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Früh übt sich, wer ein Unternehmer werden will
Christoph Jenny, zvg.

Früh übt sich, wer ein Unternehmer werden will

Eine praxisorientierte Ausbildung im Bereich Entrepreneurship gehört in den gymnasialen Lehrplan.

 

Ein Start-up zu gründen ist hip, Entrepreneure wie Elon Musk und Mark Zuckerberg sind die Rockstars unserer Dekade. Jungunternehmen und die daraus entstehenden KMU gelten als das Rückgrat der schweizerischen Wirtschaft und beschäftigen die Mehrzahl der hiesigen Arbeitnehmer. Gleichzeitig ist die Gründung eines Start-ups ein Unterfangen, welches viel Mut, eine grosse Portion Risikobereitschaft, Ausdauer und zahlreiche Fähig­keiten erfordert. Es sind Fähigkeiten, die im klassischen Schulunterricht nur sehr eingeschränkt vermittelt werden.

Das 2017 lancierte Wahlfach «Youngpreneurs» hat zum Ziel, Schülerinnen und Schüler aus dem letzten Jahr des Gymnasiums während zwei Semestern die Gelegenheit zu geben, praxisnah und mit modernsten Methoden ein Unternehmen zu entwickeln – von der ersten Idee über Kundenbefragungen und Prototyping, Marketing und Finanzierungsfragen bis hin zum finalen Pitch vor ­einer professionellen Jury und vor grossem Publikum. Stand 2021 wurde so bereits über 220 Jugendlichen das unternehmerische Handwerk in einem praxisorientierten Rahmen nähergebracht.

Unternehmertum als Lebensschule

Entrepreneurship stellt für mich das letzte Abenteuer im Kapitalismus dar: Es bietet jungen Menschen nämlich die Gelegenheit, für ihre Ideale einzustehen und etwas Eigenes aufzubauen, das eine positive Auswirkung auf die Gesellschaft verspricht. Unternehmertum ist aber vor allem auch eine Lebensschule, welche jungen Menschen das Werkzeug zur Umsetzung von Ideen vermittelt. Aus meiner Perspektive besteht dieses Skillset aus fünf zentralen Punkten: Erstens werden Unternehmer gezwungen, tagtäglich die eigene Komfortzone zu verlassen, was die Jugend­lichen beispielsweise im Rahmen einer Kundenbefragung mit ­einem Prototyp auf der Strasse trainieren: Wie spreche ich potentielle Kunden an? Wie wecke ich das Interesse an meiner Idee? Was bei der ersten Befragung teilweise grosse Überwindung ­kostet, fällt beim zweiten Durchgang bereits viel leichter. Zweitens besticht ein erfolgreicher Unternehmer durch seine Schaffenslust: Denn nur wer sich überhaupt wagt, eine Idee nicht nur anzudenken, sondern auch effektiv zu realisieren, kann im Wettbewerb erfolgreich werden.

Drittens bedeutet Unternehmertum der vernünftige Umgang mit Fehlern, also einem Begriff, der in der Schweiz fälschlicherweise immer noch negativ kodiert ist. Entgegen der gängigen Skepsis gegenüber Misserfolgen beweist die Existenz von Fehlern, dass etwas Neues ausprobiert wurde – und nur wo Neues probiert wird, entsteht auch Innovation. Daraus ergibt sich der vierte Punkt der unternehmerischen Trickkiste: Es gibt keine Erfolgs­garantien. Erfolgreiche Entrepreneurship basiert oftmals auf «Trial and Error» und damit auf dem Mut, Sachen auszuprobieren – und auch die Grösse zu haben, eine misslungene Idee zu beerdigen.

An fünfter Stelle im Skillset steht die Fähigkeit, das eigene Start-up und sich selbst überzeugend zu präsentieren. Ich stelle immer wieder fest, dass die brillantesten Köpfe oftmals nicht in der Lage sind, ihre Idee und ihre Vision vor potentiellen Kunden und Investoren überzeugend zu präsentieren und zu verkaufen. Vor kleinem oder grossem Publikum selbstsicher aufzutreten, egal ob analog oder digital, ist eine Fähigkeit, welche jedem Menschen früher oder später hilfreich sein wird – sei dies bei einem Investorenpitch des eigenen Start-ups oder bei einem Vorstellungsgespräch für einen Job.

