um überhaupt noch mithalten zu können.»9 Ähnliche Gedanken findet man auch in der Charta der digitalen Grundrechte der Europäischen Union.10

In der Science-Fiction-Serie «Black Mirror» kann die Tochter nicht selber darüber bestimmen, ob sie zum Cyborg wird und welche persönlichen Informationen über sie preisgegeben werden. In dystopischer Manier führt dies im Verlauf der Geschichte bei der Mutter zu einem Überwachungswahn und am Ende zu einem Bruch der Mutter-Tochter-Beziehung. Die verwendete Techno­logie bleibt vorerst Fiction. Im realen Leben gibt es jedoch zahlreiche offene rechtliche und ethische Fragen sowie die Erkenntnis, dass die rasanten technologischen Entwicklungen zu einer diskussionswürdigen Wirklichkeit verschmelzen, die auch den Gesetzgeber weiter beschäftigen wird.

  1. waitbutwhy.com/2017/04/neuralink.html

  2. tagesspiegel.de/wirtschaft/trend-in-schweden-warum-tui-seinen-mitarbeitern-mikrochips-unter-die-haut-pflanzt/25180852.html

  3. cyborgfoundation.com

  4. spektrum.de/news/man-muss-keine-angst-haben-weniger-mensch-zu-­werden/1622562

  5. actu.epfl.ch/news/when-the-neuroprosthetics-learn-from-the-patient/

  6. swissheart.ch/fileadmin/user_upload/Swissheart/Shop/PDF_­Broschueren/Herzschrittmacher_2019_DE.pdf

  7. hkbb.ch/de/standortpolitik/bildung/Sterbehilfe_bei_Cyborgs.php

  8. Gerrit Hornung, Manuela Sixt: Cyborgs im Gesundheitswesen. In: Computer und Recht, 12 (2015), S. 828 – 838.

  9. Gerd Leonhard: Technology vs. Humanity. München: Vahlen-Verlag, 2017.

  10. digitalcharta.eu

»
Abonnieren Sie unsere
kostenlosen Newsletter!