Erfolgsfaktoren näherbringen

Ich kann Ihnen eine frohe Botschaft überbringen: Die langjährigen Erfahrungen aus «Youngpreneurs» zeigen auf, dass sich die Erfolgsfaktoren des Unternehmertums eindeutig erlernen lassen. Selbstverständlich sind einige Grundvoraussetzungen unabdingbar, allen voran der Wille, etwas anzupacken, sowie die Bereitschaft, aus Fehlern lernen zu wollen. In einem praxisnahen Umfeld können die Erfolgsfaktoren den Schülerinnen und Schülern allerdings fruchtbar nähergebracht werden: Die angehenden Unternehmerinnen und Unternehmer tüfteln an ihrem eigenen Start-up, wobei ein fundiertes, individuelles Coaching sowie konstante Feedbacks und Vernetzung durch die Coaches nicht nur den Lern-, sondern auch den Umsetzungserfolg signifikant erhöhen. Die gewisse Portion Glück, die bei einem erfolgreichen Unternehmen ebenfalls dazugehört, sollen die Lernenden durch das konstante Verlassen der Komfortzone gezielt provozieren.

Der Erfolg von «Youngpreneurs» basiert auf vier Pfeilern: Erstens ist das «Youngpreneurs» als zusätzliches, fakultatives Wahlfach ohne Notengebung konzipiert, Lernwillige nehmen komplett aus intrinsischen Motiven teil. Zweitens sind die Module aufbauend konzipiert, beginnend mit dem kreativen Ideenfindungs­prozess bis zum krönenden Abschluss der Unternehmenspräsentation vor einer Jury. Drittens kombinieren die Module jeweils ­einen Theorienblock mit einer anschliessenden Anwendungsphase auf das eigene Start-up, was ein praxisrelevantes und anwendungsfreundliches Lernen sicherstellt. Viertens sind die Leiter des Programms stets erfahrene Unternehmer aus der ­Praxis; der Unterricht findet bewusst in einem Co-Working-Space und nicht in der gewohnten Schulumgebung statt.

Immer wieder bin ich überrascht von der enormen Lernkurve, die unsere Teilnehmenden an den Tag legen: Dass die Teams nach nur acht Monaten des Lernens vor einem Saal mit 300 Personen ihr eigenes Start-up pitchen, ist keine Selbstverständlichkeit und deutet auf die Erfolgsversprechen einer praxisnahen Schulung hin. Ebenfalls erstaunt es mich, wie sehr idealistische Motive für junge Menschen im Vordergrund stehen und mit welchem Elan sie sich mit aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen, beispielsweise der Foodwaste-Thematik, auf unternehmerische Weise auseinandersetzen.

Uns ist jedoch aufgefallen, dass selbst Jugendliche, die gemäss gängiger Erwartungshaltung eine hohe Flexibilität und ­Anpassbarkeit mitbringen, sich am liebsten in gewohnten Teamumfeldern bewegen. Mehrfach haben wir versucht, gymnasienübergreifende Teams und Start-ups zu fördern – zu meinem Erstaunen hat dies mehrheitlich weniger gut funktioniert, weil die jungen Menschen trotz gegenläufiger Vorurteile lieber direkt auf dem schuleigenen Pausenhof miteinander kommunizieren als in schulübergreifenden digitalen Kanälen.

Der Jugend Entfaltung bieten

Ich bin der Ansicht, dass sich das Gymnasium in seinen Strukturen und Lerninhalten in den letzten 20 Jahren kaum bewegt hat. Ich würde mir vom gymnasialen Schulsystem die Bereitschaft wünschen, jungen Menschen noch häufiger die Möglichkeit zu bieten, eigene Projekte während längerer Zeit praxisnah und mit hohem Grad der Selbstverantwortung umzusetzen. Zweifelsohne wäre das im Landesinteresse: Schülerinnen und Schüler würden sich nicht nur fachliche Kompetenzen aneignen, sondern auch viel über Eigeninitiative, Selbständigkeit und Teamarbeit lernen. Dies ermöglicht den Jugendlichen, ihre ganz persönlichen Stärken in ein Projekt einzubringen.

Ich wünsche mir deshalb, dass das Bildungssystem vermehrt Raum zur Entfaltung individueller Stärken bietet, fachliche Kompetenzen mit Kreativität und Problemlösungskompetenzen erweitert und unternehmerisches Denken und Handeln stärker in den Unterricht einfliessen lässt. Liebe Schulen, ergänzt das enge Lehrplankorsett!

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